hamburg:pur Dezember 2023
THEATER Katie: Oft entstehen zu einer ursprünglichen Idee auch so viele Assoziationen, dass die plötzlich das Hauptthema bilden, wenn mir zum Beispiel auffällt, dass die beiden etwas aus typisch männlicher Perspektive betrachten. Dann nehmen wir diese unterschiedlichen Sichtweisen gerne spielerisch auf. Jan-Peter: Konkret geht es um eine satirische Nummer, die Max mal mit seinem ehemaligen Duo-Partner fürs Fernsehen gemacht hat. Vor demHintergrund aktueller Diskurse kann man diese Nummer heute im Kabarett nicht mehr bringen. Aber den Diskurs können wir in kaba- rettistischer Form auf die Bühne bringen. Die Rezeption ändert sich kolossal, wenn man statt einer Persiflage auf eine Stereotype den Dis- kurs darüber thematisiert. Es gibt in den letzten Jahren eine verstärkte Sensibilität imUmgang mit Randgruppen und Minderheiten? Wokeness und Gender-Kor- rektheit werden gesellschaftlich und poli- tisch eingefordert. Wie geht man in einem Genre damit um, das auch von der Provoka- tion lebt? Habt ihr das Gefühl, euch manch- mal selbst beschneiden zu müssen? Katie: Ich finde gerade den Punkt spannend, an dem es einen beschneidet. Dann rede ich über diese Beschneidung, weil die Leute im Publikum dieses Gefühl ja kennen und dann merken, dass sie mit ihrer Unsicherheit nicht allein dastehen. Jan-Peter: Wir erleben oft, dass schlechte, platte Witze über das Gendern gemacht wer- den. Ammeisten lachen dann die darüber, die die größten Gegner dieser Sprachveränderung sind. Damit provoziere ich als Kabarettist einen völlig falschen Reflex. Ich muss neugierig genug sein, mich der Debatte zu stellen. Dabei interessieren mich dann vielmehr die Schwie- rigkeiten, die das Gendern mit sich bringt, ge- rade wenn man sich darauf einlassen will. Max: Natürlich steht man als Kabarettist unter genauer Beobachtung. In den sozialen Medien kann eine Aussage im falschen Kontext sehr schnell sehr viel auslösen. Daher fühlen sich viele durch die Wokeness beschnitten. Das führt aber auch dazu, dass man seine eigenen Texte stärker hinterfragt: Ist das wirklich gut und komme ich damit wirklich zu der Aussage, die ich treffen will? Insofern ist die Wokeness Teil meines Denkprozesses geworden. Ein beliebtes Argument lautet: „Satire darf alles“ … Katie: Das stimmt mit zwei Einschränkungen: Sie muss gut sein, und sie muss einen Grund haben. Ich vermisse oft die Dringlichkeit, wa- rum bestimmte provokante Worte verwendet werden. Nur um sie einmal laut gesagt zu ha- ben? Das ist mir zu wenig. Jan-Peter: Ich vermisse vor allem die fehlende Bereitschaft zum Diskurs. Die Leute sind mit vielen Themen überfordert und haben Angst, nur noch in den Kategorien Schwarz und Weiß denken zu können. Deshalb sagen sie lieber gar nichts. Dadurch fühlen sich aber diejeni- gen ermutigt, die überall nur einen Keil rein- treiben. Unsere Aufgabe als Kabarettbühne besteht auch darin, dies zu reflektieren. Ist das politische Kabarett eine aussterbende Spezies, weil die Politik selbst inzwischen zum Spektakel geworden ist? Katie: Politisches Kabarett, so wie es früher war, ist für mich uninteressant. Dafür sind für mich aber viele Dinge politisch, bei denen es vielleicht nicht so offensichtlich ist. Wenn zum Beispiel Max, der ein toller Schauspieler ist, eine Figur spielt, die im Sozialen scheitert, ist das zwar lustig und schräg. Es ist aber auch eine gesellschaftspolitische Beobachtung, wa- rum solche Typen so sind, wie sie sind, und was unsere heutige Zeit damit zu tun hat. Max, du bist nicht nur neues Ensemble mitglied, sondern neben deinemVater auch neuer Leiter des Lustspielhauses geworden. Hast du dich schon gut eingearbeitet? Max: Das steht alles noch am Anfang, und ich muss noch eine ganze Menge lernen. Aber ich kann auch Dinge leisten, die ohne mich viel- leicht schwieriger gewesen wären: zum Bei- spiel neue, junge Künstler für das Haus zu finden, die wiederum ein neues und jüngeres Publikum anziehen. Deine zweite Heimat ist noch München? Max: Eigentlich meine erste. Momentan wohne ich noch dort, aber ich verbringe schon jetzt sehr viel mehr Zeit in Hamburg als in den letz- ten Jahren. Jan-Peter: In das operative Alltagsgeschäft wird Max nach und nach mit einsteigen. Aber er hat schon sehr viel getan für unsere künst- lerische Neuausrichtung. Das ist sehr erfri- schend. Der Vater ist zufrieden. Interview: Sören Ingwersen 1. DEZEMBER (PREMIERE), 2., 3., 8.–10., 15., 16., 29.–31. DEZEMBER, 5.–7. JANUAR 2024; Alma Hoppes Lustspielhaus Talent, Dinge aus dem Stegreif zu entwickeln, eine tolle Live-Atmosphäre schafft undwunder- bar mit demPublikumkommuniziert, habenwir uns getraut, sie zu fragen. Katie, wie lange hast du vor deiner Zusage überlegen müssen? Katie Freudenschuss: Gar nicht lange. Ich finde super, dass wir mit Jan-Peter noch eine Wurzel vom originalen Alma-Hoppe-Ensemble dabei- haben, wobei wir mit Alma Hoppe 3.0 aber in eine ganz neue Richtung gehen wollen. Wir sind sehr unterschiedliche Typen in sehr unter- schiedlichemAlter, mit sehr unterschiedlichen Kernkompetenzen, die sich – wie wir hoffen – sehr gut gegenseitig befruchten und er gänzen. Wo seht ihr denn selbst eure Kernkompeten- zen? Max Beier: Ich komme ja vom Schauspiel her und habe in früheren Programmen oft szenisch gearbeitet und beim Figurenkabarett mit Dia- lekten viele darstellerische Elemente einge- bracht. Das ist sicher ein Kontrast zu meinem Papa, der mehr mit seiner Wortgewalt punktet. Hinzu kommt das Musikalische. Da finde ich es spannend, mit jemanden wie Katie zusam- menzuarbeiten, bei der das Musikalische noch viel stärker im Vordergrund steht. Jan-Peter: Meine Welt ist das klassische sati- rische politische Kabarett, während Nils immer der elegante, witzige Spieler war. Durch dieses ausgewogene Ungleichgewicht wurde es für die Zuschauer interessant. Das wollen wir mit unserem neuen Ensemble auch erreichen. Wir wollen sehr lustig sein, aber kein Comedy-Pro- gramm machen, bei dem der Inhalt auf der Strecke bleibt. Das ist der Plan. Katie: Ich finde super, dass Jan-Peter immer einen Plan hat und ich anarchisch dagegen- halten kann: Komm, wir machen ihn kaputt! Das meine ich gar nicht destruktiv. Ich impro- visiere ja nicht nur, sondern schreibe auch selbst Nummern. Max wiederum hat für mich beides: Er mag es zu planen, liebt aber auch die Anarchie. Was hat das Publikumbei eurem ersten Pro- gramm zu erwarten? Jan-Peter: Unser Programm wird eine Mi- schung sein aus der Qualität, die jeder selbst mitbringt, und dem, was wir gemeinsam als Duo oder Trio erarbeiten. Aber aus den Ge- sangsszenen halte ich mich aus gutemGrund heraus. 18 Foto: Oliver Fantitsch KRITIKEN Eine Stunde Ruhe Jazz-Fan am Rande des Nervenzusammenbruchs Wenn man nicht wüsste, dass dieses Stück vom französischen Autor Florian Zeller vor zehn Jahren in Paris uraufgeführt wurde – man könnte denken, die Rolle sei ihm auf den Leib geschrieben worden: Erkki Hopf brilliert in der jüngsten Produktion amOhnsorg-Theater als höchst ge- stresster Ehemann, Vater und Geliebter imMittelpunkt einer völlig aus demRuder geratenden Situation. Moritz, ein gut situierter Mann in den 50ern, hat auf dem Flohmarkt eine längst als verschollen geltende Schallplatte ergattern können, auf deren Hörgenuss er sich wie ein Kind freut. Dafür wünscht er sich „Eine Stunde Ruhe“ – doch ist ihm die nicht vergönnt. Seine Ehefrau will ihm dringend etwas beichten, die Geliebte die Beziehung beenden und sein Sohn die bedingungslose Akzeptanz seiner exzentrischen Ideen. Das indes sind nur die ange- kündigten Unterbrechungen seines Vorhabens. Nicht rechnen konnte Moritz mit der Katastrophe, die ein Handwerker in seinemBadezimmer veranstaltet und die im weiteren Verlauf den Nachbarn aus der Woh- nung darunter auf den Plan ruft, der sich ob seiner unbewohnbaren Zimmer ebenfalls bei ihm niederlässt. Und dann taucht noch sein bes- ter Freund mit einer Hiobsbotschaft auf … Die gut gestrickte, rund zweistündige Komödie läuft zielsicher auf die typische Eskalation zu, Regisseurin Nora Schumacher setzt das Ensemble in dieser plattdeut- schen Erstaufführung bestens in Szene. Doch ist es Erkki Hopf als be- gnadetem Komiker zu verdanken, dass die Gags in perfektem Timing sitzen, selbst kleinsten Gesten gibt er mit seiner Körpersprache einen subtilen Witz. Als er schließlich allein mit seinem Plattenspieler und dem beziehungsreichen musikalischen Album „Me, Myself and I“ tat- sächlich zur Ruhe kommt, wartet eine finale Überraschung auf ihn … Mit dieser Inszenierung feiert der Schauspieler sein 30-jähriges Büh- nenjubiläum am ehrwürdigen Hamburger Haus. Text: Dagmar Ellen Fischer 1., 2., 9., 10., 15.–17., 19.–21., 25. DEZEMBER UND WEITERE TERMINE; Ohnsorg-Theater Begnadeter Komiker: Erkki Hopf (Mitte) feiert sein 30-jähriges Ohnsorg-Jubiläum mit einer Rolle, wie für ihn geschrieben Foto: Sinje Hasheider ALTES LAND NACH DEM ROMAN VON DÖRTE HANSEN OP PLATTDÜÜTSCH & HOCHDEUTSCH 6.12.2023 – 21.1.2024
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