Dezember 2018

33 THEATER PLANET KIGALI Wemgehören Traditionen? Foto: Christina Schäfers benutzt; ähnliches passiert gegenwärtig auch in den rechten Bewegungen weltweit. Identität müs- se fixiert und beschützt werden. „Planet Kigali“ wirft einen anderen Blick auf Identität, beschreibt sie als durchlässig. Auf der Bühne entwerfen wir eine Utopie, in der Tradition zur Ressource wird, die nicht abgegrenzt und gelabelt werden muss, sondern genutzt und umgedeutet werden kann. Wie kann das Problem um Identität im Stück ver- mittelt werden? JD: Wir machen gerade die Erfahrung, dass Zuge- hörigkeiten und Identitäten sehr flexibel sind. Und in der Alltagserfahrung geht es vor allem darum, selbst die Identität festzulegen und nicht von au- ßen definiert zu werden. Zum Stück: Ein wichtiger Tänzer ist Evariste Karinganire, der seit seiner Kindheit tanzt, also seit gut 50 Jahren. Seine Kör- persprache ist ausschließlich vom traditionellen Tanz geprägt. In den Proben arbeiten wir an der Übertragung dieser Techniken, dieser Haltung auf die anderen ruandischen und die deutschen Tän- zer. Dabei verändert sich auch etwas bei Evariste. Wird die koloniale Vergangenheit auch eine Rol- le spielen? YG: Nein, aber es ist wichtig, die globalen Zusam- menhänge zu erkennen. Deshalb ist die koloniale Vergangenheit in gewisser Weise noch allgegen- wärtig. Heute – vielleicht mehr denn je – wäre es wichtig, über die deutsche Kolonialzeit zu spre- chen, die kaum einer kennt. JD: In Ruanda wird derzeit die vorkoloniale Tradi- tion total gefeiert. Es gibt überall traditionelle Tanz- gruppen, die Imigongo-Malerei ist im Stadtbild om- nipräsent. Von vielen Künstlern wird Tradition aber auch umgedeutet: Das Trauma ist sehr präsent, weil jeder Angehörige im Genozid verloren hat. Das Wort Tradition klingt in diesem Zusammen- hang belastet ... YG: Die brennende Frage ist doch, wem gehören Traditionen? Tradition ist das, was wir mit uns tra- gen. Es ist meist in der Kindheit angelegt. In „Pla- net Kigali“ widmen wir uns der langen Tradition der ruandischen Tänze. Evariste vermittelt diese Tradition an das gesamte Team, er lässt uns teil- haben an diesem Wissen. Weil das Wort Auschwitz fiel – werden Parallelen gezogen zwischen ruandischen und deutschen Traumata? JD: Die Traumata sind verschieden. Ähnlich sind die Mechanismen, wie Hass und Ausgrenzung ver- ankert wurden, die Idee einer ethnischen Rein- heit, die Bereitschaft der Täter zum „Schutz des Volkes“ Massenmord zu begehen. In Ruanda leben Täter und Opfer oft in direkter Nachbarschaft. Im Stück werden die Traumata als Untiefen der Ver- gangenheit thematisiert, die Teil der Geschichte sind. Der Fokus geht aber in die Zukunft, in der in jeder Identität mehrere Möglichkeiten stecken. Interview: Dagmar Ellen Fischer 12.–16. DEZEMBER Kampnagel (U 3 Saarlandstraße) Ruanda – niemand kann den Namen des afrikanischen Staates lesen, ohne sofort an den Völkermord an der Tutsi-Minderheit 1994 zu denken. In der Hauptstadt Kigali entstand nun ein Projekt, das dem Trauma zum Trotz eine Zukunft aus der Vergangenheit entwickelt: „Planet Kigali“, vom Hamburger Autor und Dramaturgen Jens Dietrich und der deutsch-mexikanischen Choreografin Yolanda Gutiérrez Welche Bezüge gibt es zwischen dieser Vergangen- heit und der aktuellen Produktion „Planet Kigali“? Yolanda Gutiérrez: Die Vergangenheit kann nicht ignoriert werden, aber sie ist nicht das Leitmotiv in unserem Stück. Im Tanz befassen wir uns mit Erinnerungen, „body memory“, und beispielswei- se mit der Frage: In welchen Momenten unseres Lebens waren wir glücklich? Oft liegen diese Mo- mente weit zurück in der Kindheit, also bei unseren ruandischen Tänzern vor dem Genozid. Das Leben lehrt uns, dass Trauer und Glück nicht getrennt voneinander existieren. Wir lokalisieren sie im Körper, daraus entsteht der Tanz. JD: Im Vorfeld des Genozids wurde von den Hu- tu-Tätern der Begriff „Identität“ als Kampfwort Yolanda und Jens, wie fanden deutsche und ruan- dische Künstler zusammen? Jens Dietrich: Vor einigen Jahren arbeitete ich mit dem Schauspieler, Autor und Regisseur Dorcy Rugamba an einem Stück über einen ruandischen Jugendsender, der Popmusik mit Hasspropaganda kombinierte. Unsere These war, Kultur und Pop sind keineswegs unschuldig. Seither wollte ich nach Ruanda zurück, um herauszufinden: Wie kann man weiter machen nach einem derart trauma- tischen Einschnitt? Vergleichbar mit Adornos Aus- sage, Gedichte nach Auschwitz zu schreiben, sei barbarisch. Nach einem Gastspiel von Dorcy in Hamburg entwarfen Yolanda und ich das Konzept für Planet Kigali.

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