hamburg:pur September 2025

Fotos: Axel Martens THEATER JUNGES SCHAUSPIELHAUS Jubiläumsspielzeit eröffnet mit einer Uraufführung Intendant Klaus Schumacher inszeniert mit „Anybody Home“ ein eigenes Stück über eine Familie, die an den digitalen Medien zerbricht In „Anybody Home“ erstmals auf der Bühne des Jungen Schauspielhauses: die Ensemble-Neuzugänge Victoria Kraft und Silvio Kretschmer Vor zwanzig Jahren holte der damalige Inten- dant Friedrich Schirmer Kinder- und Jugend- theater als neue Sparte ans Schauspielhaus. Von Anfang bis heute dabei: Klaus Schumacher als künstlerischer Leiter sowie Hermann Book und Christine Ochsenhofer im Ensemble. Das besteht konstant aus sechs Spielern und Spie- lerinnen, die vier anderen, jüngeren wechseln unregelmäßig alle zwei bis vier Jahre. Auch in der nächsten Saison gibt es wieder neue Gesichter: Victoria Kraft, ausgebildet am Mozarteum in Salzburg, tritt ihr Erstengage- ment an; der Schweizer Silvio Kretschmer wechselt nach einigen Jahren Berufserfahrung nach Hamburg. An der Uraufführung zumSpiel- zeitstart sind alle sechs beteiligt, ergänzt um Komponist Jan-S. Beyer, der seine Musik live spielt. Für ein jugendliches Publikum ab 14 Jahre schrieben Klaus Schumacher und die Dramaturgin Stanislava Jević das Eröffnungs- stück der Jubiläumsspielzeit: „Anybody Home“ ist ein Kammerspiel über eine Familie, in der die Bindungen zueinander verloren gehen. Der Vater, ein evangelischer Pastor, predigt online weltweit und scheint seinen Followern näher zu sein als den eigenen Kindern; als Kriegsre- porterin kümmert sich die Mutter mehr um das Elend in der Welt denn um die Bedürfnisse ihrer Familie. Entsprechende Vorwürfe muss sie sich von ihrem zwölfjährigen Sohn Mateo und den Zwillingen Alina und Serafina anhören. Die bei- den Schwestern stehen kurz vor ihrem 18. Ge- burtstag; und diese Feier gibt Anlass zu einer Generalabrechnung mit den Eltern. Wann hat die schleichende Entfremdung be- gonnen? Mit der Pandemie, als virtuelle Kon- takte zunehmend wichtiger wurden? Oder schon viel früher mit der stetigen Handy-Ver- führung? „Jugendliche verbringen durch- schnittlich acht bis zehn Stunden täglich on- line“, erläutert Klaus Schumacher die Motiva- tion, dieses Stück zu schreiben. Was eine „smartphonebasierte Kindheit“ anrichten kann, ist in einemBestseller wie „Generation Angst“ von Jonathan Haidt nachzulesen: Internet und soziale Medien ersetzen für viele (junge) Men- schen längst persönliche Kontakte und reale Begegnungen – mit fatalen Folgen wie Depres- sion und einem deutlichen Anstieg an Anore- xie, Süchten und Schizophrenie. Wie traurig es aber ist, wenn sich eine sympathische Familie nach und nach verliert, kann Theater auf eine viel sinnlichere und wirkungsvollere Art ver- mitteln. Dabei schaut ihr das Publikum im zweistöckigen Heim zu: Katrin Plötzky hat ein Bühnenhaus entworfen, das während der ge- samten Vorstellung von allen Seiten bespiel- und einsehbar ist. „Es geht immer um Aus- tausch“, so Schumacher, der sein Haus als Mehrgenerationentheater versteht, mit einem Angebot für ein Publikum zwischen Vorschul- und Erwachsenenalter. Eine Bilanz nach zwanzig Jahren? „Wie im Fuß- ball, haben wir viele Talente entdeckt und aus- gebildet!“ Das gilt sowohl fürs Schauspiel als auch für die Regie. Renato Schuch, Thorsten Hierse und Julia Nachtmann spielten ihre ers- ten Rollen nach der Ausbildung am Jungen Schauspielhaus, bevor sie eine beachtliche Karriere starteten. Eine frühe Chance zu in- szenieren bekamen beispielsweise Alexander Riemenschneider und Clara Weyde, die heute ein Theater beziehungsweise eine Schauspiel- abteilung leiten. Der „Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares“ und drei „Faust“-Auszeichnun- gen in sechs Jahren gehören ebenfalls zur 20-jährigen Erfolgsgeschichte des Jungen Schauspielhauses. Die wird gewürdigt: mit einer Feier im Juni 2026. Text: Dagmar Ellen Fischer „Anybody Home“, Junges Schauspielhaus, 20.9. (Uraufführung), 23.–25.9. und weitere Termine 10 F rau Aust, Sie kennen die Hamburger Theater- landschaft aus verschiedenen Perspektiven. Hat sie sich nach dem Einbruch durch die Pandemie vollkommen erholt? Tessa Aust: Ja, ich würde sagen, die Pandemie spielt keine Rolle mehr. Die Menschen gehen wieder selbst- verständlich ins Theater. Gerade nach der Pandemie zeigte sich, welchen Stellenwert die Theater in Ham- burg haben. Das Bedürfnis nach kulturellem Aus- tausch und Gemeinschaft hat noch an Bedeutung gewonnen. Die Theaternacht wird vom Hamburger Theater e. V. organisiert. In diesem Jahr nehmen 33 Häuser teil, weniger als in den Jahren zuvor. Nimmt das In- teresse ab? Die Zahl schwankt seit Jahren zwischen 30 und 40, meist aus praktischen Gründen wie Umbauten oder Premierenvorbereitungen. Von sinkendem Interesse kann keine Rede sein – im Gegenteil: Die Identifika- tion mit der Theaternacht, dem „Theaterpreis Ham- burg – Rolf Mares“ und dem Theater Hamburg e. V. allgemein ist in den letzten Jahren gestiegen. Ein gu- tes Beispiel für die Zusammenarbeit ist der erfolg- reiche Relaunch einer gemeinsamen Website im Früh- jahr 2025: theater-hamburg.org bündelt alle Spiel- pläne, bietet Hintergrundinformationen und ermög- licht, Tickets direkt zu buchen – ein echtes Gemein- Tessa Aust Geschäftsführerin der Schmidts Tivoli GmbH/ Vorsitzende des Hamburger Theater e. V. Foto: Julia Schwendner 3 FRAGEN AN… Übernahm 2017 die Geschäfts- führung der Schmidts Tivoli GmbH von ihrem Vater Norbert Aust schaftsprojekt und ein Mehrwert für alle, die sich über die Theater in Hamburg informieren möchten. Was ist neu oder anders in diesem Jahr – gibt es Theater, die erstmals dabei sind? In diesemJahr haben wir dasMobilitätsangebot erst- mals erweitert: Mit demTheaternacht-Ticket kannman nicht nur die HVV-Shuttlebusse mit überarbeiteter Route nutzen, sondern auch kostenlos mit StadtRAD oder E-Scootern von Lime zwischen den Spielorten wechseln – flexibel und nachhaltig. Auch inhaltlich gibt es spannende Neuerungen, denn gleich drei Häuser sind neu dabei: Das Centralkomitee bringt mit einer Late-Night-Comedy frische Impulse. Das Kinderthea- ter Galli spielt erstmals im Theater Haus im Park in Bergedorf – ein neuer Stadtteil auf der Theaternacht- Karte. Und besonders freut mich die Teilnahme der Minotauros Kompanie – ein inklusives Profi-Theater- projekt, das künstlerisch anspruchsvolle Produktionen mit Schauspieler*innenmit und ohne Behinderung auf die Bühne bringt – ein starkes Zeichen für Vielfalt und Teilhabe. Aber auch bei uns amSchmidt feiern wir eine Premiere: ZumerstenMal beteiligen wir uns amFami- lienprogrammund zeigen Highlights aus unseren Kin- dermusicals – ein schöner Einstieg für die Jüngsten. Interview: Dagmar Ellen Fischer Theaternacht Hamburg, 13.9. 28.9. – 16.11.2025 DAS DOPPELTE LOTTCHEN DUBBELT HÖLLT BETER | VON ERICH KÄSTNER BÜHNENFASSUNG VON HANNA MÜLLER

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