hamburg:pur Dezember 2023
Foto: MASTER MIND Ltd FILM DRAMA Edle Toilettengänge Mit „Perfect Days“ bringt Regie-Legende WimWenders eine poetische Charakterstu- die über einen japanischen Toilettenreiniger in die Kinos. Überraschend, reinigend – ein Meisterwerk gründig monotonen Rhythmus erhalten selbst kleinste Abweichungen besondere Bedeutung. Die Natur und das sich verändernde Licht schaffen ständig neue Kompositionen und zu- tiefst berührende Momente. Kōji Yakusho, in Cannes für seine schauspielerische Leistung ausgezeichnet, verkörpert einen Mann aus wohlhabender Familie, der bewusst die Armut wählt – als Schutz vor Verletzungen. Erst das unerwartete Auftauchen der Nichte erinnert ihn an früher. In sein Lächeln mischen sich erst- mals Trauer und Schmerz. Text: Anna Grillet AB 21. DEZEMBER JAP 2023; 123 Min.; R: WimWenders; D: Koji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano ★★★★★ hamburg:pur Aktion! Für eine Preview des Films „Perfect Days“ am 18.12., 20 Uhr in den Zeise Kinos verlosen wir 10 x 2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „Perfect Days“ an verlosung@szene-hamburg.com ; Einsende- schluss: 14.12. Rising Sun“, ruhig und konzentriert, geht der Protagonist seiner Tätigkeit nach, antwortet nicht auf das Geplapper des jungen faulen Kol- legen. Kein Wort der Kritik, höchstens ein be- sorgtes Lächeln. Seine wahre Leidenschaft ist das Beobachten der Welt um sich herum, das erste Licht beimAufwachen, die Stadt mit ihren extremen Gegensätzen, stark befahrene mehr- stöckige Autobahnen, beschauliche Wohnsied- lungen, Labyrinthe aus engen Gassen, ein Mit- einander von Zukunft und Vergangenheit. Hi- rayamas Sichtweise wird die des Publikums: das Entdecken der Schönheit imAlltäglichen. Während der Mittagspause imPark holt er seine analoge Pocketkamera heraus: Komorebi, das Lichtspiel der Blätter imWind, entwickelt sich zum Spiegel seines Daseins. Die Toiletten ähneln winzigen Tempeln, jene architektonischen Wunder waren für WimWen- ders („Anselm“) die Inspiration zu „Perfect Days“. Spielfilme können nach Ansicht des Re- gisseurs am überzeugendsten die Magie einer Metropole reflektieren. Bester Beweis: „Der Himmel über Berlin“ (1986). Durch den vorder- Hirayama (überragend: Kōji Yakusho) reinigt öffentliche Toiletten in Tokio. Den Ablauf sei- nes Alltags hat der Mittsechziger mit dem hin- reißenden Lächeln methodisch durchstruktu- riert: vom morgendlichen Bartstutzen bis zur abendlichen Buchlektüre kurz vor dem Ein- schlafen. Zurückgezogen lebt er allein in einem kleinen, spartanisch eingerichteten Apartment, aus der Jugendzeit hat Hirayama nur die Mu- sikkassetten und einen altmodischen Rekor- der hinübergerettet: Lou Reed, Nina Simone, Patti Smith, The Kinks, Velvet Underground. Auf der Fahrt zur Arbeit erklingt „House of the 24 Foto: capelight pictures/Nikolopoulos Nikos Foto: Prokino FILM Wie wilde Tiere In einer kleinen Gemeinde im spanischen Galizien wagen die beiden Franzosen Antoine (Denis Ménochet) und Olga (Marina Foïs) den Neuanfang. Das ausgewanderte Paar versucht mit harter Arbeit ein Fleckchen Land zu bewirtschaften und von den Erträgen zu leben. Obwohl die beiden den Einheimischen freundlich begegnen, ernten sie nur Argwohn und Ablehnung. Die beiden Aussteiger sehnen sich nach einem Leben im Ein- klang mit der Natur und wollen den Ort durch Instandsetzung verfallener Hütten und Häuser wieder attraktiver werden las- sen. Doch die einheimischen Bauern hegen den Wunsch, dem Kreislauf von schwerer Arbeit und Perspektivlosigkeit zu ent- kommen. Vor allem ihre Nachbarn, die zwei Brüder Xan und Loren (Luis Zahera und Diego Anido) machen aus ihrer Frem- denfeindlichkeit keinen Hehl. Antoine nennen sie abschätzig „den Franzosen“, schikanieren und demütigen ihn. Als Antoine sich dann auch noch weigert das Land für den Bau von Wind- rädern zu verkaufen, verwandelt sich der Argwohn in blanke Feindseligkeit und Gewalt … Der Film „Wie wilde Tiere“ macht seinemNamen alle Ehre: Ro- drigo Sorogoyen („Macht des Geldes“) liefert ein Schauerstück menschlich-animalischer Abgründe. Die Spannung zwischen den Protagonisten ist in jeder Szene zu greifen. In vielen Mo- menten gleicht der Film einemWestern, was nicht zuletzt durch den geschickten Einsatz von Kamera, Streichern und Trom- melschlägen verstärkt wird. Die raue, ursprüngliche Landschaft trägt zu der beklemmenden Stimmung bei. Doch es sind un- zweifelhaft die intensiven Darstellungen von Denis Ménochet („Beau is Afraid“), Luis Zahera („Macht des Geldes“) und Ma- rina Foïs („In den besten Händen“), die diesen Film unvergess- lich werden lassen. In Cannes, wo „Wie wilde Tiere“ seine Welt- premiere feierte, wurde der Film als Sensation gefeiert. Bei der Verleihung des spanischen Filmpreises räumte der Film gleich neun Goyas ab, darunter: Bester Film, Beste Regie sowie Bes- ter Hauptdarsteller. Weitere internationale Filmpreise folgten. „Wie wilde Tiere“ ist das Gegenteil eines Wohlfühlfilms. Es ist vielmehr ein faszinierend packender Unwohlfühlfilmmit über- raschender Wende und Katharsis-Effekt. (mag) AB 7. DEZEMBER SPA/F 2022; 137 Min.; R: Rodrigo Sorogoyen; D: Marina Foïs, Dénis Menochet, Luis Zahera ★★★★★ How to Have Sex Es soll der Urlaub ihres Lebens werden. In den Sommerferien zieht es die Freundinnen Tara (Mia McKenna-Bruce), Skye (Lara Peake) und Em (Enva Lewis) zum Feiern, Abhängen und Spaßhaben nach Kreta. Über dem ausgelassenen Start schwebt jedoch die bange Frage, was die Zukunft bringen mag. Vor allem Tara sorgt sich um ihre in Kürze veröffent- lichten Noten und hat Angst, dass Skye und Em andere Wege einschlagen könnten. Druck baut sich auch deshalb auf, weil die 16-Jährige als Einzige in der Runde noch keinen Sex hatte. Tara möchte das unbedingt ändern. Im Partytrubel läuft allerdings einiges anders als geplant. Risse bekommt nicht zuletzt das Verhältnis zu ihren Freundinnen, die Taras Unbehagen größtenteils ignorieren. Mit ihremRegiedebüt „How to Have Sex“ gelingt der bislang als Kamerafrau tätigen Molly Manning Walker ein pointier- tes, energiegeladenes Werk über weibliche Befindlichkeiten und die Suche junger Menschen nach ihremPlatz im Leben. Zuckende Lichter und elektronische Beats sorgen für eine pulsierende Atmosphäre. Immer wieder fängt der Film aber auch die Katerstimmung nach dem exzessiven Abfeiern ein. Was ihn von vielen ähnlichen Jugenddramen unterscheidet, ist der präzise Blick für die wachsende Verlorenheit seiner Protagonistin. Tara frühmorgens aufgelöst durch die ver- lassene und zugemüllte Partymeile laufen zu sehen, sagt mehr als tausend Worte. Ebenfalls ungewöhnlich: Wie au- thentisch das Geschehen auf der Leinwand wirkt. Aus einem starken Ensemble ragt Mia McKenna-Bruce noch einmal deutlich heraus. Über kleine Veränderungen in Mimik und Körperhaltung bringt sie fortlaufend die Zerrissenheit ihrer Figur zumVorschein und lädt viele Szenen mit einer unglaub- lichen emotionalen Wucht auf. Besonders in Erinnerung bleiben die Momente, in denen Tara spürbar mit sich hadert, ob sie amStrand mit Urlaubsbekanntschaft Paddy (Samuel Bottomley) intim werden soll. Die Frage, wann Sex einver- nehmlich ist und wann nicht, verhandelt der Film dabei auf nuancierte Weise. (cd) AB 7. DEZEMBER GB 2023; 90 Min.; R: Molly Manning Walker; D: Mia McKenna-Bruce, Lara Peake, Shaun Thomas ★★★★★ 25
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