Oktober 2018
33 THEATER los, ohne Persönlichkeitsrechte, umarmt die Luft. Er scheint sein Schicksal fast stoisch zu akzeptie- ren, ja geradezu zu begrüßen... Also Shakespeare up to date? Shakespeare ist immer up to date. Sie haben 2009 in Köln bereits viel beachtet den Lear inszeniert. Er war nur mit Frauen besetzt. Wie ist das heute, sich wieder dem Stück zu nä- hern? Funkt die Kölner Inszenierung ins Jetzt? Damals ging es mir primär um den nihilistischen Ansatz und die Grausamkeit. Jetzt interessieren mich zum Beispiel auch die kleinen utopischen Momente des Stückes. Sie konnten Edgar Selge als Ziehpferd gewinnen. Sagte er gleich „ja“? Nach ungefähr zwei Sekunden. Wir verstehen uns künstlerisch sehr gut und haben schon intensiv miteinander gearbeitet. Wann sind Proben für Sie gelungen? Sie sind gelungen, wenn etwas entsteht, das man vorher nicht erwartet hat. Wie steht die Inszenierung dialogisch in der Spielzeit? Das Thema, dass einem Sicherheiten wegbrechen, ist eine Art rote Linie, ein Leitmotiv in unserer Spiel- zeit. Da freue ich mich auf einige Inszenierungen an unserem Haus. Ich denke, es gibt was zu entdecken. Wie sieht es mit den Sanierungsarbeiten im Rang aus? Werden sie zur Premiere abgeschlossen sein? Im Moment sind wir im Zeitplan. Ich gehe also op- timistisch davon aus, dass bis zur Premiere von Lear alles fertig ist. Wir sind schon im Feintuning der Sanierung. Zu guter Letzt: Was bedeuten Kunst und Kultur für Sie? Diskussionsanstoß, ich möchte, dass die Leute reden. Und der Anstoß sollte auch eine politische Dimen- sion haben. Theater sollte ein Impuls sein. Ich ken- ne wenige, die das Theater schweigend verlassen… Und wie ist das Hamburger Publikum? Es ist an Inhalten interessiert. Und trotzdem darf Humor auf den Spielplan, die Hamburger schätzen auch dies. Und ich auch. Man darf den Humor nicht verlieren, besonders im Theater. Auch bei einem Stück wie König Lear nicht. Interview: Steaphanie Maeck AB 19. OKTOBER 19:30 Uhr; Schauspielhaus KÖNIG LEAR Shakespeare ist immer UP TODATE Foto: Sinje Hasheider Verlust an Sicherheit ist auch ein großes Thema bei Lear. Eine alte Ordnung zerbricht, ohne dass ein neues Bezugssystem in Sicht wäre. Dieser Aus- gangspunkt interessiert mich. Und das Stück endet in Chaos und Wahnsinn… Ja, man kann es als philosophische Groteske, als Endspiel lesen. Es geht dann um ein sinnloses Uni- versum, einen Himmel ohne Gott, ein baumloses Paradies, in dem es keinen Trost, keine Entschuldi- gung, keine Erlösung gibt; die Welt als kosmischer Witz. Historisch nimmt Shakespeare allerdings mit Chaos und Wahnsinn sehr reale politische Verhält- nisse vorweg, den englischen Bürgerkrieg. Das Stück war prophetisch. Klingt nicht sehr ermutigend, würde ich sagen. Nein. Aber das Durchspielen von Dystopien in der Kunst gibt uns vielleicht grundlegende Orientie- rungspunkte, die wir in einer als chaotisch emp- fundenen Welt vermissen. Zudem gibt es in dem Stück auch utopische Ansätze. Die Figur Edgar Gloucester, von allen gejagt, vollkommen schutz- Karin Beier inszeniert zur Spielzeiteröffnung Shake- speares König Lear. Im düsteren Endspiel setzt die Intendantin zarte utopische Momente frei. Auf der Bühne: Zuschauermagnet Edgar Selge Frau Beier, wie kommt es, dass König Lear die Spielzeit am Schauspielhaus eröffnet, ein, sagen wir, Shakespeare-Schinken? Karin Beier: Uns scheint, dass viele Menschen das Gefühl haben, die Welt nicht mehr zu verstehen, dass sie gewissermaßen unlesbar geworden ist. Das mag an der Verwerfung tradierter Werte und politischer Systeme liegen, die uns jahrzehntelang eine gewisse Stabilität verhießen. Dieser gefühlte Foto: Florian Raz
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