November 2020

Foto: Arno Declair THEATER Mit Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ inszenieren Sie ein Stück, das mit seinemSprachdialekt und seinen Anspie- lungen auf den Nationalsozialismus in Wien Anfang der 1930er Jahre verortet ist. Worin sehen Sie die Aktualität des Stoffs? Das Stück aktualisiert sich fast täglich durch das, was wir an Zerrüttung, Verschiebung und Verschüttung im Bereich der Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, der Politik oder der Identitätsängste des Einzelnen erleben. Die Bedeutung des Geldes, das Sich-Definieren über Sprache, das Aneignen von etwas, das mir nicht gehört. Das alles ist so erschreckend aktuell, dass ich manchmal bei der Arbeit ganz traurig werde und mich frage, wo wir uns ge- sellschaftlich eigentlich hinbewegen. Marianne soll nachWunsch ihres Vaters den solventen Metzger Oskar heiraten. Aber sie entscheidet sich für den mittellosen Alfred und erlebt den sozialen Abstieg. Horváth führt uns eine kalte, distanzierte Gesellschaft vor, in der man sich beschimpft und ausnutzt, die keine Menschlichkeit mehr kennt. Sehen sie ähnliche gesellschaftliche Tendenzen auch heute? Horváth hat eine „Gebrauchsanweisung“ für die Aufführung seiner Stücke geschrieben, wo- rin er sehr schön beschreibt, was es heißt, das SCHAUSPIELHAUS „Was dort an Widerwärtigem und Asozialem lauert“ Am Schauspielhaus schaut Regisseurin Heike M. Goetze mit Ödön von Horváths „Geschichten aus demWiener Wald“ hinter die bürgerliche Fassade – und entdeckt dort eine Sehnsucht, die an den Wahrnehmungs­ rastern der Außenwelt zerbricht 25

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