hamburg:pur November 2023

Foto: filmperlen Foto: Pandora Film_Anna Camerlingo FILM Joyland Bereits im vergangenen Jahr machte „Joyland“, das Langfilm­ debüt von Regisseur Saim Sadiq, von sich reden: als erster pa­ kistanischer Beitrag imProgramm der Filmfestspiele von Cannes. Die Juroren belohnten ihn direkt mit dem Jury-Preis im Wett­ bewerb „Un Certain Regard“ und der Queer Palm. Die Liebes­ beziehung zwischen einem verheirateten Mann und einer trans Frau ist jedoch nur eine Handlungsebene in dem vielschichtigen Melodram. In der pakistanischen Großstadt Lahore leben Haider (Ali Junejo) und seine Frau Mumtaz (Rasti Farooq) sowie sein Bruder Saleem (Sohail Sameer) mit dessen Frau Nucchi (Sarwat Gilani) und den vier Töchtern auf engemRaum zusammen. Gemeinsam kümmern sie sich umHaiders und Saleems Vater (Salmaan Peerzada). Die­ ser wünscht sich einen männlichen Nachkommen in der Familie Rana. Weil Haider kinderlos ist und keine Arbeit hat, muss er von seinemVater viel Kritik einstecken. Erst als er einen Job in einem Tanztheater annimmt, erhält er Anerkennung. Doch seine Frau Mumtaz, eine erfolgreiche Kosmetikerin, muss von nun an zu Hause bleiben und sich mit ihrer Schwägerin um den Haushalt kümmern. Was Haiders Vater nicht weiß: Sein Sohn arbeitet nicht – wie angegeben – als Manager im Theater, sondern als Back­ ground-Tänzer für die trans Frau Biba (Alina Khan), in die er sich bald verliebt … Neben der queeren Romanze, die dazu führte, dass der Film kurz­ zeitig in Pakistan verboten wurde, thematisiert Sadiq vor allem Transfeindlichkeit und die vorherrschenden patriarchalischen Familienstrukturen. Auf subtile Art übt er Kritik an traditionellen Rollenbildern. Diese erlauben es keiner Figur innerhalb der verstockten Familie Rana, offen so zu leben, wie sie möchte. Was die Charaktere nicht aussprechen, übernehmen stattdessen starke, kontrastreiche Bilder, erzeugt durch eine oft beobach­ tende Kamera. Das 4:3-Format visualisiert die Enge, die imHaus der Familie und auch in der Gesellschaft herrscht. Der standhafte Gegenpol dazu: Tänzerin Biba, die sich für niemanden verbiegt – eindrucksvoll gespielt von Alina Khan. Diese Stärke wird im Film versinnbildlicht, wenn Haider einen riesigen Pappaufsteller von Biba auf seinemRoller transportiert. The showmust go on – auch im Patriarchat. (sis) AB 9. NOVEMBER PAK 2022; 126 Min.; R: Saim Sadiq; D: Ali Junejo, Rasti Farooq, Alina Khan ★★★★★ Die Bologna-Entführung Nachdem der Regisseur Marco Bellocchio sich mit „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ bereits mit der Mafia auseinandergesetzt hat, widmet er sich in seinem neuen Film „Die Bologna-Entführung – Geraubt imNamen des Papstes“ der nächs­ ten Verbrecherbande. Dort die Mafia, hier die Kirche. Und in bei­ den Fällen: die Versuchung, mit Macht und Gewalt das zu nehmen, was einem nach eigenen Glauben zusteht. „Die Bologna-Entfüh­ rung“ spielt, wie der Titel bereits verrät, in der gleichnamigen ita­ lienischen Stadt am Po, anno 1858. Gleich zu Beginn des Films wird man Zeuge, wie Soldaten imAuftrag des Papstes in das Haus der jüdischen Familie Mortara eindringen, um den kleinen sieben­ jährigen Sohn Edgardo (Enea Sala) mitzunehmen. Die fadenschei­ nige Begründung: Dieser sei als Säugling heimlich von seiner Amme getauft worden, folglich müsse dieser eine katholische Erziehung erhalten. Die verzweifelten Eltern Momolo (Fausto Russo Alesi) und Marianna (Barbara Ronchi) tun alles, um ihren Sohn zurück­ zuholen. Sie wenden sich an die Öffentlichkeit, die jüdische Ge­ meinde und ziehen sogar vors Gericht. Doch Papst Pius IX. (Paolo Pierobon) und seine Kirche wirken wie ein unüberwindbares Boll­ werk. In einemKatechumenenhaus in Romwird der kleine Edgar­ do derweil zum wahren Christen umerzogen – gefangen im wär­ menden Schoß der Kirche … „Die Bologna-Entführung“ ist von einer wahren Geschichte in­ spiriert, was das eigene Kopfschütteln während des Sehens nur noch verstärkt. Regisseur Marco Bellocchio schrieb mit Susanna Nicchiarelli das Drehbuch – und besetzte die Rollen mit Darstel­ lern und Darstellerinnen, die das detailreiche historische Setting mit Leben füllen. Insbesondere der kleine Enea Sala ist eine Sen­ sation. Man merkt dem Film an, dass ein routinierter Filmemacher am Werk war: Die klassische Erzählweise, grandiose Bilder und gekonnte Schnitte haben ebenso wie die intensive, stellenweise etwas melodramatische Musik des Komponisten Fabio Massimo Capogrosso starke Wirkung. Das alles gibt dem Film zeitloses Ge­ wicht. Hierfür lohnt es sich, ins Kino entführt zu werden. (mag) AB 16. NOVEMBER I/F/D 2023; 134 Min.; R: Marco Bellocchio; D: Paolo Pierobon, Barbara Ronchi, Fausto Russo Alesi ★★★★★ 24 Unsere Möglich macher: w w w . a h o y r a d i o . d e Gutes Radio für Gute Leude M e d i e n p a r t n e r Ladet unsere App!

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