Dezember 2018

FILM 37 Under the Silver Lake In David Robert Mitchells „It follows“ wurde die Heldin von einem grau- sigen Gestaltenwandler verfolgt. Im ambitionierten Nachfolgewerk dreht der Regisseur die Perspektive nun um, heftet einen Möchtegern-Marlo- we an die Hacken einer Blondine und schickt ihn auf eine Beschattungs- Odyssee durch Los Angeles. Der Plot des Films ist dabei ebenso unüber- schaubar wie die Metropole: kein An- fang, Zentrum oder Ende, eher eine endlose Reihung skurriler Höhe- punkte. Zu Beginn lümmelt der schluffige Protagonist Sam (Andrew Garfield) auf dem Balkon seines Apartments herum. Um die halbnackte Nachbarin zu bespannen, muss er sich nicht mal von seiner Liege erhe- ben. Dann planscht plötzlich die laszive, schöne Sarah (Riley Keough) im Pool. Sam bandelt mit ihr an, doch nach einer gemeinsamen Nacht ist die Angebetete wie vom Erdboden ver- schwunden. Noch im Pyjama macht sich Sam auf die Suche nach seinem One-Night-Stand. Dabei stößt er auf eine Parade skurriler Gestalten: mordende Eulen-Frauen, obdachlose Kö- nige und den äußerst gruseligen Urheber sämtlicher Hits der Musikgeschichte. Seine ur- sprüngliche Mission verliert Sam alsbald aus den Augen, auf der „Suche nach dem roten Faden seiner Suche“ dringt er immer tiefer in die Archäologie L.A.’s vor. „Under the Silver Lake“ ist ein äußerst vergnüglicher, stets etwas neben der Spur befindlicher film noir, in dem jeder Satz mit einem großen Fragezeichen endet. (cc) AB 6. DEZEMBER R: David Robert Mitchell; USA 2018, 149 Min.; D: Andrew Garfield, Riley Keough, Grace van Patten, Jeremy Bobb ★★★★★ RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit Eine Bloggerin verpasste Ruth Bader Ginsburg voller Bewunderung den Spitznamen Notorious RBG. Durch ihn stieg die seit 1993 am höchsten US-Gericht Supreme Court amtie- rende Bundesrichterin endgültig zum Star der jungen Millenium-Generation aufs. In ihrer Doku „RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit“ setzen Betsy West und Julie Cohen der mittlerweile 85-jährigen Heldin des linksliberalen Amerikas nun ein würdiges Denkmal. Motiviert durch selbst erlittene mas- sive Diskriminierungen während ihres Jura-Studiums wurde Ginsburgs Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter seit den 1970er-Jahren immer effektiver. Ihre Strategie: exem- plarische Fälle vor den Supreme Court bringen, um dort Urteile von bundes- weiter Tragweite zu erwirken. Syste- matisch zeichnen West/Cohen die Kar- rierehöhepunkte und den positiven Einfluss Ginsburgs auf das US-Recht nach – und räumen gründlich auf mit dem Zerrbild des männerhassenden „Zombies“, als den ihre rechtskonservativen Gegner Ginsburg verunglimpfen. Bei aller Standfestigkeit in der Sa- che bewahrt sich die unermüdlich arbeitende RBG ihre Warmherzigkeit, setzt stets auf die Kraft ihrer oft brillanten Argumente und auf die Empathie ihrer Gegner, die sie unabhängig von deren Polemiken respektiert. Tolle Frau, toller Film. (misch) AB 13.DEZEMBER R: Betsy West, Julie Cohen; USA 2018, 98 Min. ★★★★★ Mary Shelley Sie ist die unbestrittene Godmother of Goth, ihr Frankenstein ein Archetyp, von dem nicht nur das moderne Gruselgenre bis heute zehrt. Auch das Privatleben der geborenen Mary Godwin war für das frühe 19. Jahrhundert ungewöhnlich, war sie doch in eine – wie man heute sagen würde – poly- amoröse Beziehung mit dem Dichter Percy Shelley verstrickt, den sie später heiratete. Genug guter Stoff für ein saftiges Biopic, sollte man meinen, noch dazu durch das brandaktuelle feministische Moment, das „Frankensteins“ Erscheinungsge- schichte innewohnt. Tatsächlich gelingt es Regis- seurin Haifaa Al Mansour auch einigermaßen, die kritische Position einer talentierten, jungen Schriftstellerin in der damals von Männern be- herrschten Literaturwelt darzustellen. Leider wird die Message zusammen mit der Spannung in der klebrigen Inszenierung komplett ertränkt. Statt eines vielschichtigen Künstlerinnenporträts ser- viert uns Al Mansour seltsam gelackte Figuren- tableaus à la „Sturm der Liebe“ und Schwurbel- dialoge, umwabert von unerträglich schwülstiger Musik. Elle Fanning macht als Mary Shelley in die- sem undankbaren Szenario eine ähnlich hölzerne Figur wie zuletzt in Nicolas Winding Refns „The Neon Demon“. Und wenn Douglas Booth als aalglatter Barbiemann mit großer Geste den wil- den Poeten und Windhund Percy Shelley gibt, setzt der „Twilight“-Flashback endgültig ein. Schade um eine hochinteressante Biografie und ein gewich- tiges Stück Literaturgeschichte. (kj) AB 27.DEZEMBER R: Haifaa Al Mansour; GB 2018, 120 Min.; D: Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge ★★★ ★★ Foto: A24 Foto: 2018 PROKINO Filmverleih GmbH

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