hamburg:pur Oktober 2023

Foto: Alamode Film Ingeborg Bachmann – Reise in dieWüste Dass Vicky Krieps in ihrem neuen Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ die legendäre österreichische Schriftstellerin spielen sollte, war Regisseurin Margarethe von Trotta von Anfang an klar. Sie hatte die junge Schauspielerin in dem Liebesdrama „Der seidene Faden“ gesehen, in dem sie Oscar-Preisträger Da- niel Day-Lewis fast an die Wand spielte. Zart und entschlossen, verletzlich und kühn leuchtete sie auf der Leinwand. Genauso wie auch als Ingeborg Bachmann auf deren sagenumwobene Liebe zum Schriftsteller Max Frisch sich der Film konzentriert. Beide sind bereits berühmt, als sie sich 1958 Hals über Kopf verlieben. Doch während Krieps, die als leidenschaftliche und kettenrau- chende Lyrikerin mit einem Lächeln durchs Leben und durch Ber- lin, Zürich und Rom schwebt und Worte für das Ungesagte sucht, steckt Max Frisch (Ronald Zehrfeld) in den Rollenbildern der Zeit fest. Bald ist er von Neid und Eifersucht zerfressen – und ver- sucht, die Unabhängigkeit Bachmanns, die er anfangs so liebte, wie einen Schmetterling in seinen Pranken zu erdrücken. Wem in dieser tragischen Liebesgeschichte ihre Sympathie gehört, ver- steckt von Trotta nicht. Als erste deutsche Regisseurin, die be- reits ab den 1970ern zahlreiche Preise gewann, hatte die heute 81-Jährige bereits Frauenfiguren wie Hannah Arendt und Rosa Luxemburg auf die Leinwand gebracht. „Ich kenne mich mit Frauen einfach besser aus“, hat von Trotta auf der Berlinale gesagt, wo diese Romanze imWettbewerb lief. Gleichzeitig habe sie interes- siert, dass Bachmann zwar so unabhängig und kompromisslos war, aber gleichzeitig an der glücklosen Liebe zu Frisch zerbricht. Mit nur 47 Jahren verbrennt sie, tablettenabhängig und rauchend im Bett. Allein aus ihrer Perspektive erzählt von Trotta, lässt sie sexuelle Fantasien ausleben und durch die Wüste tanzen und führt vorherrschende Frauenbilder vor. Gleichzeitig versieht sie das Drama mit literarischen Zitaten und bleibt auf Distanz. Als Antithese zu Hollywood’scher Gefühlsduselei ist das klug, aber wirkt auch etwas steif. (sd) AB 19. OKTOBER CH/AT/D/LUX 2023; 110 Min.; R: Margarethe von Trotta; D: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch ★★★★★ Foto: Neue Visionen Filmverleih FILM Die Theorie von Allem Superheldenmultiversen à la Marvel waren gestern! Wie krea- tiv man mit den Möglichkeiten unterschiedlicher Dimensionen spielen kann, beweist Timm Krögers Venedig-Festivalbeitrag „Die Theorie von Allem“, der munter Mystery-, Drama-, Krimi- und Thriller-Elemente verquickt. Im Zentrum dieses Genrecock- tails: der Physiker Johannes Leinert (Jan Bülow), der für seine Dissertation an einer Vielweltentheorie arbeitet und Anfang der 1960er-Jahre mit seinemDoktorvater (herrlich schroff: Hanns Zischler) zu einem Fachkongress in die Schweizer Alpen reist. Da sich der angekündigte Stargast verspätet, vertreiben sich die anwesenden Wissenschaftler die Zeit mit Dinieren und Ski- fahren. Während des Wartens sticht Johannes die Pianistin Karin (Olivia Ross) ins Auge, die viel über seine Vergangenheit zu wissen scheint. Als nur wenig später eine übel zugerichtete Leiche auftaucht, wird der junge Doktorand in den Strudel mys- teriöser Ereignisse hineingesogen. Wer imKino alles vorgekaut und ausbuchstabiert haben möchte, dürfte spätestens im Finale entnervt aufgeben. „Die Theorie von Allem“ liefert nicht auf jede Frage eine Antwort, überlässt es demPublikum, das Gesehene zu Ende zu denken. Spannende Ideen und Verweise tauchen dafür reichlich auf. Vordergründig dreht sich der Film um eine mutmaßliche Verschwörung. Zu- gleich geht es aber auch um den Schrecken der NS-Zeit, das Verdrängen, das Erinnern und das Erzählen. Beeindruckend ist vor allem, wie souverän der Regisseur mit alten Techniken und Zitaten hantiert, ohne ins plumpe Nachahmen zu verfallen. Die kontrastreichen Schattenspiele in den prächtigen Schwarz- Weiß-Bildern erinnern an den Stil des Film noir mit seiner zwie- lichtigen Atmosphäre, und die ständig aufbrausende Musik könnte direkt aus einemMelodrama der 1950er- oder 1960er- Jahre stammen. „Die Theorie von Allem“ ist eine experimen- tierfreudige, selbstbewusste Hommage an die Ausdruckskraft des Kinos, wie sie aus deutschsprachiger Produktion nur selten auf die große Leinwand kommt. (cd) AB 26. OKTOBER D/AT/CH 2023; 118 Min.; R: Timm Kröger; D: Jan Bülow, Olivia Ross, Hanns Zischler ★★★★★ 24 Unsere Möglich macher: w w w . a h o y r a d i o . d e Gutes Radio für Gute Leude M e d i e n p a r t n e r Ladet unsere App!

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