hamburg:pur Dezember 2025

Foto: Katharina Puchalla THEATER Nimmt Kinder ernst: Frank Puchalla in „Schneck und Huhn“ meinen, für Kinder müsse alles möglichst ein- fach sein, finde ich sehr schade. Sie haben genau wie Erwachsene ein Anrecht darauf, dass man sich beim Formulieren Mühe gibt. Wie nimmst du das Kinderpublikum wahr? Ich fand es von Anfang an hinreißend. Es gibt niemals höflichen Applaus. Es gibt nur Begeis- terung oder Langeweile. Das dann aber auch in beide Richtungen reichlich, sodass man – wenn man seine Sache gut macht – auch groß- zügig beschenkt wird. Kindertheater möchte einerseits unterhal- ten. Andererseits wird aber oft auch ein didaktischer Anspruch damit verbunden. Wie findet ihr zwischen diesen beiden Polen das Gleichgewicht? Wir wollen nicht belehren, sondern bestimmte Themen aufgreifen und von möglichst vielen Seiten beleuchten. Im besten Fall finden dann mit den Kindern, Verwandten oder Lehrkräften im Nachhinein noch Gespräche oder Diskus- sionen statt, bei denen vielleicht auch neue Aspekte zum Tragen kommen. Wenn es diese zweite Ebene nicht gäbe, mit der ich mich ja selbst auch intensiv beschäf- tige, würde ich die zwölf bis 15 Monaten vom Erstellen des Förderantrags bis zur fertigen Produktion gar nicht durchhalten. Das wäre mir viel zu langweilig. Eines der drei Stücke, die zu eurem 30. Jubiläum im Fundus Theater zu sehen sind, heißt „Die Glücks-Bringer“. Ein clow- neskes Stück über Freundschaft und die Be- deutung von Glück … Und kurz vor den „Glücks-Bringern“ haben wir ein Stück über den Umgang mit Zeit gemacht: „TempoTempo!“. In einem anderen Stück fra- gen wir, warum wir überhaupt lernen. Geht es dabei wirklich nur umwirtschaftlichen Erfolg? Ich übersteigere die Dinge auch gerne ins Ab- surde, um sie zu verdeutlichen. Wie setzt sich eure Gruppe zusammen? Ursprünglich waren wir zu dritt: meine dama- lige Frau Dagmar Puchalla, der Cellist Uwe Schade und ich. Als wir unsere Tochter be- kommen haben, konnte Dagmar nicht mehr so viel unterwegs sein. Ein Jahr später war Uwe dann stark in seine eigene Gruppe Theater Triebwerk eingespannt, sodass ich mir noch andere Mitspieler suchen musste. Ich habe oft mit Sandra Kiefer gearbeitet, die jetzt aber auch das Theater Das Zimmer leitet und dort viel Zeit investiert. Neu dabei ist Dorothee de Place, die mehrere Jahre das inklusive Klabau- ter Theater und Ensemble geleitet hat. Möchtest du auch die Elterngeneration mit euren Stücken anzusprechen? Ich finde, Eltern sollten grundsätzlich ihre Kinder viel häufiger zu bestimmten Sachen befragen, weil da erstaunliche Antworten kom- men. In einemGespräch nach unseremStück zum Thema Zeit sagte ein Mädchen: „Ich habe keine Zeit. Meine Zeit hat meine Mutter.“ Da konnte ich mir vorstellen, wie ihr Leben aus- sieht: in die Schule gehen und danach Kurse und Veranstaltungen besuchen, die die Mutter geplant hat. Wir hatten damals als Kinder unse- re eigene Zeit, um uns zu entwickeln. Heute muss alles organisiert und abgesprochen sein, damit es in den Alltag passt. Welche Stücke außer „Die Glücks-Bringer“ werdet ihr im Dezember noch im Fundus Theater aufführen? Die älteste der drei Produktionen, „Zwerg Nase“, entstand 1997 und wurdemit ganz simp- lenMitteln realisiert. Es gibt einen Hocker, einen etwas opulenteren Stuhl, ein Cello, eine lange Nase und eine große weiße Stoffserviette. Der Cellist sitzt fast die ganze Zeit, trägt die Nase und mimt den Zwerg. Die restlichen Figuren spiele ich dann nur mithilfe der Serviette. Wo tretet ihr sonst noch auf? Ihr habt ja – wie fast alle Kindertheatergruppen – keine eigene Spielstätte. Seit vielen Jahre führen wir fast alle unsere Premieren im Fundus Theater auf. Darüber hi- naus spielen wir im ganzen deutschsprachigen Raum in Theatern, Kulturhäusern, Festivals oder direkt in den Schulen. Eine Zeit lang ha- ben wir viel in Süddeutschland gespielt, weil da einfach mehr für Kultur ausgegeben wurde. Und das dritte Stück? „Schneck & Huhn“. Huhn ist ein Wesen, das einfach lostobt und immer den direkten Kon- takt sucht. Schneck ist das genaue Gegenteil, scheut Kontakte und würde am liebsten gar nicht an die frische Luft gehen. Zufällig prallen die beiden aufeinander und müssen dann ir- gendwie miteinander umgehen. Wir haben das Stück vor eineinhalb Jahren mit Kindern des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehin- derte zusammen entwickelt. Wir bieten vorab eine Tastführung an, und der Text ist so ge- schrieben, dass blinde Menschen auch ohne Audiodeskription immer orientiert sind. Ihr bietet auch Workshops für Kinder an. Zu welchen Themen? Kürzlich haben wir das Thema Gerechtigkeit behandelt, mit Blick auf die aktuelle Entwick- lung, dass wir uns immer öfter in unsere klei- nen Blasen zurückziehen und dann schnell für etwas den Daumen heben oder senken. Damit machen wir es uns aber zu einfach. Wir haben uns darüber miteinander ausgetauscht, und die Schülerinnen – es war nur ein Junge dabei – haben sich vier Szenen überlegt, die wir in der Aula aufgeführt haben. Wir hatten mit zwanzig bis dreißig Besuchern gerechnet. Es kamen dann ungefähr 150, die sich auch rege an der Diskussion beteiligt haben. Kann man vom Kindertheater leben? Es wird immer schwerer, Gelder zu organisie- ren. Früher haben vielleicht ein oder zwei För- deranträge ausgereicht, heute braucht man sieben bis zehn. Man muss sich immer breiter aufstellen und gucken, wie man die unter- schiedlichsten Töpfe miteinander zusammen- bringt. Trotzdem ist es ein großer Luxus, dass es so viele Möglichkeiten gibt, Mittel einzu- werben für etwas, auf das viele Leute – glaube ich – leider gut verzichten könnten. Interview: Sören Ingwersen Fundus Theater, „Schneck und Huhn“, 2.12., „ZwergNase“, 3.12., „DieGlücks-Bringer“, 4.12. 18 Foto: Patrick Sobottka THEATER Pinocchios Abenteuer Mitfühlend und humorvoll Wer nicht hören will, muss fühlen. Aber wie es um seine eigenen Gefühle und die anderer Menschen bestellt ist, das muss Pinocchio erst noch lernen. Mit großen, naiven Augen blickt David Gerbaulet im Theater für Kinder als zum Leben erwachte Holzpuppe in eine Welt, die es nicht nur gut mit ihm meint. Da ist der Theater­ direktor Feuerfresser, der Pinocchio als Feuerholz verwenden will, dann aber doch Mitleid bekommt. Henry Klein, der auch den zauseligen Geppetto mimt, spielt ihn mit einer so maßlosen Weinerlichkeit, dass das Publikum vor Vergnügen juchzt. Da ist der gefühllose Zirkusdirektor, der den in einen Esel verwandelten Pinocchio bis zur Erschöpfung Kunststücke aufführen lässt und dann imMeer ertränken will. Und da sind nicht zuletzt Katze und Fuchs, die den gutgläubigen kleinen Drauf­ gänger gehörig an der Nase herumführen. Es ist eine Freude, dabei zuzusehen, wie Eva Langer und René Hirschmann ihr Opfer schleimig umgarnen und mit Lüge, List und choreografischer Kunstfertigkeit so in die Mangel nehmen, dass Pinoc­ chio bald gar nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Regisseur Marius Adam inszeniert das alles mit bestechen­ dem Witz, viel Fingerspitzengefühl und liebevoller Figurenzeichnung, von der auch Sandra Kiefers putzige Grille profitiert, die Pinocchio stets mit wertvollen Ratschlägen zur Seite steht. Überdies hat Adam für sein Familienstück nach dem berühmten Buch von Carlo Collodi einige Musical-Nummern komponiert, setzt aber auch wirkungsvoll Musik aus Bizets „Carmen“, Tschaikowskys „Nussknacker“ oder von Rachmaninow ein (E-Piano: Makiko Eguchi). Dabei punkten das Bühnenbild von Kathrin Kegler und die Kostüme von Marie-Theres Cramer mit hohen Schau­ werten. Und wer war noch gleich Terry, der Thunfisch? Schaut doch einfach selbst! Text: Sören Ingwersen Theater für Kinder im Allee Theater, 1.–8., 10.–16., 20., 21., 26.–28.12. und weitere Termine Wahrheit oder Lüge? Die Grille (Sandra Kiefer) hat’s nicht leicht mit Pinocchio (David Gerbaulet) 28.12. – 31.12.2025 ALARM IN’T THEATERHUUS CARMEN DARF NICHT PLATZEN KOMÖDIE VON KEN LUDWIG Foto: Sinje Hasheider A n S ilveSter zum letzten m Al im O hnSOrg

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