hamburg:pur Oktober 2022
Foto: Stefan Kock Foto: Heiner Köpcke THEATER Great Expectations Charles Dickens wusste, was Armut bedeutet. Als ältester Sohn eines Vaters, der wegen Schul- den imGefängnis landete, erlebte der englische Schriftsteller im 19. Jahrhundert eine Kindheit, von der er später in seinen Romanen mehrfach hautnah zu erzählen wusste. Auch in „Great Ex- pectations“ steht eine Variante eines solchen Lebenswegs im Mittelpunkt: Der junge Pip wächst ohne Eltern auf, seine ältere Schwester bringt ihn nur widerwillig durch. Eines Tages hilft er einem entflohenen Sträfling, und der zeigt sich Jahre später dafür erkenntlich, indem er dem Jungen in London ein Leben als sogenannter Gentleman er- möglicht – ohne, dass Pip ahnt, wer sein Gönner ist. Für das Pu- blikum jedoch kommt die Auflösung des scheinbaren Geheim- nisses wenig überraschend in dieser Inszenierung. Der andere Handlungsstrang setzt ein Gegengewicht: Als Kind besucht Pip regelmäßig eine verrückte alte Frau, die ein Brautkleid trägt, seit ihr potenzieller Bräutigam sie vor demAltar sitzenließ; ihre Adop- tivtochter erzieht sie zur gefühlsarmen, Männer verachtenden jungen Frau, in die sich Pip unglücklich verliebt. Wie die beiden Stränge am Ende zueinanderfinden, ist leider ein verschenkter und daher undramatischer Moment. Insgesamt kommt die In szenierung von Paul Glaser als Nacherzählung von Weltliteratur Finale Arrabbiata Mit einem verbalen Pauken- und Rundumschlag sagt das Duo „Alma Hoppe“ Tschüss: Jan-Peter Petersen und Nils Loenicker gehen ab 2023 getrennte Wege. Nach 38 gemeinsamen Jahren, 65 verschiedenen Pro- grammen und über 5500 Auftritten resümieren sie: „Das Letzte kommt zumSchluss“! Sie verabschieden sich im „Finale Arrabbiata“. Das zergeht zunächst auf der Zunge, liegt aber wenig später schwer im Magen, wie es nur wirklich Gehaltvolles schafft. Urgestein Henning Venske, das „Fo- rever-Vorbild“ der beiden, inszeniert die Abschiedstour. Darin laufen die Kabarett-Größen zur Best-of-Form auf und bündeln bekannte Lieblings- nummern mit neuen Szenen. Petersen sinniert als Teilnehmer der Selbst- hilfegruppe „Anonyme Pazifisten“ über das Aggressionspotenzial von Brotmessern und Atombomben sowie über den Plan, den Weltfrieden mit Waffengewalt durchzusetzen. Als Inhaber eines Querdenker-Shops be- rät er den Kunden Loenicker beim Kauf einer sinnfreien Grundausstat- tung für den Ernstfall. Beide treibt die Frage um, wie man Weihnachten gendergerecht verändern könnte: Wird aus Jesus nun Jesusi und Chris- tus zur Christussi? Apropos Religion: Loenicker verwandelt sich in einen Missionar, der junge Muslime zum Christentum bekehren will, indem er ihnen die Bibel als „voll krass fettes Buch“ samt Judas, dem Spast, in ihrer Sprache radebrechend näherbringt. Großartig und urkomisch auch das kommentierte Fußballspiel mit auflaufenden Politikern: Lauterbach, dem Spritzensportler, Chrupalla als Linienrichter, der den rechten Arm gar nicht mehr runterkriegt, und Kevin allein amBall. Das rasante Wech- selbad aus gut platzierten Schreckmomenten und genialemWortwitz ist mit zwei Stunden keine Minute zu lang. Zum Tschüss-Sagen sollte man noch mal im Saftladen „Alma Hoppe“ vorbeischauen (benannt hat sich das Duo nach einer Fruchtgetränkefabrik)! Text: Dagmar Ellen Fischer 1.–3., 25.–30. OKTOBER und weitere Termine; Alma Hoppe daher und ist zu wenig auf das völlig andere Medium des Theaters ausge- richtet. Mit wenigen Kristallisationspunkten ist sie daher mit drei Stunden auch zu lang. Eine Erzählerstimme aus demOff hilft mit größeren Zeitsprüngen, die sich über rund zwei Jahrzehnte erstreckende Coming-of-Age-Story zu bewältigen. Die Schauspieler – mit Ausnahme von Pip in Doppelrollen zu sehen – bewältigen den Abend bewundernswert. So ist auch die Musik, kom- poniert von Paul Glaser, der auf diese Weise poetische, wirklich berührende Momente schafft. Text: Dagmar Ellen Fischer 1., 2., 4.–9., 11.–16., 18.–23., 25.–29. OKTOBER; The English Theatre 20 Foto: Lucie Jansch THEATER „H“ – 100 seconds tomidnight Die größte Gefahr für die Menschheit sei sie selbst, warnte Ste- phen Hawking schon vor Jahren. Und wenn sie es denn tatsäch- lich schaffen sollte, diesen Planeten unbewohnbar zu machen, gäbe es nur noch eins: die Flucht nach vorn in den Weltraum. Al- lein diese gewagte These liefert einem Allround-Inszenator wie Robert Wilson schon genug Stoff für ein Bühnenwerk. Doch ließ sich der US-amerikanische Künstler für seine jüngste Urauffüh- rung „,H‘ – 100 seconds to midnight“ auch von der libanesischen Autorin Etel Adnan inspirieren, die von der Raumfahrt fasziniert war und mit ihren Texten ein poetisches Gegengewicht zur Sicht des Wissenschaftlers bietet. Trotzdem: Der Countdown ist wört- lich gemeint, und so werden die hundert Sekunden bis zum „Doomsday“, demWeltuntergang, laut herunter gezählt. „Is there a God?“, ruft eine männliche Stimme penetrant aus demOff. Haw- king, für dessen Name das „H“ im Titel steht, glaubte es nicht, und vermutlich hätte der Astrophysiker die tanzenden Engel in Wil- sons Werk für Astronauten gehalten. Lucinda Childs, Modern- Dance-Ikone und Wilsons Wegbegleiterin aus seinen Anfängen in New York City, choreografierte die Auftritte der drei Gasttän- zerinnen zu Musik von Philip Glass, einem anderen langjährigen Gefährten. Seine fünf Protagonisten – Marina Galic, Jens Harzer, Barbara Nüsse, Tim Porath und Pauline Renévier – setzt Wilson in der für ihn typischen Bewegungssprache in Szene: stilisiert, sparsam, immer wieder erstarrend und einem ferngesteuerten Automaten ähnlich, hin und wieder mit überraschendem Humor. Apropos: „Ein Mensch fragt einen Computer: ‚Gibt es einen Gott?‘ Die Maschine antwortet: ‚Ja, jetzt‘, zieht den Stecker und läuft davon.“ Licht spielt bei Wilson einmal mehr die eigentliche Haupt- rolle, erfolgreich setzt es sich gegen schwarze Löcher auf der Bühne und im imaginierten Weltraum durch. Wo Licht ist, bleibt Hoffnung. Text: Dagmar Ellen Fischer 13.–15. OKTOBER, 7.–10. DEZEMBER; Thalia Theater Der Geschmacksträger für Hamburg Anonym.Kritisch.Unabhängig www.genussguide-hamburg.com ESSEN+TRINKEN SPEZIALNR.35 2022/2023 |€14,80 ISBN978-3-946677-78-9 Durchhalten! Corona,Krieg, Kosten:Gastroam Scheideweg? Super Stullen WoHamburg frühstückt GutSchluck BesteBars, Brauereien undWeinläden imCheck Moin,Welt So international undvielfältig is(s)tHamburg Top Neueröffnungen undmehrals 700Restaurants imTest Genuss-Michel DerHamburger Gastropreis Titelseite.indd 1 16.06.22 13:00 genussguide-hamburg.com Auch ONLINE shop.szene-hamburg.com Jetzt am Kiosk! 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