Dezember 2019

48 WEIHNACHTEN ZWEI EXTRAHOHE FLÜGELTÜREN gehen auf, und es wird hell. Wie bunter Nebel fällt die Spätherbst- sonne durch grün-gelb-rot-blaue Fenstercollagen in den Raum, flutet ihn von der Kanzel bis hoch zu den Orgelpfeifen. Die Paul-Gerhardt-Kirche ist menschenleaer an diesemMontagnachmittag, ein- zig Miriam Knierim ist da, die Pastorin der Alto- naer Gemeinde, um über ihre Arbeit zu sprechen. In Hamburg aufgewachsen, hat Knierim auch hier studiert, ihr Vikariat dann in Rostock absolviert und ihre erste Pfarrstelle in drei Dorfgemeinschaften bei Wismar gehabt. „Irgendwann wollte ich aber zurück in die Stadt“, erklärt die 36-Jährige, „und da ich mich mit Altona sehr verbunden fühle, habe ich mich einfach mal initiativ bei dem Probst vor- gestellt.“ Mit Erfolg. Vor knapp einem Jahr bekam sie den gewünschten Posten und steht seitdem regelmäßig an einem hellgrauen Rednerpult, auf dem ein goldenes Kreuz prangt. Das Pult ist eben- erdig positioniert, direkt vor den Bänken. „Hier bin ich lieber als auf der Kanzel, ich möchte der Ge- meinde auf Augenhöhe begegnen“, sagt sie. In der Regel steht Knierim vor bis zu 100 Leuten, so viele können schon mal an Familienkirchentagen kom- men. Heiligabend werden es natürlich mehr sein, über 500 zum bestbesuchten Gottesdienst. Ob die Pastorin genervt ist vom plötzlichen Drang der Al- tonaer zum Kirchengang? „Nein, gar nicht, es ist doch schön, wenn die Kirche voll ist! Ich freue mich, dass die Leute kommen, scheinbar eine Verbindung spüren und Sehnsüchte vorhanden sind.“ Außer- dem: „Weihnachten herrscht grundsätzlich eine besondere Stimmung in der Kirche. Es ist doch an- ders, wenn 500 Menschen aus voller Kehle singen, als wenn es 20 mit eher schüchterner Stimme tun. Auch wenn so viele mit mir das Vaterunser spre- Ein Gespräch mit Pastorin Miriam Knierim von der Ev.-Luth. Paul- Gerhardt-Kirche Altona über die Themen, die ihr zur Weihnachtszeit in  ihren Predigten wichtig sind – und über die „besondere Stimmung“  in der Kirche am 24. Dezember Text & Foto: Erik Brandt-Höge GLAUBEN „Einen knappen, aber starken Gedanken für die Feiertage“ chen, entwickelt das eine ganz spezielle Dynamik, das bewirkt bei mir schon eine Gänsehaut.“ In den vergangenen Monaten habe sie in ihren Predigten auch versucht, die Dinge aufzugreifen, die alle Al- tonaer, alle Hamburger, ja letztlich alle Deutschen bewegten und noch bewegen, etwa die Politik der Rechtspopulisten, die eine Spaltung der Gesell- schaft bewirkt. Natürlich machte Knierim das in metaphorischen Ansprachen und auf biblischer Ba- sis. „Flucht ist ein Grundthema in der Bibel, ebenso wie Nächstenliebe und der generelle Umgang mit Fremden. Diese uralten, sehr intelligenten Texte sind enorm tagesaktuell. Mir fällt es schwer nach- zuvollziehen, wie sich Einzelpersonen, Institutionen und Parteien diskriminierend verhalten können und sich gleichzeitig auf christliche Werte stützen.“ Am 24. Dezember versuche sie, etwas zu sagen, was al- len „einen knappen, aber starken Gedanken für die Feiertage mitgibt“. Gleich drei Gottesdienste stehen für Knierim an, um 14, 17 und 23 Uhr. Der mittlere Termin wäre freilich der, wenn die Gemeinde auch „gerne etwas mehr von mir hören möchte. Und ich möchte dann auch mehr erzählen, zum Beispiel, was das eigentlich für Menschen in den biblischen Geschichten sind. Wer ist Josef, der erfährt, dass seine Frau schwanger ist, und der weiß, dass das Kind nicht von ihm sein kann? Wer ist Maria, die aus bescheidenen Verhältnissen stammt und gegen die Zustände ihrer Zeit rebelliert? Und wer könnte ein Josef und eine Maria heute sein?“ Zwischendurch, das weiß Knierim schon jetzt, werde sie genießen können: die volle Kirche, die Aufregung, selbst die Hektik. Schließlich würden sich die Menschen zu Weihnachten nur einen Stress machen, weil sie es schön zusammen haben wollen. Bei der Paul-Gerhardt-Kirche 2; pgk-altona.de

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