Hamburg Pur - November 2021
34 Foto: Jochen Quast Deutschlandpre- miere von „Harry Potter und das ver- wunschene Kind“ Für Millionen von Fans war es Höhepunkt und Trauerfest zugleich, als im Jahr 2007 mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ der siebte und letzte Band der alle Verkaufsrekorde sprengenden Jugendbuchreihe erschien. Zehn Jahre lang hatte man mitgefiebert, wenn Zauberschüler Harry gegen die dunklen Mächte rund um Lord Voldemort antrat, bis er beim finalen Kräftemessen der Zauberstäbe dem schwarzen Magier den Garaus machte. Die Ver- filmung fand dafür imNachhinein noch einmal spektakuläre Bilder – und das sollte es jetzt ein für alleMal gewesen sein? Die Zauberschule Hogwarts schließt ihre Türen und die Potter- Fans bleiben für immer in der entzauberten Welt der Muggels zurück? Eine Schreckens- vision, die Autorin Joanne K. Rowling schon im Jahr 2015 zu bedeutungslosem Staub zerfal- len ließ, als sie verkündete, sie schreibe an einem Theaterstück mit dem Titel „Harry Pot- ter und das verwunschene Kind“, das inhalt- lich dort ansetze, wo der letzte „Harry Potter“- Band nach einem 19-jährigen Zeitsprung ende: Inzwischen ist Harry Angestellter im Zauberei- Ministerium und Vater von drei Kindern. Als sein Sohn Albus Severus Potter Schüler von Hogwarts wird, rufen er und sein neuer Freund Scorpius Malfoy erneut die dunklen Mächte auf den Plan. Klar, dass die drei Freunde Harry, Ron und Hermine ihnen sofort zu Hilfe eilen. Uraufgeführt 2016 am Londoner Palace-Thea- tre, feierte das Stück auch am New Yorker Broadway, in Melbourne und San Francisco Erfolge. Wegen Corona mehrmals verschoben, findet die Deutschlandpremiere des an Büh- neneffekten reichen magischen Spektakels am 5. Dezember im Mehr! Theater am Groß- markt statt – und ist natürlich nicht nur etwas für Harry-Potter-Anhänger, sondern für alle. (si) harry-potter-theater.de moderne Geschichte. Auch klassische Rollenverhältnisse werden von Thomas Mann infrage gestellt, etwa wenn die we- sentlich ältere Madame Houpflé den jun- gen Felix verführt. Kann man da nicht schon von Prostitu- tion sprechen, wenn Felix als Liftboy gegen Bezahlung mit weiblichen Gäs- ten des Nobelhotels ins Bett geht? Das ist eine der Szenen, die häufig auf unserem Probenplan stehen, weil wir noch herausfinden wollen, wie viel Lust dabei von Felix’ Seite mit imSpiel ist. Wa- rum lässt er sich auf eine solche Sache ein – wobei er ja auch seine Grenzen kennt? Wie geht ihr damit um, dass der Stoff ursprünglich kein dialogisches Thea- terstück, sondern ein Roman ist? Wir spielen eine Theaterfassung von John von Düffel. Am Anfang wird viel im Rückblick erzählt, aber je weiter das Stück fortschreitet, desto dialogischer wird es. Felix zieht ja ständig das Begeh- ren der anderen auf sich. Da ist das Spiel der anderen dann die treibende Kraft. Treibende Kraft in Georg Münzels In- szenierung sind ja auch oft die schnel- len Schnitte beziehungsweise Szenen- wechsel, wie in „Absolute Giganten“, wo du den Floyd gespielt hast. Können wir bei „Felix Krull“ Ähnliches erwar- ten? Zum Teil. Es wird auf jeden Fall eine außergewöhnliche Umsetzung. Wir spie- len viele Szenen in unterschiedlich gro- ßen Bilderrahmen, wobei sich das Spiel dann überbordend aus den Rahmen he- rausbewegt. Auch die Kostüme sind sehr besonders … Auf den ersten Blick wirkt der Roman „Felix Krull“ viel weniger komplex als vieles was Thomas Mann zu Papier ge- bracht hat. Man denke an den „Zauber- berg“ oder den „Doktor Faustus“. Wa- rum hat er sich trotzdem ein Leben lang mit diesem Stoff beschäftigt? In diesem Roman steckt viel Autobio- grafisches. Ich glaube, dass Mann bis an sein Lebensende nach seiner eigenen Identität gesucht und sich immer wieder die Frage gestellt hat, wie viel er von sei- ner Homosexualität ausleben darf. Span- nend wäre zu wissen, wie die Geschich- te weitergehen sollte. Der Roman ist ja Fragment geblieben. Das heißt, von Düffel hat das Ende ebenfalls offengelassen? Bei ihmwird es zum Ende hin sehr anar- chisch und chaotisch. Das übernehmen wir. Aber es gibt noch Spielraum für ein konkretes Ende. Was reizt dich persönlich an der Rolle des Krull? Das ist eine Figur, wie ich sie noch nie gespielt habe und die man sich durch ein sehr feines Spiel erschließen muss. Das absurde Spiel mit großen Gesten, das sonst eher meine Sache ist, kommt dies- mal von den anderen Figuren. Außerdem spiele ich erstmals eine Figur, die deut- lich jünger ist als ich. Auch das finde ich spannend. Du sagtest, dass Felix Krull auf der Su- che nach seinem Platz in der Gesell- schaft ist. Siehst du eine Parallele zwi- schen dieser Figur und der des Floyd, die du in „Absolute Giganten“ gespielt hast? Floyd heuert ja als Seemann an und will seine Heimatstadt Hamburg verlassen. Da gibt es tatsächlich Gemeinsamkeiten, was das Gefühl anbelangt, nicht dazu zu gehören und sein Glück woanders ver- suchen zu wollen. Aber bei Felix handelt es sich ummehr als einen bloßen Tape- tenwechsel. Sein Inneres wird regelrecht ausgewaschen und neu gefüllt. Felix Krull ist die erste Rolle, die du nach demShutdown übernommen hast. Wie hast du die Corona-Zeit überstan- den? Ich habe gelesen, du hast Käse verkauft … Der erste Lockdown kam einen Tag vor der Premiere von Meyerhoffs „Alle Toten fliegen hoch – Amerika“. Das scheint ewig lange her. Andererseits kommt es mir nur wie ein Monat vor, weil inzwischen so viel passiert ist: Meine zweite Tochter wurde geboren, und ich bin jetzt Verkäufer auf demWochenmarkt. Die Leute mögen die Geschichte von dem Schauspieler im Lockdown, der Schweizer Käse verkauft. Sie fiebern mit und hoffen, dass es mit der Kultur weitergeht. Aber nur ein biss- chen, damit es auch morgen noch Käse gibt. (lacht) Das heißt, deine Kunden kennen deine Geschichte? Die meisten. Ich glaube, von denen kom- men jetzt auch viele ins Theater, um sich den Käseverkäufer einmal auf der Bühne anzugucken. Interview: Sören Ingwersen „BEKENNTNISSE DES HOCHSTAP- LERS FELIX KRULL“, Altonaer Theater, 4.–7., 9.–13., 17.–20., 24.–27.11. THEATER Foto: Armin Smailovic THEATER „Neon“ erzählt vom Selbstmörder Neal, der einen Abschiedsbrief nach (!) seinem Tod schreibt und darin gesteht, dass er zeitle- bens ein Heuchler war, immer gierig nach Bewunderung und demApplaus der anderen. Warum dieser Text jetzt? Sebastian Zimmler: Als ich „Neon” das erste Mal las, hatte ich sofort (Theater-)Bilder im Kopf. Ich sah den Protagonisten dieser Story als eine Art Alter Ego: einen Spieler, der auf der Bühne steht und viel Zeit und Mühe investiert, um vor anderen als beeindruckend und „au- thentisch“ dazustehen, daran aber schmerz- voll scheitert. Mit diesem Stoff hatte ich vor längerer Zeit ans Intendantenbüro geklopft, aber erst die Pandemie öffnete mir dieses Jahr die Tür zur Studiobühne. Rechnen Sie damit, dass das Publikum den Autor und seine Bedeutung kennt? Ich kenne tatsächlich nur wenige Menschen, die ihn gelesen haben, dennoch ist er längst kein Geheimtipp mehr. Und wenn ich den Text zum Anlass nehme, die Figur des Heuchlers zu performen, sollte das natürlich auch exklu- siv, ohne Hintergrund von Werk und Autor, funktionieren. In „Neon“ geht es um einen Selbstmörder, es gibt also diese Parallele zum Leben des Au- tors. Wie gehen Sie damit um? Auch wenn für mich der Suizid von David Fos- ter Wallace in dieser Erzählung eine Gänsehaut verursachende Präsenz hat, ist es mir doch wichtig, zwischen Werk und Biografie des Au- tors zu unterscheiden. Das Geschriebene ist groß und stark und bedarf gewissermaßen kei- ner Perspektivierung auf den Autor. David Foster Wallace war Mathematikgenie, Tennis-Ass, Hochschullehrer und Autor. 2008 nahm er sich im Alter von 46 Jahren das Leben. Seine Erzählung „Neon in alter Vertrautheit“ bringt Thalia-Schauspieler Sebastian Zimmler nun auf die Bühne THALIA GAUSS „Seine Bücher habenmich geprägt “ Wie würden Sie den eigenen Maßstab formu- lieren, demAutor mit dieser Inszenierung ge- recht zu werden? Ich bin ein großer David-Foster-Wallace-Fan und habe alle seine Bücher gelesen. Sie haben mich geprägt, verändert und mein Schaffen als Schauspieler beeinflusst. Ich würde gerne so spielen können, wie er geschrieben hat: eine Intimität herstellend, der man sich schwer ent- ziehen kann und die so unterhaltsam ist und doch immer ernsthaft, moralisch aufgeladen und stets unironisch. In „Neon“ heißt es: „InWahrheit ist das Ster- ben nicht schlimm; es dauert nur ewig lange. Und ewig nimmt keine Zeit in Anspruch.“ Kommentieren Sie solche Sätze durch Ihr Spiel? Es geht um die Behauptung, „dass die Nano- Sekunde zwischen dem Eintreten des klini- schen Todes und ‚dem, was danach passiert‘, in Wirklichkeit unendlich ausgedehnt ist“. Den Gedanken, dass die Zeit in Wirklichkeit nicht entlang einer Geraden verläuft, muss ich als Spieler zunächst gar nicht kommentieren. Ihn zu denken, ist schon schwer genug. Sie arbeiten mit Projektionen, welche Funk- tion erfüllen sie? Die Projektionen sollen helfen, eine Nähe und Gleichzeitigkeit zu erzeugen, in der Vergan- genheit und Zukunft Illusionen der Gegenwart sind. Wenn man so will, eine Art Doppelbelich- tung und auch eine Lupe, unter der wir den Blender sehen. Dass Texte – oder Kunst allgemein – aus eige- nem persönlichem Leiden geboren werden, würde der Autor vermutlich nicht gelten las- sen, wie schauen Sie auf dessen schriftstel- lerisches Werk unter diesem Aspekt? Seinen hyperempfindlichen Sinn für Bilder, in denen lässiges Beobachten und äußerste Ver- letzbarkeit zusammenfließen, finde ich phä- nomenal. Ich sehe David Foster Wallace auf einer Linie mit Balzac und Dostojewski! Interview: Dagmar Ellen Fischer „NEON IN ALTER VERTRAUTHEIT“, Thalia Gauß, 12. NOVEMBER (Urauffüh- rung), 24. NOVEMBER und weitere Termine 35
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