Hamburg Pur - Oktober 2021
Foto: Constantin Film Verleih GmbH FILM CONTRA Krieg der Worte Mit „Contra“ liefert Regisseur Sönke Wortmann ein gelungenes Remake des französischen Films „Le Brio“. Der Comedy-Allrounder Christoph Maria Herbst und Nachwuchsstar Nilam Farooq überzeugen und unterhalten durch ihr disharmonisch-harmonisches Zusammenspiel toph Maria als arroganter A…loch-Allzweck- waffe und der jungen Hauptdarstellerin Nilam Farooq britzelt, funkt und detoniert es derma- ßen unterhaltsam, dass dieses am Reißbrett entworfene, arg vorhersehbare, wiedergekäute Multikulti-Lehrstück am Ende doch … Spaß macht. Ist halt Profi, der Sönke. (cc) AB 28. OKTOBER DE 2019; 103 Min.; R: Sönke Wortmann; D: Nilam Farooq, Christoph Maria Herbst, Ernst Stötzner ★★★★ ★ hamburg: pur Aktion! Für eine Preview des Films „Contra“ am 26.10., 20 Uhr in den Zeise Kinos verlosen wir 10 x 2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „pur: Contra“ an verlosung@szene-hamburg.com ; Einsendeschluss: 15.10. Beispiel gelungener Integration glänzen. Stu- dentin und Lehrkörper müssen sich also tiefer gegenseitiger Abneigung zum Trotz an einen Tisch setzen. Die Schöne wittert einen Kar rieresprung, das Biest will seinen Allerwertes- ten retten. Doch dieser Pragmatismus weicht schon bald freundschaftlichen Gefühlen. „Ziel einer Auseinandersetzung sollte nicht der Sieg sein, sondern der Fortschritt“, so das Vor- ab-Zitat zum neuen Sönke-Wortmann-Film. Der Regisseur liefert nach „Der Vorname“ (2018) erneut die deutsche Dublette eines fran- zösischen Kinoerfolges, in diesem Fall „Le Brio“ von Yvan Attal. Was diese frankophile Recy cling-Spezialisierung über den Herbst von Wortmanns Karriere sagt, sei dahingestellt. Fakt ist, dass er einmal mehr ein gutes Händ- chen für Hauptdarsteller beweist, denn – apropos Herbst – zwischen ebenjenemChris- Sie ist die „Jura-Ghetto-Chica“: Für die Ma- rokkanerin Naima (Nilam Farooq) ist der Gang von ihrer tristen Frankfurter Hochhaussiedlung in die heiligen Hallen der Goethe-Universität ein täglicher Wandel zwischen den Welten. Als sie sich eines Morgens unverschuldet verspä- tet, gerät sie ins Fadenkreuz ihres Professors. Der faltet sie im vollen Vorlesungssaal politisch äußerst unkorrekt zusammen. Der Fauxpas wird von eilig gezückten Handykameras festgehalten und geht als Clip viral, worauf es für Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) ungemütlich wird. Der Uni-Präsident droht mit Suspendierung, zeigt ihm aber einen letzten Ausweg auf: Pohl soll sein Fehlverhal- ten korrigieren, indem er Naima für einen bundesweiten Debattierwettbewerb fit macht. Dort soll die Gedemütigte mit allen rhetori- schen Wassern gewaschen, als leuchtendes 38 39 Titane Wenn sich Erotik-Tänzerin Alexia (Agathe Rous- selle) auf einem Luxusschlitten der Autoshow räkelt, ihr Körper vibriert, löst sie bei Männern wie Frauen gleichermaßen Begehren aus. Ihr selbst bedeutet menschliche Nähe nichts, Lust verspürt sie allein bei Metall. Als kleines Mäd- chen wurde ihr nach einemAutounfall eine Ti- tanplatte implantiert, deren Narbe übermOhr sie heute demonstrativ für alle sichtbar trägt, wie eine warnende Botschaft. Um den Kuss eines zudringlichen Fans abzuwehren, rammt die Tänzerin dem Schuldigen ihre Haarnadel in den Schädel, Hirn fließt als weißer Schleim aus seinemMund. Alexia tötet mit der Gleich- gültigkeit von Konsumenten, die überflüssige Maschinen entsorgen. Nach dem intimen Verkehr mit ihrem Lieblings- wagen wird die Antiheldin schwanger, der Bauch schwillt ungeheuer an, aus den Brüsten tropft Motoröl. Auf der Flucht vor der Polizei taucht sie unter, behauptet, der als Kind ver- schwundene Adrien zu sein. Um ihrem Part gerecht zu werden, bricht sich Alexia brutal die Nase, schneidet das Haar ab, ihre weiblichen Formen versucht sie unter Elastikbinden zu verbergen. Vincent (großartig: Vincent Lindon), ein mit Steroiden vollgepumpter Feuerwehr- Hinterland „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Der Golem, wie er in die Welt kam“, „Nosferatu, eine Sympho- nie des Grauens“, um nur drei Beispiele zu nen- nen: Anfang der 1920er-Jahre bildete sich im hiesigen Kino eine Strömung heraus, die als Deutscher Expressionismus internationale Be- kanntheit erlangte und in der Folgezeit Einfluss auf den US-amerikanischen Horrorfilm und den Film noir ausübte. Verwinkelt-schiefe Kulissen, markante Licht- und Schattenspiele und un- gewöhnliche Kameraperspektiven gehören zu FILM Foto: Koch Films/Carole Bethuel Foto: SquareOne hauptmann und Vater jenes vermissten Jun- gen, will keinen DNA-Test, natürlich merkt der ältere Mann schon bald, dass dieses wortkarge, androgyne Wesen niemals Adrien sein kann, doch er fürchtet die quälende Lee- re in seinem Leben. „Titane“, diesjähriger Gewinner der Golde- nen Palme in Cannes, ist eine visuell über- wältigende Eruption von Emotion und schau- spielerischen Höchstleistungen. Die franzö- sische Regisseurin Julia Ducournau („Raw“) durchbricht die Grenzen von Genres wie von Geschlechterrollen. Selbstzerstörung als emanzipatorischer Akt, man muss sich einlas- sen können auf diese schillernde symboli- sche Welt der Kontras- te von Hell und Dunkel, Metall und Feuer. Sie erinnern mehr an Ge- mälde von Caravaggio als an Filme von David Cronenberg. Die bei- den so grundverschie- denen Protagonisten begreifen zum ersten Mal, was es bedeutet, einander zu brauchen. Das Drama beginnt mit kruden Gewaltausbrüchen, wenn auch nur an- gedeutet, entwickelt sich dann mit beklem- mender Kompromisslosigkeit zur Liebesge- schichte par excellence. Gesprochen wird kaum, die geschundenen Körper fungieren als Metapher innerer Abgründe. Sakral manchmal nicht nur die Posen, sondern auch der Sound- track. Die Erlösung heißt Transformation.(ag) AB 7. OKTOBER FRA 2021; 108 Min.; R: Julia Ducournau; D: Agathe Rousselle, Vincent Lindon, Garance Marillier ★★★★ ★ ein düsteres Wien zurück, in dem er sich wie ein Fremder vorkommt. Der Kaiser, dem er ge- dient hat, ist mittlerweile Geschichte. Und in der neuen Republik werden Soldaten wie er nicht als Helden verehrt, sondern an den Rand gedrängt und misstrauisch beäugt. Ehe sich der desillusionierte Ex-Polizist versieht, findet er sich in einer brutalen Mordserie an ehema- ligen Militärkameraden wieder. Der ungemütliche, aus gekippten Einstellun- gen gezeigte und von seltsam schrägen Ge- bäuden geprägte Schauplatz entstand größ- tenteils amComputer, während die Darsteller vor Bluescreens agieren mussten. Dass die Welt von „Hinterland“ stets etwas künstlich wirkt, an ein Computerspiel oder ein Theater- szenenbild erinnert, muss daher nicht verwun- dern. Gerade die artifizielle Optik soll, wie im Expressionismus auch, Pergs labilen Seelen- zustand spiegeln. Als formales Experiment ist der Serienkillerstreifen durchaus spannend. Inhaltlich bietet der Film trotz einiger Voraus- deutungen auf den Schrecken des National- sozialismus allerdings nur mittelmäßige Krimikost. (cd) AB 7. OKTOBER AT, LUX, BEL 2021; 99 Min.; R: Stefan Ruzowitzky; D: Murathan Muslu, Liv Lisa Fries, Maximilian von der Groeben ★★★ ★★ den wichtigsten Merkmalen dieser Stilrichtung, die eine innere Unruhe äußerlich spürbar ma- chen will. Stefan Ruzowitzky, dessen KZ-Drama „Die Fäl- scher“ mit dem Auslands-Oscar ausgezeich- net wurde, lässt in seiner neuen Regiearbeit „Hinterland“ mit beachtlicher Konsequenz die eigenwillige expressionistische Ästhetik auf- leben. Sein Protagonist Peter Perg (Murathan Muslu) kehrt zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs aus russischer Gefangenschaft in
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