hamburg:pur Oktober 2022
Vielleicht liegt die Vision gar nicht so weit in der Zukunft. Vor einigen Jahren wurde Anklage gegen Elizabeth Holmes, der Geschäftsführerin des Laborunternehmens „Theranos“ erhoben. Dort wurde angeblich ein Bluttest entwickelt, der mit einem Tropfen Hunderte von Krank- heiten diagnostiziert. Das war eine Lüge, aber viele Menschen haben es geglaubt. Welche Folgen ziehen die Ergebnisse dieser Tests im Stück nach sich? Die Tests geben Information über jegliche ver- gangene, gegenwärtige und zukünftige Krank- heitsbilder. Anhand dieser Bilder wird ein Ra- ting erstellt, über das man sich definiert und das etwas über die Wertigkeit des Menschen aussagt. Das hat Auswirkungen auf den Beruf, auf die Partnerwahl und die Fortpflanzung. Mit diesen Tests wird aber auch Missbrauch getrieben … Die Figur, die ich spiele, fälscht einen Test für eine Freundin, die ein schlechtes Rating hat. Daraus entwickelt sie dann eine lukrative Geschäftsidee. Dabei geht es weniger um die kriminellen Machenschaften der Laborantin, sondern um die Folgen für das eigene Selbst- bild, wenn man diesemWahn der Gesellschaft zustimmt oder sich dagegen stemmt. Wie viele Informationen sollte man generell über sich preisgeben? Eine Frage, die dich als Schauspielerin, als Person des öffentli- chen Lebens, doch besonders betrifft … Da befinde ich mich noch in der Beobachter- position. Ich habe Kollegen, die gar nicht bei Instagram sind, und andere, die ihr Leben so- gar finanzieren über die Offenlegung ihres ver- meintlichen Privatlebens. Mich selbst ermüdet es, mich ständig in den sozialen Medien zu präsentieren. Trotzdem finde ich es wichtig, meine Hintergründe beim Erarbeiten einer Figur darzulegen. Bekannte Theaterstoffe bleiben interessant, weil sie von wechselnden Persön- lichkeiten gespielt werden. Deshalb sollten diese Persönlichkeiten sich auch zeigen. Wie würdest du persönlich damit umgehen, wenn es Bluttests wie in „Die Laborantin“ gäbe? Ich wäre in dieser Gesellschaft ein Niemand. Auf einer Skala von eins bis zehn hätte ich ein Rating von 0,7, weil bei mir sehr kurz nach mei- ner Geburt Krebs diagnostiziert wurde – mit allen psychischen und körperlichen Folgen. Dass ich jetzt eine Figur spielen kann, die fa- natisch in diesemSystem aufgeht, ist aber toll. Das führt zu spannenden Explosionen. Interview: Sören Ingwersen 1., 5.–8., 12.–15., 19.–22. OKTOBER; Kammerspiele Undwie ist die Stimmung aktuell amTheater? Weil Bea in „Die Laborantin“ meine erste Thea- terrolle nach meinen Studium ist, ist für mich alles neu. Ich kenne keine Theaterabläufe ohne Corona. Dadurch vermisse ich nichts und habe auch keine Erwartungshaltung. Trotzdemmer- ke ich, dass es überall kleine Brände gibt, die man zu löschen versucht. Dein Theaterdebüt begehst du gleich mit einer Hauptrolle … Das ist eine Herausforderung und gleichzeitig ein Geschenk. Studiert hast du an der Filmuniversität Ba- belsberg Konrad Wolf … Das ist etwas irreführend, denn das Schau- spiel ist ein Handwerk, dessen Ursprünge so sehr im Theater liegen, dass auch an der Film- universität zu 80 Prozent das klassische Thea- terhandwerk gelehrt wird. Zusätzlich haben wir den Bonus, dass wir uns technisch mit dem Film beschäftigen und mit Filmregiestudenten zusammen Projekte machen können. Im Fernsehfilm „DieWannseekonferenz“ hast du vor zwei Jahren in einer Riege von männ- lichen Nazi-Größen die einzige Frau gespielt. War das nicht etwas gruselig? Das war das erste große Drehprojekt während der Corona-Zeit – bei dem es wirklich ans Eingemachte ging. Einen Tag nach meinem Studienabschluss ging es los. Auch als ich die Texte der Kollegen schon fünfzig Mal gehört hatte, hatte ich jedes Mal wieder einen Kloß im Hals und musste trotzdem stumm mit lä- chelndem Gesicht dasitzen. Es war trotz des schweren Themas ein Geschenk, mit Regisseur Matti Geschonneck zu arbeiten und Philipp Hochmair, Jakob Diehl und Johannes Allmayer beim Arbeiten zuzusehen. In der „Tatort“-Folge „Du gehörst mir“ hast du eine psychisch kranke Mörderin gespielt. Machen solche Rollen Spaß? Spaß ist in diesemZusammenhang ein schwie- rigesWort. Wir haben gerade eine sehr intensive Szene aus „Die Laborantin“ geprobt. Da kann die Probe noch so gut laufen, trotzdem fühlt man sich danach erst mal schlecht – als ob der Körper nicht genau weiß, ob etwas gerade echt ist oder nicht. Man sieht aber durch solche Rol- len – ohne die Erfahrung wirklich durchleben zumüssen – etwas von der Welt, wasman sonst nicht gesehen hätte. Das ist sehr wertvoll. Nach der Methode des Method Acting aus den USA, wo du auch sechs Monate unter- richtet wurdest, soll der Schauspieler seine Rolle aus dem eigenen Erleben und Erinnern gestalten. Wie soll das bei einer Figur funk- tionieren, die gemordet hat? Ich persönlich verlasse mich auf keine feste Schauspielmethode. Wie ich an eine Rolle he- rangehe, hängt immer vom jeweiligen Projekt und der Rolle ab. Manchmal sogar von den Kol- legen oder von demTag, an dem ich spiele. Ro- land Suso Richter, der Regisseur der „Tatort“- Folge, lässt die Darsteller überhaupt nicht pro- ben, sondern wirft sie direkt in die Szene. Da war ich einfach sehr gut vorbereitet und habe viel mit Vorstellungskraft gearbeitet –mangels einer privaten mörderischen Vergangenheit. Du hast ja schon vor deiner Ausbildung Film- rollen übernommen. Es heißt, du wurdest auf dem Schulhof entdeckt. Wie hat man sich das vorzustellen? Ich war elf oder zwölf. Die Lehrer hatten uns gewarnt, weil sich ein fremder Mann auf dem Schulhof herumtrieb. Den habe ich dann ganz mutig gefragt, was er da macht. Er verteilte Zettel für ein Casting für „Das weiße Band“ von Michael Haneke und sagte, ich solle mal vor- beikommen. Das war mein erster Schritt ins Professionelle. Ich hatte ja von meiner Familie aus keinerlei Beziehungen zu Schauspiel und Film, habe aber mit vier Jahren im Kindergar- ten schon als Schneewittchen den anderen Kindern ihre Texte ins Ohr geflüstert. Du bist ja auch als Singer-Songwriterin unter- wegs und2015 inder CastingShow„TheVoice of Germany“ aufgetreten. Hat sich durch diesen Auftritt etwas für dich verändert? Ich komme aus einer Musikerfamilie. Mein Va- ter ist Pianist. Ich habe aber irgendwann auf- gehört, Klavier zu spielen und angefangen, Songs zu schreiben. „The Voice“ war eher ein Ausflug aus Interesse, weil ich damals für „Letzte Spur Berlin“ einMädchen gespielt habe, das an einer Castingshow teilnimmt. Das Tolle anmeinemBeruf ist, dass ich alles ausprobie- ren kann und hinterher etwas zu erzählen habe. „Die Laborantin“ in den Kammerspielen ist eine Zukunftsvision, in der Bluttests Aus- kunft über Erbkrankheiten, Gendefekte und dieWahrscheinlichkeit psychischer und kör- perlicher Erkrankungen geben … THEATER 18 THEATER ALL ÜNNER EEN DANNENBOOM KOMÖDIE NACH DEM FILM VON LO MALINKE 6.11.2022 – 14.1.2023 Foto: Sinje Hasheider Foto: Sinje Hasheider Carmen Die Aufführungsgeschichte von Georges Bi- zets Oper „Carmen“ ist eine Geschichte der Klischees. Regisseur Herbert Fritsch spielt lustvoll mit ihnen zur Saisoneröffnung an der Staatsoper: Quietschbunte Kostüme, karikierte Figuren und Slapstick konterkarieren die andächtige Erhabenheit der riesigen Marien- statue, die das Bühnenbild dominiert. In der Rolle der Carmen glänzt Maria Kataeva. Als ihre Gegenspielerin Micaëla ragt Elbenita Kajazi stimmlich aus dem Solistenensemble heraus, während Tomislav Mužek als Don José zwischen den beiden Frauen hin- und herge- rissen seinen Tenor klangschön entfaltet. Was Yoel Gamzou am Pult der Philharmoniker macht, gibt dagegen Rätsel auf. Instrumental wunderbar ausdifferenzierte Passagen treffen auf solche, die Gamzou mit extremen Tempi regelrecht kaputt dirigiert. Die vielen Buhs im begeisterten Schlussapplaus gelten vor allem ihm. Text: Sören Ingwersen 2., 5., 7., 9. OKTOBER und weitere Termine 2023; Staatsoper Hamburg Foto: Brinkhoff/Mögenburg
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz