hamburg:pur Dezember 2022
Foto: DCM/Wilson Webb Foto: Les Films Pelleas FILM Call Jane Chicago, Ende der 1960er-Jahre: Während die sozialen Spannun- gen zunehmen, haben es sich die angepasste Hausfrau Joy (Eli- zabeth Banks) und ihr Ehemann Will (Chris Messina) in ihrem be- schaulichen Vorstadtleben bequem gemacht. Einzig wiederkeh- rende Schwächeanfälle bereiten der Frau, die ihr zweites Kind erwartet, Sorgen. Als sie ihren Arzt konsultiert, erhält sie eine niederschmetternde Diagnose: Ein durch die Schwangerschaft ausgelöstes Herzleiden könnte zum Tod führen. Da das Gesund- heitssystem Joy keine Hilfe bietet, wendet sie sich an ein imUnter- grund agierendes Frauennetzwerk, das illegale Abtreibungen durchführt. Der von Phyllis Nagy inszenierte Film, der dem sogenannten Jane- Kollektiv ein Denkmal setzen möchte, kommt in einer Zeit in die Kinos, da in den USA das 1973 erkämpfte, landesweit eingeführte Recht auf Schwangerschaftsabbruch massiv ins Wanken gera- ten ist: Konservative Kräfte sind eifrig dabei, das Rad zurückzu- drehen, und feierten im Sommer einen großen Erfolg. Entschied doch der Oberste Gerichtshof, dass von nun an jeder Bundes- staat selbst die gesetzlichen Regelungen für eine Abtreibung fest- legen darf. Thematisch könnte „Call Jane“ also aktueller nicht sein. Etwas enttäuschend ist aber, wie sich die Regisseurin und die Drehbuch- autoren Hayley Schore und Roshan Sethi dem komplexen Stoff nähern. Statt den Finger in die Wunde zu legen, die Formen der Unterdrückung zu sezieren und den risikoreichen Kampf umweib- liche Selbstbestimmung in all seinen Facetten zu beschreiben, brechen sie das Ganze auf eine oberflächliche Läuterungs geschichte herunter. Joy legt ihren Konformismus ab und wird, was stets etwas behauptet bleibt, zur Aktivistin. Das historische Drama sieht fraglos geschmackvoll aus, ist, vor allem in den Haupt- rollen, gut gespielt. Viel zu selten geht der Film allerdings einmal dorthin, wo es wirklich wehtut. Ein Wohlfühlstreifen mit deplat- ziert wirkender beschwingter Musikuntermalung wird den der- zeitigen Entwicklungen in den USA nicht gerecht. (cd) AB 1. DEZEMBER USA 2022; 122 Min.; R: Phyllis Nagy; D: Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Chris Messina ★★★ ★★ An einem schönenMorgen Liebe, Verlangen, Glück sind Gefühle, die sich falsch anfühlen, wenn der Tod, der Verfall so nah ist. Doch sie spenden auch Trost, lassen das Leid überhaupt erst ertragen. Die französische Regis- seurin und Drehbuchautorin Mia Hansen-Løve lässt diese gegen- sätzlichen Gefühle in ihrem sensiblen Liebesdrama „An einem schönen Morgen“ wunderbar parallel existieren, sich gegenseitig sogar bedingen oder gar notwendig machen. Voller Poesie erzählt sie von der alleinerziehenden Mutter Sandra (Léa Seydoux), die sich um ihre neunjährige Tochter Linn (Camille Leban Martins), ihren Job als Übersetzerin und ihren an dem Benson-Syndrom, einer Nervenkrankheit, leidenden Vater Georg (Pascal Greggory) kümmert. Wie losgelöst von der Welt scheint diese Frau. Ihr Leben kreist einzig um die Fürsorge für ihre Tochter und ihren Vater, und ir- gendwann um die Liebe, ihr Begehren, ihre Verletzlichkeit, als sie Clément (Melvil Poupaud), einen alten Freund, wiedertrifft. Es ent- flammt eine leidenschaftliche, wechselvolle Affäre zwischen dem verheirateten Vater und der gut funktionierenden, von tiefer Trau- rigkeit erfüllten Frau. Zu intensiv ist diese Beziehung, zu schmerz- haft das psychische wie physische Dahinsiechen ihres Vaters, einem Philosophieprofessor, der nach und nach seine Sprache verliert. Auch Sandra fehlen für ihre Gefühle häufig die Worte. Ihre Aufgabe ist es, im privaten wie im beruflichen Kontext für andere eine Sprache zu finden. Doch genau diese Sprachlosigkeit und all ihre inneren Kämpfe, ihre Sehnsüchte und Gefühle verleiht Seydoux allein mit ihrem Gesicht, ihren kleinen Gesten, Berüh- rungen, ihrer Körpersprache eine Intensität, der sich nicht zu ent- ziehen ist. Hansen-Løve wählt ein fast beiläufiges Erzählen, mit vielen Leer- stellen, die sich nur bruchstückhaft füllen. Sie entzieht sich na- hezu jeglicher aneignender Dramaturgie, folgt schlicht dem Leben Sandras zwischen der Wiedergeburt als begehrenswerte und be- gehrende Frau und der Trauer der verlassenen Tochter. (bs) AB 8. DEZEMBER F/D 2022; 113 Min.; R: Mia Hansen-Løve; D: Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud ★★★★ ★ 26 Unsere Möglich macher: w w w . a h o y r a d i o . d e Gutes Radio für Gute Leude M e d i e n p a r t n e r Ladet unsere App!
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