Dezember 2018
FILM 36 Mit „Von Menschen und Tieren“ präsentierte der isländische Schauspieler und Regisseur Benedikt Erlingsson ein ebenso skurriles wie beachtenswertes Debüt. Sein neuer Film, „Gegen den Strom“, handelt wieder vom Miss- brauch der Natur, ist aber wesentlich klas- sischer und stringenter erzählt – auch wenn Erlingsson sich einiger ungewöhnlicher Kniffe bedient (doch dazu später mehr). In Deutsch- land wird „Gegen den Strom“ als Komödie an- gepriesen. Das ist es nicht. Auch Erlingsson kann (und will) diese Einordnung nicht nach- vollziehen. Es ist, so sagt er im Gespräch, ein „environmental action arthouse thriller-dra- ma with some jokes”. Das wiederum trifft es ziemlich gut. Im Mittelpunkt dieser raffiniert gestrickten Heldengeschichte: Halla, Mitte 40, Chorleiterin (Halldóra Geirharðsdóttir). Eine angenehme, sympathische Frau – die aber ein Doppelleben als Umweltaktivistin führt. In warme Klamot- ten eingemummelt schleicht sie sich wieder- holt auf das Gebiet einer Aluminiumhütte, um durch Sabotage an Strommasten den Betrieb in der Fabrik lahmzulegen. Erst mit Pfeil und Bogen, um mit einem Stahlseil die Leitung kurzzuschließen, später mit Sprengstoff. Tatsächlich gibt es in Island von Naturschüt- zern starken Widerstand gegen die Alumi- niumfabriken; auch Benedikt Erlingsson ge- hörte einer Aktivistengruppe an. Glückli- cherweise beschloss er, seinen Protest statt auf handgreifliche auf künstlerische Weise kundzutun. Dass er mit seinem Film keines- wegs nur unterhalten, sondern auch eine Botschaft loswerden will, macht uns der Re- gisseur beständig deutlich: Der Soundtrack ist Teil der Szenerie, und zwar in Gestalt eines isländischen Instrumentaltrios und eines drei- köpfigen ukrainischen Chors. Beide sind nicht nur sichtbar, sondern greifen auch in die Hand- lung ein, fixieren gelegentlich den Zuschauer, zwinkern ihm zu – was man unterhaltsam, aber auch durchaus störend finden kann. Das ist gewollt: Denn kaum hat man sich wieder in der Geschichte verloren, bangt um Halla, die von einem Hubschrauber gejagt durch die karge, doch betörende isländische Weite hetzt, dann kickt Erlingsson einen mit seinen Musi- kern wieder aus dem Geschehen. Hey, scheint er einem mit dem Finger gegen die Brust zu stupsen, wach auf, das hier ist nicht nur eine Geschichte! Das ist auch das wahre Leben. Die beiden Musikensembles repräsentieren – wie Engelchen und Teufelchen auf der Schul- ter – die zwei unterschiedlichen Bedürfnisse, die Halla antreiben: Soll sie ihren Kampf gegen die Aluminiumhütte vorantreiben oder ihn auf- geben, um die bevorstehende, lang ersehnte Adoption eines ukrainischen Mädchens nicht aufs Spiel zu setzen? Weitere personifizierte Manifestation dieses Gewissenskonflikts ist Hallas Zwillingsschwester Ása, eine esote- risch angehauchte Yoga-Lehrerin, ebenfalls gespielt von der überragenden Halldóra Geir- harðsdóttir. Erlingsson inszeniert den inneren Kampf auf beeindruckend metaphorische Wei- se, verpackt philosophische Grundsatzfragen, einen moralischen Appell und deutliche po- litische Kritik mehr als gekonnt in einem äu- ßerst spannenden, dabei humorvollen Gewand. Maike Schade AB 13. DEZEMBER R: Benedikt Erlingsson; ISL/F/ UKR 2018; 101 Min.; D: Halldóra Geirharðsdóttir, Jóhann Sigurðarson, Juan Camillo Roman Estrada Sehr artifiziell, völlig überhöht – und unbedingt sehenswert: In Benedikt Erlingssons zweitem Film „Gegen den Strom“ nimmt eine Chorleiterin den Kampf gegen einen Industriekonzern auf GEGEN DEN STROM Bis an die Grenzen hamburg: pur Aktion! Hamburg:pur Aktion! Für eine Preview mit dem Regisseur im Skype-Interview am 3.12., 20 Uhr, im Rahmen der European Cinema Night im Aba- ton-Kino verlosen wir 40x2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „pur:strom“ an pur-verlo- sung@vkfmi.de Einsendeschluss: 2.12.
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