hmburg:pur September 2022
Foto: Monika Rittershaus THEATER Beginn prophezeien, dass er König von Schottland wird. Welchen Stellenwert haben das Stück und die Rolle für dich? Die Engländer nennen das Stück bis heute „the scottish play“. Der Aberglaube verbietet es, den Titel „Macbeth“ wörtlich zu nennen. Man fürchtet den Teufel, der in diesem außer Kon- trolle geratenen Jedermann steckt. Wenn man so einem Jedermann eine Prophezeiung ins Ohr tröpfelt – auch wenn sie noch so undenk- bar, abscheulich und dumm ist –, setzt das et- was in Gang. Für den prophezeiten Königstitel schlachtet er dann sogar König Duncan ab, den er übrigens für einen absolut perfekten Herrscher hält. Er will die Macht um jeden Preis? Bei Vorstellungen habe ich einmal Angela Mer- kel und auch den König von Belgien getroffen. Solche Menschen haben immer jemanden da- bei, der ihnen etwas ins Ohr flüstert, von dem sie dann so tun, als hätten sie es schon immer gewusst. Sie spielen das Spiel von Souveräni- tät, sind dabei sehr sympathisch und nett, aber zu spielen und Menschen zu begegnen – auch ohne Sprache. Dadurch gewöhnt sich der Kör- per daran, dass er nicht in Gefahr ist. Ich ma- che in meiner Garderobe auch immer das Fens- ter auf und schaue mir die Menschen draußen an, die absolut nichts mit dem Theater zu tun haben. Dann verwandelt sich meine Angst in Freude, dass ich diesen Beruf ausüben darf. Du hast viele Theaterpreise gewonnen … Auch sie haben mir geholfen, nicht nur so zu tun, als sei ich Schauspieler, sondern es wirk- lich zu sein. Denn auch nach der Ausbildung habe ich oft gedacht, dass ich für diesen Beruf nicht geeignet bin. Das Unvermögen oder das Gefühl, dass etwas nicht geht, ist für mich im- mer ein Motor. Auch in jedem guten dramati- schen Text zieht die Figur in voller Fahrt eine Handbremse. Dadurch stiftet sie einen Konflikt mit sich selbst oder anderen, aus dem sie sich dann wieder herauszulügen versucht. Zur Saisoneröffnung am Schauspielhaus spielst du den Macbeth, dem die Hexen zu mich abzuhaken, und mich danach gar nicht mehr darum gekümmert. Plötzlich klingelte das Telefon, und man sagte mir, ich könne im Au- gust mit dem Unterricht beginnen. Während der Ausbildung habe ich dann ein Jahr lang geschwiegen, weil ich meine eigene Stimme nicht hören wollte. Ich wollte zwischen dem Text und seinen möglichen Betrachtungswei- sen nicht imWeg stehen. Und das haben die Lehrer durchgehen lassen? Manche waren sehr böse mit mir, aber andere, die den Unterricht eher körperlich angingen, fanden das genau richtig und fühlten sich durch mein Schweigen positiv herausgefordert. Ih- nen habe ich es zu verdanken, dass ich nicht von der Schule geschmissen wurde. Und wie hast du schließlich zur Sprache gefunden? Irgendwann forderte mich eine Lehrerin vor der ganzen Gruppe auf, „ja“ zu sagen. Doch je- des Mal, wenn ich „ja“ sagte, klang es wie „nein“. Dann forderte sie mich auf „nein“ zu sagen, und es klang wie „ja“. Durch die Liebe und Zuwendung dieser Frau habe ich nach und nach kapiert, dass es nicht schlimm ist, wenn die Wörter durch mich hindurchgehen. Das ist doch eine von vielen Theaterkonven- tionen. Mussman die überhaupt hinterfragen? Ich war einmal bei meinemBruder zu Besuch, der Botschafter in Sambia in Afrika ist. Dort ist es uns nicht gelungen zu erklären, was ich be- ruflich mache. Dass viele Menschen zusam- men im Dunkeln sitzen, um zuzuschauen, wie ich vorgebe, ein mittelalterlicher König zu sein, erschien ihnen völlig absurd. Von daher bin ich wahnsinnig dankbar, dass die Menschen in unseren Breitengraden bereit sind, sich auf das Ritual des Theaters einzulassen und Vor- gänge auf der Bühne zu verfolgen, die nicht immer leicht zu verdauen sind. Hast du auf der Bühne Zeit, dir Gedanken über die Gedanken des Publikums zu machen? Ja, alles läuft wie beimBillard über Bande. Ich war auch immer bis zum Kotzen nervös, habe mir das aber abtrainiert, weil es sehr ungesund war. Es hat sehr geholfen, überall auf der Welt 18 THEATER in ihren Augen sieht man: Wenn du Macht hast, dann hast du die gewollt und geplant. Macbeth hingegen hat überhaupt keinen Plan, der über seine Krönung hinausgeht. Mit ihr kreiert er nur sein nächstes Trauma. Die Magie der Weissagung wendet sich gegen ihn … Die Prophezeiung verstehe ich nicht als Magie. Sie ist das, was die Eltern und Großeltern von einem verlangen. Ich war früher Jockey. Meine Eltern haben mich da herausgezogen, weil sie einerseits Angst um mich hatten, aber auch wollten, dass ich etwas „Vernünftiges“ mache. Mit diesem „Hexenspruch“ im Rücken bin ich dann Schauspieler geworden. Und die Pferde habe ich immer noch. Bist du deinen Eltern rückblickend dankbar? Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich innerhalb meines Berufs immer wieder alles neu denken und den Texten so nahe kommen kann, wie jetzt mit Regisseurin Karin Henkel. Wenn ich aber wieder auf den Hof komme und den Ge- ruch dort atme, denke ich jedes Mal, ich hätte mir den ganzen Umweg sparen können. Aber dann hätte ich alles verpasst, ich würde reden, wie man auf einemHof redet, und mir würden wahrscheinlich auch ein paar Zähne fehlen. Wie unterscheidet sich die Sprache des Rei- terhofs von der des Schauspielers? In Deutschland reden die Schauspieler auf der Bühne manchmal wie Schauspieler und nicht wie Menschen. In Holland gab es Ende der 1960er-Jahre die „Aktion Tomate“. Da haben die Leute Tomaten auf die Bühne geworfen, wenn die Schauspieler nicht wie Menschen ge- sprochen haben. Irgendwann haben sie dann Netze vor die Bühne gespannt. Noch einmal zurück zu Macbeth. Ferdinand von Schirach sagt: Es gibt keine bösen Men- schen, nur böse Taten. Würdest du dem zu- stimmen? Ich glaube, dass es auch sehr böse Menschen gibt. Es fragt sich nur, woher das Böse kommt. Das hat viel damit zu tun, dass in deinem Le- ben zur falschen Zeit das Falsche passiert: ein traumatisches Erlebnis, ein Unfall, eine Unge- rechtigkeit oder emotionale Verletzung. Diese ganze Paul-McCartney-Generation, die jetzt gerade wegstirbt, wurde von den Eltern, die den Krieg noch miterlebt hatten, so verwöhnt, dass dort eine große Gleichgültigkeit entstan- den ist. Diese Gleichgültigkeit macht mir Angst. Bestimmt lässt eure Aufführung niemanden gleichgültig, wenn du mit der Figur des Mac- beth gegen dein eigenes Unvermögen an- spielst, wie du vorhin gesagt hast … Macbeth sagt auf der Bühne: „Es ist noch gar nichts passiert, und ich zittere schon am gan- zen Körper.“ Wenn ich dann denke: Der kleine Belgier, Eröffnungsvorstellung, Vergleich mit anderen Shakespeare-Abenden – also ich zit- tere auch schon am ganzen Körper. Es ist krass, wenn so viele Leute da sitzen. Warum tue ich mir das an? Weil es ein geiler Abend wird. Weil es Spaß macht, dieses Unvermögen zu zeigen. Interview: Sören Ingwersen 25. SEPTEMBER (PREMIERE), 5.+13. OKTOBER und weitere Termine Schauspielhaus PÜNKTCHEN UN ANTON NACH DEM ROMAN VON ERICH KÄSTNER AB 7 JAHREN // AUF HOCH- & PLATTDEUTSCH 14.9. – 8.10.2022 Foto: Sinje Hasheider
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz