Hamburg Pur - November 2021

Foto: Alpenrepublik Das Landmeines Vaters Allzu oft wird – nicht nur in Filmen – das Leben und Arbeiten von Bauern romantisiert. Dass die Realität hingegen scho- nungslos ist, zeigt das autobiografische Spielfilmdebüt des Dokumentarfilmers Edouard Bergeon. Pierre ist voll Lebenslust, Motivation und Liebe für seine Ver- lobte Claire, als er Ende der 1970er-Jahre aus Wyoming in seine französische Heimat zurückkehrt, um den Hof seines Vaters zu übernehmen. Mit Tatendrang und neuen Ideen plant er, diesen zu modernisieren, um konkurrenzfähig zu sein. Et- liche Jahre später – Pierre und Claire haben mittlerweile zwei jugendliche Kinder – muss er jedoch feststellen, dass die Mühe und Arbeit bis zur Erschöpfung vergebens sind. Die Schulden steigen, während die Bereitschaft der Konsumen- ten, einen angemessenen Preis für Nahrungsmittel zu zahlen, sinkt. Die kritische Lage verschlechtert sich, als eines Tages die Scheune mitsamt dem Vieh in Flammen steht. Der Protagonist in „Das Land meines Vaters“ ist Opfer eines nach unendlichemWachstum und Konsum strebenden Sys- tems, dessen Perversion Kleinbauern zu Massentierhaltung und Monokulturen zwingt. Seine unterstützende Familie muss ohnmächtig dabei zusehen, wie er langsam an diesem Sys- tem zerbricht. Regisseur Bergeon erzählt nicht nur die persönliche Geschich- te seines Vaters, sondern adressiert damit auch die bedauer- licherweise noch immer hochaktuellen Missstände der in- dustriellen Landwirtschaft. Visuell eindrucksvoll setzt Kameramann Éric Dumont die fran- zösische Provinz in Szene: Die kraftvolle Farbgestaltung und Ästhetik seiner Bilder stehen dabei in zynischem, ja fast höh- nischem Kontrast zu Pierres endloser Verzweiflung. Gleich- zeitig verleiht nicht zuletzt die starke schauspielerische Dar- bietung der Erzählung Authentizität – von der sichtbar arti- fiziellen Halbglatze, die Guillaume Canet wohl in Anlehnung an den Vater des Regisseurs verpasst wurde, einmal abge- sehen. „Das Land meines Vaters“ ist ein wichtiger Film. Er wirft einen besonderen Blick auf die tiefgreifenden Probleme der Agrarindustrie und stellt die Frage nach demPreis unse- rer Nahrung. (rk) AB 18. NOVEMBER F, BEL 2019; 103 Min.; R: Edouard Bergeon; D: Guillaume Canet, Veerle Baetens, Anthony Bajon ★★★ ★★ Platzspitzbaby Platzspitz, mitten in Zürich, Anfang der 90er-Jahre: Die offene Dro- genszene boomt. Verlorene Menschen aus dem ganzen Land zieht es in den berüchtigten Park, um Drogen zu kaufen und zu konsu- mieren. Sogar ihre Kinder bringen sie mit auf den Platzspitz. Nach der Auflösung der offenen Drogenszene 1995 werden ebendiese Kinder ihrem Schicksal überlassen. So auch Mia (Luna Mwezi). Mit ihrer heroinsüchtigen Mutter Sandrine (Sarah Spale) zieht die Elf- jährige in ein verschlafenes Städtchen im Züricher Oberland. Die warme Landidylle und die kurze Drogenabstinenz der jungen Mutter können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der nächste Rückfall bereits bevorsteht. Die brutale Realität lässt Mia in eine poetische Fantasiewelt flüchten, in der sie ihre Sorgen mit ihrem imaginären Freund Buddy teilt. Im echten Leben gibt ihr eine neue Freundesclique Halt. Trotz Gewalt, Ablehnung und Enttäuschung hält Mia stets zu ihrer verzweifelten, herrschsüchtigen Mutter. Die- se jedoch erstickt jeden Hoffnungsschimmer ihrer Tochter imKeim. Mia droht an der Hilflosigkeit zu zerbrechen, wie Sandrine an den Drogen. Regisseur Pierre Monnard („Recycling Lily“) erzählt mit „Platzspitz- baby“ die Geschichte eines vergessenen Kindes. Durch die Augen dieses Kindes schauen wir auf die teuflische Zerstörungswut der Drogen, werden Zeugen menschlicher Sehnsucht nach Liebe und Sicherheit und erkennen das emotionale Dilemma, in dem sich Mia befindet. Aus Abhängigkeit und Liebe schützt sie ihre Mutter, nach deren Aufmerksamkeit sie so sehnsüchtig lechzt. Dabei grenzt die rohe Brutalität, mit der Sandrine ihrer Tochter begegnet, ans Un- erträgliche. Wenn sie ihr Schuldgefühle macht, sie für den Kauf von Drogen benutzt oder den schmerzhaften Satz „Ich schlage dich ka- putt“ schreit, sieht man in Mias Augen unendlichen Schmerz. Die Performance der Newcomerin Luna Mwezi lässt einen die Emotio- nen förmlich am eigenen Leibe spüren. Auch Sarah Spale überzeugt in der Rolle der wilden, intensiven Sandrine. Spannend inszeniert Monnard auch den Kontrast zwischen zwei Welten: Dem dunklen, harten Drogendrama steht die bunte, von Feuerwerken und ersten Küssen geprägte Welt der Teenager-Clique gegenüber. Ganz im­ Sinne der von Sibylle Berg in ihrem gleichnamigen Roman beschrie- benen „GRM“-Kids (GRM= Abkürzung für die Musikrichtung Grime), kämpfen hier von ihren Eltern gebrochene Jugendliche gegen den Rest der Welt. (am) AB 18. NOVEMBER CH 2020; 100 Min.; R: Pierre Monard; D: Luna Mwezi, Sarah Spale, Anouk Petri ★★★ ★★ Foto: Nordoest Films FILM 42 Foto: Lilja Jóns/Go to Sheep FANTASY FILMFEST Vom 31. Oktober bis zum 7. November gibt es imSavoy Filmtheater acht Tage Horror, Splash und Trash vom Feinsten. Kurz: das Fantasy Filmfest. 37 Filme gibt’s zu sehen, einer grau- envoller als der andere – im positiven Sinne natürlich! Denn um das Grauen geht es bei dieser Sammlung von Filmen aus unterschied- lichsten Genres zumindest auch – vom Thriller über Science-Fiction bis hin zum blanken Hor- ror gibt es jede Menge Special Interest. Jede Menge „Filme, die aus der Reihe tanzen, auf- fallen, fordern und überfordern, mit Konven- tionen brechen und provozieren“, wie das Film- fest betont. Der Eröffnungsfilm „Gunpowder Milkshake“ (Foto) lässt es ordentlich knallen, besonders sehenswert scheint auch der is- ländische Horrorfilm „Lamb“ mit Noomi Ra- pace zu sein. Seit 35 Jahren ist das Fantasy Filmfest ein Muss für alle Cineasten mit Faib- le zum Gruseln. (mag) FILM Appetit auf Neues? Hier geht s Jetzt auc im WEB www.genussguide-hamburg.com ESSEN+TRINKEN SPEZIALNR.34 2021/2022 |€12,50 ISBN:978-3-946677-64-2 www.genussguide-hamburg.com So is(s)tHamburg nachdemLockdown Genuss-Michel2021 Wiegut sindwir? Newcomer trotzen derPandemie Woes imUmland schmeckt DERSZENEHAMBURG Cover_final_4c_130921.indd 1 _4c 13.09.21 12:34 JETZT AM KIOSK! GastroGuide_210x280mm_PSO.indd 1 20.09.21 14:14 Unbenannt-1 1 24.09.21 19:46 43

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