hamburg:pur November 2024

Foto: Eike Walkenhorst THEATER Fische fallen hin und wieder aus demSchnür- boden auf die Bühne. Babel-Fische vielleicht? Jene fiktiven, sprachbegabten Tierchen, die in „Per Anhalter durch die Galaxis“ in Ohren krab- beln und dort Übersetzerdienste leisten. Über- setzt, gedeutet und analysiert wird auch in der DER APFELGARTEN Abgesang auf die alte Zeit jüngsten Uraufführung amSchauspielhaus, dort indes übernimmt „Die Maschine“ diese Aufga- ben. „Die Maschine“, das sind sechs Menschen: eine weibliche Kontrollins- tanz am höchsten Punkt der hierarchisch ange- ordneten Schreibtisch- Reihe, drei männliche Speicher auf nach unten führenden Stufen, ein Kabel-Chaos-Verwalter sowie ein das Publikum ansprechender Vermitt- ler – der dem Autor des Stücks, dem 1982 verstorbenen Franzosen Georges Perec, ähneln soll. Als Karikatur eines Chatbots führen die vier Kernkompetenz-Be- standteile der Maschine (Sandra Gerling, Moritz Grove, Daniel Hoevels, Christoph Jöde) folgende Operation durch: die Analyse von DIE MASCHINE Goethe-Gedicht auf demSeziertisch Goethes berühmtemGedicht „Über allen Gip- feln ist Ruh’“. Allerdings ist der operierte Acht- zeiler nach dem Eingriff kaum noch wiederzu- erkennen – und das ist zum Brüllen komisch! Unterschiedlichste Befehle kommen von oben, von der Kontrolleurin: Zunächst erfolgt das Zerlegen des Texts in seine Komponenten (da- daistisch), dann die Rezitation in Dreier-Wort- Gruppen (sinnbefreit) und schließlich die Än- derung der Reihenfolge aller Worte nach dem Zufallsprinzip – je mehr Sinn verloren geht, desto witziger die Sprach-Variante. Nach Wort- Auslassungen und -Verdopplungen sowie dem sinnentstellenden Einbau von Verneinungen folgt die Übersetzung in „Contemporary Bo- dy-Movement“ – ebenso groteske wie komi- sche Tänze. Mit ihrem Erstling amSchauspiel- haus gelingen der Regisseurin Anita Vulesica 90 kurzweiligste Minuten, die das Zeug zum Kultstück haben, frei nach Ludwig Wittgen- stein: (Nur) Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Inszenierung. Text: Dagmar Ellen Fischer 7., 11., 16. NOVEMBER und weitere Termine; Deutsches Schauspielhaus „Komisch, sehr komisch“ fand Anton Tsche- chow sein letztes Stück „Der Kirschgarten“, das – ein halbes Jahr vor seinem Tod – 1904 in Moskau Premiere feierte. Mit ihrer gelun- genen Bearbeitung des Stoffes, die jetzt unter dem Titel „Der Apfelgarten“ am Thalia Theater uraufgeführt wurde, beweisen die Husumer Schriftstellerin Dörte Hansen („Mittagsstunde“, „Altes Land“) und der Re- gisseur Antú Romero Nunes, dass Tsche- 20 THEATER Foto: Krafft Angerer chows Humor durchaus auch eine „kattendüs­ tere“ (stockfinstere) Entsprechung imHier und Heute besitzt. Denn Hansen und Nunes holen die Handlung nicht nur in die Gegenwart, sondern verlegen auch den Schauplatz: Das heruntergewirt­ schaftete Gut im zaristischen Russland wird zu einem unrentablen Apfelhof imAlten Land. Dorthin kehrt die Hofbesitzerin Astrid von Holt (herrlich überspannt: Maja Schöne) nach lan­ ger Abwesenheit zurück – und wird sich am Ende des Stücks wieder vom Apfelacker ma­ chen, denn Haus und Garten sind inzwischen unter den Hammer gekommen. Der neue Be­ sitzer Torben (breit aufgestellt von unterwürfig bis selbstherrlich: Thomas Niehaus), ein liqui­ der Landarbeitersohn und Selfmademan, will alles plattmachen, „Tiny Häuser“ bauen und verpachten. Astrid tut derweil nichts, um den Hof zu retten, feiert stattdessen eine Party und lässt im erweiterten Familienkreis die Vergan­ genheit hochkochen. Dabei wird der Untergang alter Verhältnisse beklagt und der Verlust der Kindheit beweint, zugleich aber das moderne Leben gepriesen. Wie bei Tschechow sind alle Figuren Individua­ listen: von Astrids Tochter, die auf der Suche nach einer Zukunft ist (etwas zu leise: Lisa Hag­ meister), bis zur alten Mutter Beke (hervor­ ragend: Gabriela Maria Schmeide), die in Alt­ länder Tracht mit jungen Burschen tanzt und schließlich im Haus vergessen wird, während im Hintergrund kreischende Sägen den Fall der Apfelbäume anzeigen. Text: Julika Pohle 2., 22., 26. NOVEMBER UND WEITERE TERMINE; Thalia Theater © G2 BARANIAK VOM 03. BIS 24. NOVEMBER 2024 Heimatmuseum Uraufführung nach dem Roman von Siegfried Lenz wird getragen von

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