hamburg:pur November 2022

Foto: Pandora Film/23_5 FILM DRAMA Im Ausnahme- zustand Der Eröffnungsfilm des diesjährigen Filmfest Hamburg, „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ von Hans-Christian Schmid, zeigt die Reemtsma- Entführung eindringlich aus Sicht des 13-jährigen Sohnes reagiert man angemessen in einem Ausnah- mezustand? Tränen sind tabu für Mutter und Sohn. Gerade wegen des Gefühls der Ohn- macht, der Verzweiflung, versuchen sie die Kontrolle über die eigenen Emotionen nicht zu verlieren. Aus der Mülltonne im Garten fischt Johann den Vergil-Text heraus. Das Warten wird immer unerträglicher, die Spannungen nehmen zu. Polizei und Familienanwalt verpatzen jede Geldübergabe. Verzweifelte Briefe des Vaters treffen ein, Ann Kathrin bricht zusammen, aber von diesemMoment an überlässt sie Entschei- dungen nicht mehr anderen. „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Johann Scheerer, der aus seiner Sicht als 13-Jähriger jene 33 Tage bis zur Befreiung seines Vaters schildert. Regisseur und Drehbuchautor Hans- Christian Schmid („Requiem“, „Crazy“) erwei- tert die Perspektive auf Ann Kathrin Scheerer. Mit unglaublich präziser Beobachtungsgabe und Sensibilität inszeniert der Filmemacher die Atmosphäre und das emotionale Bezie- hungsgeflecht der ungewöhnlichen Schick- salsgemeinschaft – beim Kochen, bei Gesell- schaftsspielen, beim Betrachten von Action- filmen auf Videokassetten. In der Realität aber gibt es keine Superhelden. Text: Anna Grillet AB 3. NOVEMBER D 2022; 118 Min.; R: Hans-Christian Schmid; D: Claude Heinrich, Adina Vetter, Justus von Dohnányi ★★★★ ★ hamburg: pur Aktion! Für die Preview des Films „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ mit Regisseur Hans-Christian Schmid am 4.11., 19 Uhr in den Zeise Kinos verlosen wir 10 x 2 Karten. E-Mail mit Name sowie Betreff „pur: Wir sind dann wohl die Angehörigen“ an verlosung@ szene-hamburg.com . Einsendeschluss: 2.11. Hamburg, März 1996. Was Angst überhaupt ist, begreift der 13-jährige Johann (überragend Claude Heinrich) erst an jenemMorgen, als ihn seine Mutter Ann Kathrin (Adina Vetter) weckt, Jan Philipp sei entführt worden. Jan Philipp, das ist sein Vater, der Reemtsma-Erbe und be- kannte Intellektuelle. Die Kidnapper fordern 20 Millionen Mark Lösegeld, später 30 Millio- nen. Das Haus der Familie verwandelt sich noch am selben Vormittag in ein hoch techni- siertes Einsatzzentrum. Zwei Polizisten stellen sich als „Angehörigenbetreuer“ vor, sie wer- den Johann und seiner Mutter kaum noch von der Seite weichen, doch Ann Kathrin fürchtet, die Ermittlungen gefährden das Leben ihres Mannes. Durch seine Abwesenheit ist der Vater präsen- ter, übermächtiger denn je für Johann: Ihn quä- len Schuldgefühle, amAbend hatten die beiden noch gestritten über die dem Jungen verhass- te Vergil-Lektüre. Er rebelliert, fühlt sich er- drückt von den Anforderungen, empfindet nun aber Scham über seine Erleichterung, die Lateinarbeit nicht schreiben zu müssen. Wie 22 23 Land of Dreams Ein Staat, der die Träume seiner Bürger abfragt, um so einen Zugang zu ihrer Psyche zu erhalten, erscheint im 21. Jahr- hundert gar nicht mehr so utopisch. Folglich könnte man „Land of Dreams“ fast als Abbild der Realität sehen. Tat- sächlich aber ist diese Satire in der Regie des iranisch- stämmigen und in New York lebenden Duos Shirin Neshat und Shoja Azari eine surreale Erkundungsfahrt in die ame- rikanische Gesellschaft und eine groteske Auseinander- setzung mit ihr. Simin (Sheila Vand), eine verschlossen-zurückhaltende Frau mit iranischen Wurzeln, befragt Menschen in einer gar nicht so fernen Zukunft imAuftrag der US-Regierung nach ihren Träumen. Ohne ihre Arbeit sonderlich zu hinterfragen, fährt sie irgendwo imMittleren Westen von Haustür zu Haustür. Einige erzählen ihr bereitwillig von diesen intimen Momen- ten, andere lehnen misstrauisch, manchmal auch ungläu- big ab. Nach Feierabend verwandelt sich Simin in die von ihr Befragten, spricht ihre Träume auf Farsi und veröffent- licht diese Filmchen auf Social Media. Eines Tages wird sie für einen Spezialauftrag auserwählt: Sie soll die besonders renitenten Menschen einer irani- schen Kolonie zu Antworten bewegen und wird dabei mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Ihr Vater starb als Revolutionär bei Aufständen gegen den islamistischen Staat. Für diesen Job wird ihr Alan (Matt Dillion), ein zyni- scher Macho-Cowboy, als Aufpasser zur Seite gestellt. Außerdem taucht immer wieder Mark (William Moseley), ein sanfter, herumstreunender Freigeist, wie aus demNichts auf und erklärt ihr beim ersten Treffen seine Liebe. Basierend auf einer aufwendig von Neshat recherchierten Vorlage haben Azari und der im vergangenen Jahr gestor- bene Jean-Claude Carrière das Drehbuch verfasst, der langjährige Co-Autor von Luis Buñuel. Als Reminiszenz an dessen surreale Arbeiten lässt sich daher „Land of Dre- ams“ auch lesen. Ein Film, der mit seinen episodenhaften Szenen einen elegischen Sog entwickelt, dem sich kaum zu entziehen ist, dem bedrückenden wie skurrilen Szena- rio ohnehin nicht. (bs) AB 3. NOVEMBER D/USA 2021; 113 Min.; R: Shirin Neshat, Shoja Azari; D: Sheila Vand, Matt Dillon, Isabella Rossellini ★★★ ★★ FILM Foto: W-film/Ghasem Ebrahimian/Bon Voyage Films/Palodeon Pictures Im Handel oder online über shop.szene.hamburg.com AUSBILDUNG SPEZIALNR.3 SZENEHAMBURGAUSBILDUNG2022 €7,50 HAMBURGS AUSBILDUNGS- GUIDE ISBN978-3-946677-79-6 SPEZIALNR.3 2022 |€7,50 AUF IN DIE ZUKUNFT AZUBISERZÄHLEN VonHöhen,Tiefenund Herausforderungen DERWEG ISTDASZIEL Geschichten,Karrieren undTräume ENTSCHEIDERREDEN Werüberzeugenwill, sollte sichgut vorbereiten 001_Titel_22 1 17.10.2022 15:26:09 Jetzt NEU / ElfriedeJelinekFilm AB 10. NOVEMBER IM KINO Copyright:KarinRocholl Jelinek E L F R I E D E D I E S P R A C H E V O N D E R L E I N E L A S S E N E I N F I L M V O N C L A U D I A MÜ L L E R

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