November 2018

36 THEATER THEATER rend gewesen sein, diese Opfer gebracht und ver- gebens gekämpft zu haben. Alles war umsonst: Die Durchleuchtbarkeit jedes einzelnen ist heute noch viel schlimmer, und es wurde eine Familie zerstört. Aber keine Ideale oder Utopien mehr zu haben, kann auch nicht die Lösung sein … Es ist gut, sich zur Wehr zu setzen. Aber man kann nicht allgemein sagen, Widerstand ist richtig. Und die Demokratie halte ich immer noch für das be- ste aller gesellschaftlichen Systeme. Es gibt genug historische Beispiele, wo Recht zu Unrecht und damit Widerstand zur Pflicht wurde… Richtig, und ich bin froh, dass sich Menschen im Hambacher Forst engagieren, das finde ich toll, weil die etwas infrage stellen, aber ich wüsste da auch keine Lösung. Man kann ja nicht sagen: Es gibt grundsätzlich keine Enteignung, aber in dem Fall machen wir mal eine Ausnahme. Oder anders formuliert: Gelten für Rechtsbrüche von links an- dere Maßstäbe als für Rechtsbrüche von rechts? Ist deine Sicht, die Perspektive der Autorin, im Stück zu erkennen? Am ehesten in der ehemaligen Kämpferin und Pro- tagonistin, die im Stück Mutter einer Tochter ist. Sie steht der Vergangenheit negativ gegenüber, es sei totaler Unsinn gewesen und habe nichts verändert. Du führst Regie beim eigenen Stück, birgt das nicht auch eine Gefahr, gerade bei dem persön- lichen Thema? Nein, es vereinfacht die Sache sehr. Ich kann gut erklären, was ich meine. Interview: Dagmar Ellen Fischer AB 2. NOVEMBER Sprechwerk ENTWAFFNUNG „Wir gebenauf“ Foto: G2 Baraniak Nach der Verurteilung zu mehrjährigen Haftstra- fen kamen die beiden Kinder in andere Familien – und sind nie wieder zu den Eltern zurückgekehrt. Das wirft die Frage auf, ob es wichtiger ist, sich um das große Ganze oder die Menschen in der unmittelbaren Umgebung zu kümmern… Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Die Eltern damals haben sich gesellschaftlich ein- gemischt, weil sie für ihre Kinder eine bessere Zukunft wollten. Doch das Tragische: Sie wurden verurteilt aufgrund der Vermutung, einen Sen- demast gesprengt zu haben. Einen Sendemast! Verglichen mit heutigen Kommunikations- und Überwachungsmöglichkeiten, war das ein Witz! Aber von ihren Kindern müssen sie sich heute fragen lassen: Warum habt ihr euch dieser Ge- fahr ausgesetzt? Und dafür den hohen Preis bezahlt, ein Leben mit den Kindern zu verpassen. Wertest du in dei- nem Stück? Ich hoffe, dass es offen genug ist, damit man merkt, jeder muss sich individuell entscheiden. Heute verurteile ich Aktionen wie Autos abzufackeln und Menschen in Gefahr zu bringen. Passiven Wider- stand lasse ich gelten. Aber es muss doch frustrie- „Entwaffnung“ ist eine vom Aussterben bedrohte Vokabel. Dennoch gab Konstanze Ullmer – Regisseurin und Intendantin des Hamburger Sprechwerks – ihrem Dramen-Debüt diesen Titel. Und tritt sie erstmals als Autorin in Erscheinung, mit einem ebenso politischen wie persönlichen Stück über das Bereuen Was brannte dir so unter den Nägeln, dass du dein erstes Theaterstück schreiben musstest? Konstanze Ullmer: Die Frage, was ist aus unseren Utopien geworden? Sie stellte sich mir, als ich einen Zeitungsartikel über die ETA las, die sich auflöste und ihre letzten Waffenlager räumte. Ich fragte mich, was geht in solchen Leuten vor, die 30 Jahre im Untergrund für ein Ziel gekämpft ha- ben und sich dann eingestehen müssen: wir sind gescheitert, wir geben auf. Warum hat dich dieses Thema so berührt? Ich selbst habe auch eine Revoluzzer-Vergangen- heit. In den 80er Jahren lebte ich in der linken Szene. Nach einer riskanten Aktion bin ich von der Polizei aufgegriffen und tagelang festgehalten worden. Doch wenn ich daran zurückdenke, verst- ehe ich meine eigene Vergangenheit nicht mehr. Damals dachte ich, der Zweck heiligt die Mittel. Heute bin ich davon überzeugt, dass Demokratie nur funktioniert, wenn die Gesetze für alle gelten. Deine Erfahrungen aus den 80er Jahren fließen nun in die „Entwaffnung“ ein? Ja, insbesondere das Schicksal eines Paares mit zwei kleinen Kindern. Auch nach deren Verhaftung Mitte der 80er Jahre blieb ich mit ihnen in Kontakt.

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