Hamburg Pur - September 2021

Foto: Majid Moussavi MUSIK MAX RAABE & PALAST ORCHESTER Raus aus der Realität „Guten Tag, liebes Glück“ ist der Titel des aktuellen Konzertprogramms vonMax Raabe & Palast Orchester. So richtig viele Glücksmomente gab es für die Meister der gehobenen Unterhaltung zuletzt freilich nicht. Ein Gespräch mit Raabe über Show-Ausfälle, das Vermissen des Publikums und den Ehrgeiz, Letzteres jetzt wieder aus dem Alltag zu entführen Max Raabe, „Heut mach’ ich gar nichts, kei- nen Finger krumm, ich bleib’ zu Haus’ und liege hier einfach nur so rum“, heißt es in Ihrem Song „Der perfekte Moment“ – er- schienen in einer Zeit, in der so etwas für einen viel beschäftigten Künstler noch Luxus war. Im vergangenen Jahr war es eine nicht zu umgehende Dauersituation. Wie haben Sie die Corona-Monate ohne Live-Auftritte er- lebt? Max Raabe: Schon ein bisschen apathisch. Es hat sich eine gewisse Teilnahmslosigkeit ent- wickelt. Muss viel Organisation gewesen sein, immer- hin hatten Sie zig Orchestermitglieder immer wieder über Konzertverlegungen zu infor- mieren. Das war furchtbar! Wir haben zwar keine Kon- zerte abgesagt, aber eben immer wieder ver- schoben. Zuerst um ein paar Monate, weil man dachte, es wird ja wohl bald wieder vorbei sein. Dann aber doch auf den Spätsommer, auf den Herbst und schließlich ins Jahr 2021. Es war eine enorme organisatorische Arbeit. Gott sei Dank lastete sie nicht voll und ganz auf mei- nen Schultern, aber sie war schon sehr ner- venaufreibend. Was in dieser Zeit aber sehr schön und tröstend war: Dass wirklich niemand seine Karte zurückgegeben hat, sondern alle abgewartet haben, bis wir wiederkommen. Haben einzelne Mitglieder zeitweise etwas mehr unter der Situation gelitten und umGe- spräche gebeten? Manchmal hat uns alle der Fatalismus umklam- mert. Aber es war auch allen klar: Von uns hatte niemand Schuld an der Situation, niemand hatte einen Fehler gemacht. Der – in Anfüh- rungsstrichen – Feind kam von außen. Und die Geschlossenheit des Orchesters war immer gegeben. Für jemanden, der normalerweise 80, 90 Kon- zerte im Jahr spielt: Führt es zu Entzugs- erscheinungen, wenn so lange so gar kein Konzert möglich ist? Ich muss gestehen, dass mir vor allem die Tref- fen im Restaurant und in der Kneipe gefehlt haben. Wenn wir Konzerte spielen, fängt für mich um 17 Uhr der schöne Teil des Tages an: Dann haben wir Catering. Noch schöner wird es, wenn wir 20 Uhr auf die Bühne gehen – dann 8 können wir machen, was wir wollen. Wir haben dann den Ehrgeiz, die Leute dazu zu bringen, die Realität zu vergessen. Keiner soll mehr da- ran denken, ob sein Auto gerade imParkverbot steht. Jeder soll sich ganz demProgramm hin- geben. Dafür ist diese Musik ja auch gemacht worden: Damit man sich mal kurz umwas Ba- nales, Verrücktes, Romantisches oder Senti- mentales kümmert. Und eben dieser Ehrgeiz, das hinzukriegen, treibt uns von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Passt zu dem, was Sie mal über sich selbst sagten: Sie nähmen sich nicht so wichtig, die Musik hingegen sehr – und damit sicherlich auch das Publikum für Ihre Musik. Ich sage es mal so: Wir haben mal ein Strea- mingkonzert gegeben, also eines ohne Publi- kum vor der Bühne. Und da war der Witz weg. Wir überlegen uns ja eine Dramaturgie, um da- mit beimPublikum eine Reaktion zu erzeugen. Wir möchten direkt sehen, ob die Sachen, die wir machen, ankommen oder nicht. Und wenn mal etwas nicht läuft, wird das Programm so lange umgebaut, bis es funktioniert. Von daher sind uns die Menschen vor der Bühne sehr wichtig. Haben Sie eigentlich während der pandemie- bedingten Pause neue Songs geschrieben? Haben wir, ja. Erst kürzlich habe ich mich mit einemKollegen von Rosenstolz getroffen, auch mit Annette Humpe und AchimHagemann. Das sind meine favorisierten Top-Fachkräfte, mit denen ich mir gerne Sachen ausdenke. Wir ha- ben uns angehört, was wir vor einige Monaten gemacht hatten. Einiges davon ist in hohem Bogen in den Papierkorb geflogen, anderes ha- ben wir unter Jubel weiterbearbeitet. Das nor- male Geschäft. Wird davon schon etwas bei den anstehen- den Konzerten, etwa beim Stadtpark Open Air, zu hören sein? Nein, dazu ist es noch zu früh. Man muss die Stücke eine Zeit lang ruhen lassen, um zu mer- ken, ob sie wirklich gut sind. So war es schon immer. Ich bin zudem unheimlich pingelig – gerade bei den eigenen Stücken. Für mich muss immer alles sitzen. Wenn von den Mit- schreibenden auch nur einer komisch guckt, weiß ich, dass es nicht passt. Wird dieser Perfektionismus vom komplet- ten Orchester getragen? Die Kollegen sind mindestens genauso prä­ zise. Wobei mir Perfektionismus etwas zu humorlos klingt. Ich würde es eher eine Liebe zum Detail nennen und ein Überprüfen, ob etwas berührend sein kann oder einfach nur abgedroschen ist. Interview: Erik Brandt-Höge 9.9. 20:00 UHR Stadtpark Open Air EBENFALLS BEIM STADTPARK OPEN AIR IM SEPTEMBER: 1.9. Giant Rooks, 3./4.9. Olli Schulz, 5.9. Deine Freunde Festival für Immaterielle Kunst 2021 Viele Verbindungen zwischen Neuer Musik und Performancekunst gibt es auf den ersten Blick vielleicht nicht, doch genau hier setzt das Festival für Immaterielle Kunst an: Am 11. und 12. September loten sechs internationale Künstler in fünf Shows, zwei Workshops, einer Podiumsdiskussion und einer Warm-up-Performance mit Publikum aus, welche Schnittstellen es zwischen diesen beiden Bereichen gibt. Jessie Marino (USA/Berlin), Anna Natt (Spanien/Berlin), Viola Yip (Hong- kong/USA), Tord1s (Hamburg), Janneke van der Putten (Niederlande) und Issiaka Moussa (Togo/Hamburg) wollen die beiden Kunstdiszipli- nen verbinden und Neues entstehen lassen. „Immaterielle Kunst lässt sich nur durch Erleben begreifen. Man teilt Zeit und Ort mit anderen. Nicht nur das, was auf der Bühne passiert, ist wichtig, sondern die Prä- senz von einem selber auch“, erklärt Festivalinitiatorin und Stimm- künstlerin Frauke Aulbert. Der Eintritt zur Warm-up-Performance ist frei. Die vier Konzerte am 11. September kosten 20 Euro (ermäßigt 18 Euro), die Workshops am 12. September nach Anmeldung 12 Euro. (fw) immateriellekunst.de MUSIK Foto: Gabriël 9

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