hamburg:pur November 2022
Foto: Arno Declair THEATER DEUTSCHES SCHAUSPIELHAUS „Das Stück schießt lustvolle Giftpfeile in jede Richtung“ Wie wäre es, wenn nicht Familienbande, sondern ein Losverfahren entscheidet, wer von wemwie viel Geld erbt? Davon erzählt Nora Abdel-Maksouds Stück „Jeeps“ in der Inszenierung von Heike M. Goetze Frau Goetze, 400 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich vererbt. Experten raten zur Re- form der Erbschaftssteuer. Wie finden Sie den Vorschlag, Erb- schaften grundlegend anders zu regeln? Heike M. Goetze: Die Grundsituation, die Nora in ihremStück beschreibt, ist faszinierend. Was sie macht, ist erst mal utopisch und so nicht existent, nämlich zu sagen: Niemand erbt mehr aufgrund seiner Herkunft, sondern man muss ein Los im Jobcenter beantragen, und wenn der Antrag durch ist, darf man ein Los ziehen, aber womöglich ist es eine Niete. Ich finde es großartig, dass sie gesellschaftsrelevante, ak- tuelle Themen bearbeitet, welche wir ganz kon- kret aus dem Leben kennen, und diese Situa- tion ad absurdum führt. Dass wir uns durch dieses Stück mit der Frage auseinandersetzen dürfen: Ist erben gerecht? Das finde ich richtig. Die Autorin hat ihr Stück zur Uraufführung selbst inszeniert, haben Sie das angeschaut oder es bewusst vermieden? Ich schaue mir immer alles an, was es zu sehen und zu lesen gibt, das ist für mich Ent- deckung von Material, Recherche. Nora ist eine begabte Schreiberin und sicher eine der lustigsten. In ihren Arbeiten zeigt sie eine klare Handschrift, aber da ist trotzdem viel möglich für die eigenen Erkennungen und Re- giegedanken. Und wie sind die eigenen Erkennungen? Mich interessiert die Zwei-Klassen-Gesell- schaft imStück. In „Jeeps“ die Enterbten und die Entrechteten. Die lustvollen kleinen Gift- pfeile, welche sie in jede Richtung schießt, so- dass es dir in deinem eigenen kleinen morali- schen Kuschelraum einfach nicht mehr so wohl ist. Mich interessiert die radikale Komik, mit der sie das Thema angeht und auch, wie es dann irgendwann einfach nur noch schreck- lich wahrhaftig wird. Du erkennst dich in furcht- bar vielen Dingen wieder, darfst lachen und im nächsten Moment versteckst du dich. Zurzeit haben viele Menschen Geldsorgen, außerdem kommt im Stück eine Hartz-IV- Empfängerin vor – könnten bestimmte ko- mische Momente vom Publikum eventuell als Hohn oder Häme missverstanden wer- den? Wenn die Autorin nicht so intelligent wäre, und wir das nicht auch mitdenken würden, könnte es so sein. So aber glaube ich, dass es ein Ka- talysator sein kann, dadurch, dass es diese riesige gesellschaftliche Spaltung aufzeigt und es immer wieder Verweise gibt, dass unser Sys- tem in vielen Bereichen nicht funk- tioniert und für den Einzelnen keine sinnhaften Lösungen parat hat. „Jeeps“ spielt in einem Jobcen- ter, Sie sind für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich, wo- von hängt es ab, ob Sie auch die Ausstattung übernehmen? Regie und Kostüme mache ich im- mer. Das geht auf meine Begeg- nung mit der Kostümbildnerin Inge Klossner zurück. Mein Zugang passiert viel über das Material, welches Figuren tragen. Mich interessiert die stoffliche Welt, welche zu uns spricht. Ob ich das Bühnenbild mache, ist abhängig von der Thematik, entweder kriege ich einen Impuls oder ich weiß intuitiv, ich lasse es. Welche Impulse reizen Sie als Regisseurin? Ich empfinde diesen Beruf als totales Privileg. Wir treffen uns und dürfen Fragen stellen, dür- fen Möglichkeitsräume eröffnen, welche im besten Fall zumDenken anregen. Das ist doch herrlich. Zudem hat der Beruf ein sehr gerin- ges Risiko: Wir dürfen denken! Das kostet nichts und ist nicht gefährlich. Interview: Dagmar Ellen Fischer 18. (PREMIERE), 27. NOVEMBER und weitere Termine; Deutsches Schauspielhaus (Malersaal) Foto: Heike M. Goetze Heike M. Goetzes Inszenierung von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ 20 Foto: Karim Khawatmi THEATER Die Großherzogin von Gerolstein Wenn sich Blaublüter ungefragt in Regierungs- angelegenheiten einmischen, sehen das Be- rufspolitiker höchst ungern. Ein Komponist hingegen darf das: Jacques Offenbach machte das aktuelle politische Geschehen seiner Zeit in seinen Bühnenwerken gern zur Zielscheibe. So auch in der „Großherzogin von Gerolstein“, wo er genau diese Unmündigkeit der Adeligen thematisiert: Besagte Großherzogin fordert plötzlich mehr Entscheidungsgewalt in ihrem (fiktiven) Reich, sie wählt sich spontan einen Heiratskandidaten aus der Regimentsparade aus und riskiert damit einen Krieg. Offenbachs Operette gibt sowohl die Verherrlichung des Militärs als auch die Naivität des Adels gekonnt der Lächerlichkeit preis. Auch Regisseur Ana- tol Preissler erlaubt sich einige Freiheiten und überarbeitet das Libretto im Sinne heutiger Sehgewohnheiten. (def) 24. (PREMIERE), 26., 28.–30. NOVEMBER und weitere Termine; Ernst Deutsch Theater Kulturlaub mit der MIT DER NDR KULTUR KARTE ZU ERMÄ ß IGTEN PREISEN KULTUR IN NORDDEUTSCHLAND ERLEBEN. Mehr erfahren unter ndrkulturkarte.de www.cavalluna.com E UROPAS BELIEBTESTE P FERDESHOW IST ZURÜCK! 28. - 29.01.23 Hamburg Barclays Arena EinHerz für 21
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