Oktober 2020
Foto: Dialog im Dunkeln TAG & NACHT Schluss im Speicher. Die Lichter blieben aus. Das Foyer blieb dunkel. Es drohte das Aus im historischen Gebäude am Alten Wandrahm. Nun folgt das überraschende Comeback. Be- reits imJuli vermietete das Dialoghaus Veran- staltungsflächen an kleinere Gruppen. Im Ok- tober sollen erste Touren beginnen – mit nur acht Personen, mit Maskenpflicht und strengen Hygienemaßnahmen. Zunächst werden nur der „Dialog im Dunkeln“ und das „Dinner in the Dark“ angeboten. Die weiteren Dialog-Erleb- nisse folgen, sobald es möglich ist. Andreas Heinecke hatte nicht damit gerech- net, dass es so lange dauern würde. Der 64-Jährige ist sich bewusst, dass eine schnelle Rückkehr zur Normalität nicht kommen wird. Dennoch ist er optimistisch. Er nennt es „Flie- gen auf Sicht“. Man könnte es auch ein Sto- chern im Dunkeln nennen. Anders als bei vielen Museen und Theatern gab es für das Dialoghaus bislang keine öf- fentliche Förderung. Die Eintrittsgelder waren die einzige Einnahmequelle. Mit monatlichen Fixkosten von 230.000 Euro geriet das Haus in Corona-Zeiten entsprechend schnell in Exis- tenznot. Heinecke kam zwischenzeitlich der Gedanke, den Laden zu schließen. Doch er ist ein Kämpfer, glaubt an die Sache. Das Dialog- haus ist sein Lebenswerk. Er warb Spenden in Höhe von 400.000 Euro ein. Mitte Juni wurde bundesweit ein weiteres Hilfspaket in Höhe von einer Milliarde Euro für gemeinnützige Organisationen bereitgestellt. Das Dialoghaus stellte einen Antrag. Die Stadt Hamburg investierte sogar 180.000 Euro in eine Machbarkeitsstudie zur Zukunft des Hau- ses. Die Pläne lassen aufhorchen: So ist eine deutliche Ausweitung der Aktivitäten geplant. Das Dialoghaus würde zu einem „Social Science Center“ ausgeweitet. In diesem Cen- ter sollen Trainings undWorkshops zu Themen wie Krisenbewältigung, Konfliktmanagement und Teambildung angeboten werden. Das Dia- loghaus als Lernort, in dem Themen wie Inklu- sion bis hin zu Fremdenhass und Rassismus imMittelpunkt stünden. Ende 2020 soll die Studie vorgestellt werden. „Es gibt positive Signale vonseiten der Politik“, so Heinecke. „Das würde uns Planungssicher- heit geben.“ Heinecke ist guter Hoffnung. Er kennt sich damit aus, Dialoge im Dunkeln zu führen und einen Weg aus der Dunkelheit zu finden. Seit einiger Zeit schon hat er eine neue Ausstellung geplant. Sie ist ihm ein persönli- ches Anliegen. Die Ausstellung soll den Namen „Dialog mit dem Ende“ heißen und bereits im November beginnen. Heinecke beginnt zu la- chen: „Der Name ist hoffentlich kein schlech- tes Omen.“ Das hängt auch von den Besuchen ab. Ab Oktober geht’s mit den Klassikern „Dia- log im Dunkeln“ und „Dinner in the Dark“ los. Text: Marco Arellano Gomes www.dialog-in-hamburg.de Nichts zu sehen, und sich doch zurechtzufin- den – seit 20 Jahren ermöglichen Andreas Hei- necke und seine Mitarbeiter den Besuchern in der Speicherstadt genau diese Erfahrung. Blin- de Guides führen die Gäste durch die Finster- nis – eine unvergessliche Erfahrung für viele der über 100.000 Besucher im Jahr. Hier wird der Blinde zumSehenden und der Sehende zum Blinden. Das verbindet, das erzeugt Verständ- nis. Dieses Jahr wurde das Dialoghaus von Trip- Advisor als eine der Top 5-Locations in Ham- burg ausgezeichnet. 2,7 Millionen Euro erwirt- schaftete das Dialoghaus pro Jahr. Die Idee, durch einen Perspektivwechsel ein Bewusst- sein für Menschen zu schaffen, die nicht mehr sehen („Dialog imDunkeln“), hören („Dialog im Stillen“) oder sich altersbedingt frei bewegen können („Dialog mit der Zeit“) ist längst ein Exportschlager. In knapp 50 Ländern und 150 Städten entstanden Ableger dieses Formats. Das sind Erfolge, die gefeiert werden sollten, dachten alle. Eine Broschüre war geplant, die die Entstehung des Dialoghauses und den Mehrwert dieser Institution vor Augen führen sollte – und ein Tag der offenen Tür zum 20-jäh- rigen Bestehen. Doch dann kam Corona und der Lockdown. Von heute auf morgen war Das Dialoghaus hatte sich sein 20-jähriges Jubiläum anders vorgestellt: feierlich, farben- froh, freudig. Dann kam Corona und riss die beliebte Erlebnis- Ausstellung in die Krise. Ab dem 1. Oktober öffnet das Haus in der Speicherstadt wieder seine Türen – zumin- dest einen Spalt breit. Doch die Pläne reichen deutlich weiter DIALOGHAUS Renaissance im Dunkeln 6
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