hamburg:pur Oktober 2024

THEATER Murder by Misadventure Krimispannung bis zum verblüffenden Ende Soll das nächste Mordopfer erstochen oder doch eher erdrosselt werden? Über die zu favorisierende Tötungs- art geraten die beiden Krimi-Autoren Paul und Harry in Streit. Seit vielen Jahren bilden die zwei ein erfolgreiches Team, bei dem Paul die guten Ideen liefert und Harry die präzise Ausarbeitung übernimmt. Doch nun will der flei- ßige, ordentliche Schreiber seinem kreativen, chaotischen Partner die Zusammenarbeit aufkündigen. Paul indes will diese angenehme Allianz fortsetzen, und so erpresst er Harry mit dem Wissen um einen vor Jahren von diesem begangenen Betrug, um seinem Wunsch Nachdruck zu verliehen. Das ist der Moment, in dem Harry beschließt, eine von Pauls großartigen Mordsideen aufzugreifen und ihn umzubringen: „Murder by Misadventure“ – ein Mord, der aussieht wie ein Missgeschick, scheint ihm die ideale Methode, ungestraft davonzukommen. Paul soll während Harrys Abwesenheit dessen luxuriöses Appartement hüten, doch schon während der Wohnungsübergabe wird der Balkon planmäßig zur Todesfalle. Nach seiner Rück- kehr will Harry seinen Ex-Kompagnon dann überraschend tot auffinden und die Polizei informieren. Tatsächlich fin- det sich – nach der Pause – auf dem Balkon jede Menge Blut, aber kein toter Paul … Die Story ist bestens konstruiert, und sie hält im zweiten Teil bei zunehmendem Tempo einige verblüffende Wen- dungen bereit. Verantwortlich für diese Überraschungen sind Harrys bis dahin unscheinbare Ehefrau Emma (un- angenehm ist einzig deren Stimmfrequenz) sowie ein In- spektor, der erstaunlicherweise schon zur Stelle ist, noch bevor Harry ihn anfordert. Der Cliffhanger zur Pause ist so perfekt platziert, dass imPublikum abenteuerliche Spe- kulationen über den Fortgang der Handlung angestellt werden – ein gutes Zeichen für einen Krimi! Clifford Deans solide Inszenierung stellt die vier aus Großbritannien im- portierten Darsteller ins beste Licht. Text: Dagmar Ellen Fischer 1.–5., 8.–13., 15.–19., 22.–27., 29.–31. OKTOBER UND WEITERE TERMINE; English Theatre of Hamburg Odyssee oder das Kalypsotief Irrweg mit Pathos und Klamauk Für Geologen ist das Kalypsotief der mit 5109 Metern tiefste Punkt des Mittelmeeres. Für den Gott Poseidon ist jener Ort ein Unterwasserge- fängnis, in das der verhasste Odysseus gehört, so zumindest heißt es in Daniel Schütters Neuschreibung der ersten acht „Odyssee“-Gesänge frei nach Homer. Für den Besucher der Uraufführung des Stückes „Odys- see oder das Kalypsotief“ am Ernst Deutsch Theater (EDT) steht der Be- griff ab sofort für einen Tiefpunkt der Antikenrezeption. Denn der Autor, der seiner Mutter Isabella Vértes-Schütter demnächst als EDT-Inten- dant nachfolgen wird, verwandelte den klassischen Stoff in eine ebenso seichte wie öde Mixtur aus Pathos und Klamauk, wobei die Regie (Jo- hanna Louise Witt) diese unglückliche Paarung noch ausbaut. Während die Helden ihr Schicksal in dramatischen Monologen beklagen – über- zeugen kann dabei allein Ines Nieri als von Freiern bedrängten Penelope – stehen die Götter als Komikertruppe auf der Bühne. Da schleudert Zeus (Julian Kluge, der zudem einen eitlen Odysseus gibt) flache Witze statt sengender Blitze und Demeter (Birgit Welink) wird in einem unlus- tigen Versuch, Gegenwartsbezug herzustellen, als Mahnerin in Sachen Klimawandel veralbert. Blass bleibt Welink auch in ihrer zweiten Rolle als Telemake, Tochter des Odysseus, die ihren Vater suchen geht. Wa­ rum der Spross des Irrfahrers bei Schütter kein Jüngling bleiben durfte, erschließt sich nicht, auch die vorgezogene Vater-Tochter-Begegnung im Land der Phaiaken macht mit Blick auf das Gesamtepos wenig Sinn. Gelungen ist indes das minimalistische Bühnenbild von Misha Zaikanov, in dessen Zentrum ein Kreis aus Findlingen steht. Die Bühnenelemente werden im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes weiterverwendet: Auch das Ohnsorg-Theater und der Lichthof widmen sich 2025 jeweils einer Etappe der „Odyssee“ und setzen diese in eigener Handschrift um. Text: Julika Pohle 1., 2., 4.–6. OKTOBER; Ernst Deutsch Theater Foto: Stefan Kock Foto: Oliver Fantitsch 10 THEATER Der Club der toten Dichter Dem filmischen Vorbild verhaftet Was tun, wenn die Fußstapfen, in die man treten soll, Übergröße ha­ ben? Das Riesenvorbild, um das es hier geht, ist das amerikanische Filmdrama „Der Club der toten Dichter“ (1989), in dem Robin Williams als Lehrer und Freidenker brilliert. Basierend auf dem oscarprämierten Originaldrehbuch von Tom Schulman zeigt das Altonaer Theater jetzt Foto: G2 Baraniak die Bühnenadaption in der deutschen Fassung von Joern Hinkel und Tilman Raabke. Um sich von der Vorlage abzuheben, wendet Regis­ seurin Lea Ralfs drei Strategien an, von denen zwei nur bedingt funk­ tionieren. Erstens konzentriert sie sich ganz auf das Verhältnis der Eliteinternatsschüler zu ihrem neuen Englischlehrer John Keating (ener­ vierend dynamisch: Tobias Dürr), der sie das Prinzip „Carpe diem“ lehrt. Allerdings gehen die ausgiebig zelebrierten Schüler-Lehrer-Szenen auf Kosten der hier nur angerissenen Liebes- und Freundschaftsge­ schichten, die den Film auszeichnen, Frauen tauchen nur in Gestalt großer Puppen auf und auch der Selbstmord des Schülers Neil (über­ zeugend und wandelbar: Johan Richter) wirkt in der knappen Schil­ derung wenig dramatisch. Zweitens setzt die Inszenierung auf über­ steigerte Gefühlsäußerungen, egal ob die Figuren Leid erleben (dann schreien sie aufeinander ein) oder glückliche Momente feiern: Da wird etwa die Schlüsselszene in der Höhle, wo der Geheimclub der toten Dichter wiederaufleben soll, durch das übertrieben alberne Gehabe der Mitglieder zur Lachnummer. Drittens, und diese Idee ist die stärkste, strukturiert Ralfs das Schauspiel durch Zwischenszenen, in denen die Schüler die Rolle eines monotonen Chors übernehmen. Wie diszipli­ nierte Marionetten sitzen sie imKlassenraum, bewegen sich synchron und rezitieren unisono lateinische Deklinationen und mathematische Formeln. In diesem Refrain löst sich das Drama vom Vorbild, das es ohnehin nicht erreichen kann, und wird Theater. Text: Julika Pohle 2., 4., 5., 8., 10., 11., 17.–19., 24.–26. OKTOBER; Altonaer Theater 3.11.2024 – 11.1.2025 ALARM IN’T THEATERHUUS CARMEN DARF NICHT PLATZEN KOMÖDIE VON KEN LUDWIG Foto: Sinje Hasheider

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