Oktober 2020

TAG & NACHT Janina Alff, fünf Jahre Hanseatic Help Nein. Gerade jetzt ist meine Wut wahnsinnig groß. Kürzlich hat Moria auf Lesbos gebrannt, wo plötzlich 12.000 Obdachlose saßen, und die Bundesregierung wollte anfänglich nur 150 Kinder nach Deutschland holen. Es gibt immer wieder Momente, die mich verärgern, sprach- und auch hilflos machen. Auf der anderen Seite ist die erwähnte Energie auch noch da. Und wenn ich sehe, wie viel sich aus unserem Ver- ein seit 2015 heraus entwickelt hat, dann habe ich die Hoffnung, dass es weitergeht, dass wir laut bleiben und nicht aufhören, zu helfen. Interview: Erik Brandt-Höge hanseatic-help.org erzählen. Ich kamMitte August zum ersten Mal in die Hallen, nachdem ich einen Aufruf über die sozialen Medien gelesen hatte. Parallel dazu hatte das Hamburger Abendblatt eine Spendenaktion gestartet. Es gab zunächst nur eine kleine Ecke, wo Anwohner Kleidung ab- geben durften, das waren wirklich nur 50 Qua- dratmeter – in einer Halle von circa 8.000 Qua- dratmetern. Durch die mediale Aufmerksam- keit kamen allerdings so viele Spenden zusam- men, dass die gesamte Halle schnell voll war. Es war wie ein Lauffeuer. Was hast du dir zu diesem Zeitpunkt, also kurz nach deiner Kleiderspende, zur Aufgabe gemacht? Als ich meine Tüte mit Kleidung abgegeben hatte, bin ich nach Hause – und habe erst mal geheult. Ich hatte ja das Chaos in der Halle ge- sehen, in der die vielen Geflüchteten unterge- bracht waren. Ich habe mir dann vorgenom- men, am nächsten Tag wieder hinzugehen und zu helfen, die abgegebenen Spenden zu sor- tieren. Das habe ich gemacht, den gesamten Tag. Auch den Tag darauf. Ich bin einfach jeden Tag hingegangen. Ich habe weiter an den Sortierstationen mitgearbeitet, die Aus- gaben gemacht, später ein Büro organisiert. Ich habe immer wieder neue Bedarfspunkte mitaufgebaut und bin weiter zum nächsten. Und am 15. Oktober habe ich zusammen mit anderen Helfern den Verein Hanseatic Help ge- gründet. Wir waren ein zusammengewürfelter Haufen aus St. Pauli und Umgebung, 32 Leute, die damals eine Lücke, die die Stadt noch nicht schließen konnte, geschlossen und damit die Not der Menschen gelindert hat. Durfte damals und darf heute eigentlich je- der bei Hanseatic Help mitmachen? Ja, das ist unser Konzept. Wir haben ja eine Satzung, und darin wurden Vereinszwecke festgehalten, zum Beispiel die Hilfe von Men- schen in Not. Ein weiterer Zweck ist die För- derung des bürgerschaftlichen Engagements, darauf liegt bei uns ein ganz besonderer Fo- kus. Wir wollen gemeinschaftlich dafür sorgen, dass es uns und anderen gut geht. Wer möch- te, kann sich also bei uns melden. ImMoment haben wir acht hauptamtliche Mitarbeiter, sechs Bundesfreiwilligendienstler, zwischen fünf und zehn Mitarbeiter und Praktikanten aus Berufsintegrationsprogrammen oder berufs- vorbereitenden Praktika – Tendenz steigend –, 84 offizielle Vereinsmitglieder und rund 120 Ehrenamtliche. Und wer unterstützt euch außer den ehren- amtlichen Helfern vor Ort? Wir haben verschiedene Kategorien von Spen- dern. Da sind einmal die privaten Spender, dann Stiftungen, und wir bekommen öffentliche, also städtische beziehungsweise staatliche Gelder. Es gibt zudem viele Unternehmen, die uns unterstützen. Seit Corona haben wir die Aktion „Hamburg packt zusammen“, das ist ein Zu- sammenschluss von Hamburger Unternehmen, die helfen wollen. Die Unternehmen haben die Produkte, wir die Logistik, und so kommen wir zusammen. Verteilt werden die Spenden dann in der Regel über weitere Einrichtungen an Ge- flüchtete, Obdachlose, Senioreneinrichtungen, Studierende, Familien oder Alleinerziehende und weitere Menschen, die Hilfe benötigen. Ist dieser intensive Job für dich auch dauer- haft machbar? Ich habe zweieinhalb Jahre eines der Vor- standsämter bekleidet, was ein ehrenamtlicher Vollzeitjob neben meinem eigentlichen Voll- zeitjob war (Janina Alff ist gelernte Fotografin; Anm. d. Red.). Der Tag hat schließlich 24 Stun- den, für mich waren zeitlich also acht Stunden pro Job möglich. Zumindest zeitlich. Ob das kräftemäßig auf Dauer machbar ist, ist eine andere Frage. Nach meiner Vorstandsarbeit wollte ich die Verantwortung aber nicht noch zwei Jahre tragen, bin seitdem eher imHinter- grund aktiv und stehe Hanseatic Help unter- stützend und beratend zur Seite. Aktuell ma- che ich eine Vollzeitweiterbildung im Bereich Organisationsentwicklung und lerne quasi in der Theroie das, was ich in der Praxis schon kennengelernt habe. Hat sich eigentlich die Wut, von der du an- fänglich gesprochen hast, durch die lange Arbeit für Hanseatic Help etwas gelegt? Foto: Sarah Buth HINWEIS 2020 ist durch Corona für Hanseatic Help ein Jahr mit besonderen Herausfor- derungen. Es werden vor allem Schlaf- säcke, Isomatten und Zelte dringend benötigt, die sonst auf Sommerfestivals gesammelt werden, um im Winter Obdachlose zu unterstützen. Zudem werden diese Artikel aktuell auch im Ausland, vor allem nach dem Brand in Moria, vermehrt benötigt und sind entsprechend knapp. Alle, die helfen wollen, können ersatzweise unter nachsommerkommtkalt.org spenden oder die oben genannten Artikel bei Hanseatic Help vorbeibringen. Was der Verein sonst noch braucht, findet man auf der Website. 11

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