hamburg:pur Dezember 2024
THEATER Foto: Thomas Aurin Bernada Albas Haus Das Patriarchat der Matriarchin Wie auf die bespielbare Rückseite eines riesigen, altmodischen Puppenhauses schaut das Publikum aufs Bühnenbild: in zehn zur Rampe hin offene Zimmer auf zwei Etagen. Und es gibt auch je manden, der mit den Bewohnerinnen spielt und ihnen sagt, was sie tun und lassen müssen: Eine verhärmte Witwe (Julia Wieninger) terrorisiert ihre fünf Töchter, herrscht über die eigene Mutter so wie zwei Bedienstete in ihrem, in „Bernarda Albas Haus“. Alice Birch verfasste eine aktualisierte Textfassung von Federico García Lorcas düsteremDrama von 1936, das Katie Mitchell als deutsch sprachige Erstaufführung am Schauspielhaus inszeniert. Acht Jahre Trauer sind angeordnet nach dem Tod des Hausherrn, Bernardas zweitemMann. Nur die älteste Tochter aus erster Ehe darf heiraten. Doch deren Zukünftiger trifft sich heimlich mit der jüngsten Tochter. Eine Atmosphäre aus Eifersucht, Angst, Heim lichkeiten und unterdrückten Sehnsüchten vergiftet sogar die schwesterlichen Bindungen. Im Frauenhaus haben Männer keinen Zutritt, im Stück kein einziges Wort zu sagen. Dennoch sind es genau diese patriarchalischen Strukturen und männlichen Dogmen, die Bernarda aufrechterhält, die sie notfalls mit Schlägen durchsetzt. Freiheitsentzug rechtfertigt sie mit dem Argument, ihre Töchter vor potenziellen Vergewaltigern schützen zu müssen. Zu diesem Zweck hält sie bildlich das Leben an – wenn alle sich hin und wieder in Zeitlupe bewegen. Bernardas Mutter (großartig: Bettina Stucky) entzieht sich den Verboten, indem sie in den Wahnsinn flieht. Simultane, ineinander montierte Dialoge aus unterschiedlichen Räumen sorgen für große Glaubwürdigkeit, machen es indes schwer nachzuvollziehen, wer gerade mit wem spricht. Bedrohlich anschwellende Klänge (Sound: Melanie Wil son) begleiten die zunehmenden Aggressionen im hermetisch ab geriegelten Haus – bis die Katastrophe ihren Lauf nimmt. Neunzig großartig beklemmende Minuten. Text: Dagmar Ellen Fischer 7., 26. DEZEMBER UND WEITERE TERMINE; Deutsches Schauspielhaus weltumfassenden Krieg hinter sich. Dann kam die Weltwirtschaftskrise. Diese Traumata waren an jeder Straßenecke zu sehen und zu spüren. Die Welt war auf den Kopf gestellt und man suchte nach einer Orientierung und einer neuen Bedeutung im Leben. Gleichzeitig ging es für viele darum, überhaupt einen Job oder etwas zu essen auf dem Tisch zu haben. Verglichen damit befinden wir uns heute in einer sehr privilegierten Situation. Von daher finde ich die pa rallelen Entwicklungen fast noch erschütternder. An stelle eines funktionierenden, harmonischen Mitei nanders sieht man überall Angst, Hass und Abgren zung. Andere werden klein gemacht, um sich selbst zu erhöhen und Gruppen zu bilden, aus denen heraus dann ein Kampfgeschrei angestimmt wird. Ein Kampfgeschrei, das zuweilen auch im Namen der Moral geführt wird. Am Theater sind Sexismus, Gendergerechtigkeit undMachtmissbrauch aktuell ein großes Thema. Schießt die Aufarbeitung manch- mal über das Ziel hinaus? Läuft die gegenwärtige Woke-Kultur Gefahr, totalitäre Züge anzunehmen, indem sie moralische Forderungen verabsolutiert, wie ihre Gegner unterstellen? Dazu habe ich keine abschließende Meinung. Ich be obachte diese Entwicklungen natürlich, einige finde ich gut, andere möchte ich weiter befragen dürfen. Eine Gefahr sehe ich darin, dass in solchen Bewe gungen das ursprüngliche Anliegen oftmals verloren geht, verklärt oder überschmiert wird, anstatt offen zu bleiben und Gespräche auf Augenhöhe zu führen. Auch bei Debatten zum Thema Diskriminierung fehlt mir oft ein wirklicher Austausch. Die Zuschreibungen werden dann lediglich umgedreht: Plötzlich sind die Bösen die Guten und die Guten die Bösen, und ir gendwer gehört dann einfach nicht mehr dazu. Das ist mir zu simpel. Wenn man aber Sachen ernsthaft befragt, wird es kompliziert. Demmuss man sich stel len. „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Rich tung ändern kann.“ Die Fähigkeit umzudenken ist das Entscheidende. Die Frage ist, ob wir „zur Anständig keit Talent haben“, denn, um es weiter mit Fabians Worten auszudrücken: „Was nützt das göttliche Sys tem, solange der Mensch ein Schwein ist?“ Friedrich Schiller hat das Theater einst als „mora- lische Anstalt“ bezeichnet, die Anti-Wokeness- Fraktion wirft dem gegenwärtigen Theater vor, eine ideologische Erziehungsanstalt zu sein. Wer hat recht? In voller Konsequenz dürfte eigentlich jeder nur noch sich selber spielen, oder? Natürlich sollte man Ge neralisierungen und Diskriminierung vermeiden. Manchmal sind Überschreitungen imProbenprozess allerdings hilfreich, um einem Thema Gewicht zu ver leihen und eine Diskussion auszulösen. Ich finde, das Theater sollte keine moralische oder ideologische Anstalt sein, sondern ein Diskussionsforum. Es wer den Ideen vorgestellt, Möglichkeitswelten aufgezeigt, Spiegel vorgehalten, Hosen heruntergezogen, Back pfeifen verteilt. Es wird genervt, aufgerüttelt und in Aktion versetzt. Die Zuschauer:innen sitzen zwar nur da und gucken zu, aber die Birne fängt an zu rattern. Man fängt an, sich selber zu befragen, und das ist für mich der eigentliche Kernpunkt des Theaters. Interview: Sören Ingwersen 18 Babak Radmehr Performer & Regisseur 3 FRAGEN AN… Babak Radmehr, welche Hoffnungen ver- knüpfen Sie mit Ihrer Tanz-Performance „Friedensschritte“? Mit „Friedensschritte“ möchte ich die Hoffnung auf Frieden lebendig werden lassen, die durch den Tanz Gestalt annehmen. Die Bewegungen sind inspiriert von Erzählungen, die ich selbst verfasst habe, die persönliche Erfahrungen und Emotionen spiegeln. Diese Empfindungen flie- ßen über die Sprache in den Körper und rufen dort eine physische Resonanz hervor. In einem intensiven Prozess haben wir diese Reaktio- nen in eine tänzerische Ausdrucksform über- führt, die das Ringen des Körpers mit Schmerz, Sehnsucht und Widerstand spürbar macht. Welche Repressalien haben Sie im Iran er- fahren müssen? Im Iran gilt Tanz als verbotene Kunstform, da er als Ausdruck der Freiheit von Körper und Geist verstanden wird. Dieses Verbot betrifft Kunst und Künstler: Wiederholt wurde ich ver- haftet und mit Auftritts- und Berufsverboten belegt. Was woanders ein natürlicher Ausdruck wäre, wird im Iran zum politischen Akt und Ri- siko. Doch die Leidenschaft für Tanz und Thea- ter ist nicht vollständig unterdrückbar; selbst dort bleibt Kunst ein Mittel, Hoffnung und in- nere Freiheit zu bewahren. Prägen diese Verbote und Erfahrungen bis heute Ihre Arbeit – in Form von verarbeiteter Angst oder anderen Gefühlen? Angst begleitet mich tatsächlich bis heute, ist ständiger Teil meines künstlerischen Schaf- fens und prägt auch meine Sicht auf die Welt. Im dramaturgischen Prozess meiner Perfor- mances stehe ich oft vor Herausforderungen, die tief mit dieser Vergangenheit verbunden sind. Aus Erfahrung weiß ich, dass der Weg aus diesen kreativen Sackgassen in der Reflexion und im Austausch mit anderen liegt. Dialoge mit inspirierenden Menschen haben mir oft geholfen, neue Perspektiven zu finden und die Balance zwischen meinen eigenen Erlebnissen und dem künstlerischen Ausdruck zu wahren. Interview: Dagmar Ellen Fischer 6. DEZEMBER (PREMIERE), 7., 13., 14. DEZEMBER; Lichthof Theater Foto: Paricher Bijani 3 FRAGEN AN … Wurde im Iran geboren und floh 2011 nach Deutschland Foto: Sinje Hasheider 28.12. – 31.12.2024 DAT FROLLEIN WUNNER KOMÖDIE VON MURAT YEGINER
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