Dezember 2017

36 Foto: Neue Visionen Filmverleih FILM Nach einem Unfall kann Ben (Pablo Pauly) nur noch die rechte Hand und den linken großen Zeh bewe- gen. Sonst: nichts. Doch er kämpft, trainiert wie besessen, macht Fort- schritte. Als die Ärztin ihm aber schließlich sagt, dass er trotzdem einen Plan B zur Sportkarriere braucht, bricht für ihn die Welt zu- sammen. Der französische Poetry-Slam- und Hip-Hop-Künstler Grand Corpse Malade, auf deutsch „Großer kran- ker Körper“, erzählt hier eine Ge- schichte, die auf seiner eigenen basiert. Der 40-Jährige war 1997 nach einem Sportunfall von der Taille abwärts gelähmt; heute kann er entgegen aller Diagnosen mit einer Krücke laufen, die sein Mar- kenzeichen geworden ist. Über sei- ne Erlebnisse hat er ein Buch ge- schrieben, das er zusammen mit seinem Freund Mehdi Idir verfilmt hat. Ein wunderbares Werk. Es ist nicht nur die humoristische, authentische Erzählweise, die die- sen Film zu einem besonderen macht. Beide Regisseure sind Langfilm-Neulinge. Idir, früher Hip-Hop-Tänzer, hat schon einen Dokumentarfilm und viele Musik- clips gedreht. Die beiden Regis- seure nutzen ihre Stärke, das Rhythmusgefühl der Hip-Hopper. Permanent wechseln sie das Tem- po, raffen, verzögern, verlang- samen bis zur unerträglichen Mo- no t on i e , un t e r legen an den richtigen Stellen mit der richtigen Musik, die zum Teil von Grand Corpse Malade selber stammt. Dazu ein paar stilistische Tricks: subjektive Kamera, Überblen- dungen, Montagen, extreme Groß- aufnahmen. Schon die ersten Minuten saugen den Zuschauer mitten rein ins Ge- schehen: Wir erleben das Erwa- chen aus der Bewusstlosigkeit im Krankenhaus aus Benjamins Per- spektive mit. Das grelle Licht, in dem sich die Gesichter von Eltern und Ärzten nur schemenhaft ab- zeichnen; die Stimmen, verzerrt, wie durch Watte; die Augenlider, die mühsam auf- und niederklap- pen. Und die absolute Hilflosigkeit, der er ausgesetzt ist, im Kranken- haus wie später in der Reha: Ben ist den Pflegekräften vollständig ausgeliefert, beim Essen, Telefo- nieren und Pinkeln. Dann die erste Ausfahrt mit dem Rollstuhl: Was für eine Euphorie! Freiheit. So klein, so traurig. Und doch unbe- zahlbar. Das klingt nach einem wahnsinnig deprimierenden Film. Ist es nicht. Ben ist ein witziger, schlagfertiger Typ, und genau wie seine neuen Freunde in der Klinik nimmt er sei- ne Lage mit reichlich Galgenhumor. Sicher, die Verzweiflung ist immer da, mal mehr, mal weniger, und manchmal nimmt sie überhand. Und dennoch genießt die rollstuhl- fahrende Klinik-Clique das Leben, zumindest gelegentlich. Was diese wenigen Momente so besonders kostbar macht. Genau wie für den Zuschauer den Augenblick, wenn er nach Filmende seine Sachen zu- sammensucht, die Jacke anzieht, aufsteht und davongeht. Einfach so, aber nicht mehr so selbstverständ- lich wie vorher. Was für ein Ge- schenk. Maike Schade Grand Corpse Malade ist einer der bekanntesten Hip-Hopper Frankreichs. In „Lieber leben“ erzählt er ebenso humorvoll wie bewegend, wie ein 20-jähriger Sportler nach einem Sprung in ein Schwimmbecken vom Hals abwärts gelähmt ist – und sich ins Leben zurückkämpft. Seine eigene Geschichte. KÄMPFER AB 14. DEZEMBER R: Grand Corpse Malade, Mehdi Idir; F 2017; D: Pablo Pauly, Soufiane Guerrab, Moussa Mansaly ★★★★★ hamburg: pur Aktion! Für eine exklusive Preview am 13.12., 20:00 Uhr, im Abaton Kino (OmU) verlosen wir 40x2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „pur:lieberleben“an pur-verlo- sung@vkfmi.de . Einsende- schluss: 11.12. LIEBER LEBEN

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