Septermber 2020

Julius, welche Konsequenzen hatte Corona für dich als Künstler? Julius Steinhoff: Ziemlich direkt zum Lockdown Mitte März wurde die erste Ausgabe eines Fes- tivals in der Nähe von Nottingham abgesagt. Wir hätten eine Smallville Stage kuratiert, dem- entsprechend liefen die Planungen auf Hoch- touren. Stefan Marx hatte ein Poster entworfen und das Festival sollte in einer Burg in den High- lands stattfinden. Das klang alles sehr schön an, wurde dann aber direkt um ein Jahr in den Juli 2021 verschoben. Gefühlsmäßig waren die ers- ten Maßnahmen eher so etwas wie eine kurze Pause der Normalität, doch mit der direkten und frühzeitigen Absage des Festivals war mir schnell bewusst, dass erst mal nichts mehr sein wird wie es war. Für DJs brechen die Möglich- keiten damit von 100 auf 0 Prozent ein. Das war schon ernüchternd zu realisieren, dass dieser Bereich als einer der ersten, gleichzeitig aber wohl bis zum Schluss, betroffen sein würde. Ich muss aber klar sagen, dass ich die Maßnahmen natürlich verstanden und voll unterstützt habe. Das war eine Ausnahmesituation für alle – nicht nur für Künstler und Kulturschaffende. Streaming wurde kurzfristig wahnsinnig populär. Auch für dich? Es gab schon Möglichkeiten, ich habe aber ehr- lich gesagt nicht so Lust darauf. Das Ganze hat PARTY natürlich seine absolute Daseinsberechtigung und ist für die ganze Promo-Social-Media-Blase wichtig. Für mich ist es allerdings eher anstren- gend und hat mich ehrlicherweise auch mehr abgeschreckt, wenn jeden Abend fünf exklusi- ve DJ-Sets imNetz übertragen wurden. Für mich persönlich war es eher eine Zeit, in der ich mich zurückgezogen habe. Hast du die Zeit zum Produzieren genutzt? Anfangs kaum und ich war auch nicht sonder- lich inspiriert. Irgendwann kam dann aber doch eine Phase, in der ich mich wieder mehr im Stu- dio wiedergefunden habe. Auf Smallville kam direkt nach dem Lockdown eine Platte von Chris- topher Rau raus, die unglaublich gut ist. Den Tonträgerverkäufen hat man allerdings ange- merkt, dass viele Plattenläden weltweit schlie- ßen mussten, die Clubs zu waren und die Post in manche Länder gar nicht mehr zugestellt hat. Wann musste Smallville Records schließen? Der Laden selber war ab Mitte März für einen guten Monat bis Ende April geschlossen. Da- nach durfte der Einzelhandel wieder öffnen. Die Kunden waren aufgerufen, die eigenen Kopf- hörer mitzubringen und wir haben relativ viel Platz im Laden. Habt ihr Hilfen beantragt? Letztendlich haben wir keine Anträge für Small- ville gestellt, nein. Wir kamen durch den Lock- down nicht in direkte Liquiditätsprobleme und es wurde klar vermittelt, dass dies eine Voraus- setzung ist. Es gab hier von Bundesland zu Bun- desland doch teilweise erhebliche Unterschie- de in den Möglichkeiten für Soforthilfen, insge- samt war die Situation etwas schwammig. Gleichzeitig war die Resonanz bei uns im On- lineshop relativ beachtlich. Als der Laden ge- schlossen war, hatten wir deutlich mehr Bestel- lungen, zudem gingen auch die digitalen Ver- käufe in dieser Zeit nach oben. Es gab auch verschiedene Aktionen. Bandcamp beispiels- weise hat spezielle Tage veranstaltet, an denen alle Einnahmen direkt und komplett an die La- bels und Künstler ausbezahlt werden. Da wir in der Zeit des Lockdowns gleichzeitig natürlich nicht so viele Tonträger eingekauft haben und somit weniger Rechnungen begleichen muss- ten, kamen wir mit dem Laden aber insgesamt ganz gut über die Zeit. Kam es durch Corona zu mehr Musikveröf- fentlichungen? Nein, eher andersherum. Wahrscheinlich kommt diese Welle erst noch, wenn die ganze Musik veröffentlicht wird, die in den letzten Monaten geschrieben und produziert wurde. Aber die Musik, die wir selber veröffentlichen, spielen sowie im Laden verkaufen ist hauptsächlich Clubmusik. Unsere Kunden sind oft DJs – ein Anteil, der erst mal in Teilen weggefallen ist, außerdem sind Touristen von außerhalb, nicht so zahlreich unterwegs. Ich merke auch im Be- zug aufs Label, dass ich etwas zögere mit den Planungen von Releases, weil momentan im Ver- gleich zu Vor-Corona alles runtergefahren ist. Ich denke es geht vielen Labels ähnlich. Nach wie vor wird natürlich Musik konsumiert, aber der Club-Aspekt fehlt schon. Eure Club-Veranstaltung fehlt ebenfalls … Wir haben monatliche Smallville-Nächte im Pu- del veranstaltet, das fiel jetzt weg. Der Pudel hat immerhin jetzt Barboncino Zwölphi, wo es draußen wieder losging. Wünschst du dir weitere Lockerungen im Nachtleben? Ich finde es schwierig und habe hier durchaus zwei Blickwinkel. Aus Künstlerperspektive fällt es schwer, zum Abwarten verdammt zu sein und nicht spielen zu können. Andererseits merke ich bei mir selber, dass das Verlangen nach großen Menschenansammlungen noch nicht so groß ist. Ich bin absolut für eine verantwortungsbe- wusste Umsetzung undWeiterführung in Zeiten der Pandemie, damit es irgendwann hoffentlich wieder richtig losgehen kann. Letztendlich ge- fährden Veranstaltungen mit schwammigen Sicherheitskonzepten und Umsetzungen die Möglichkeiten für alle kulturellen Bereiche. Dem Verlust von diversen kulturellen Einrichtungen sollte zudem durch weitere Hilfen entgegen- getreten werden. Clubs sind wohl die letzte Branche, die noch überhaupt nicht wieder an- fangen konnten, zumindest wenn keine Außen- bereiche vorhanden sind. Hier muss durch Hil- fen mit niedrigen bürokratischen Hürden unter- stützt werden, vielleicht auch mit Möglichkeiten von Mieterlassen oder anderen kreativen Unter- stützungsformen. Es wurde schon so viel Geld in die Rettung von Großkonzernen gepumpt, ich denke es gibt allgemein eine Dringlichkeit für den kulturellen Sektor, damit hier nicht eine ganze Bandbreite von Einrichtungen nie wieder wird öffnen können. Wie bewertest du den Umgang der Hambur- ger Politik mit dem Thema? Es wäre an dieser Stelle vom Senat wichtig, be- stimmte Dinge zu überdenken und zu verein- fachen, um neue Möglichkeiten oder Konzepte schaffen zu können. Damit beispielsweise Geh- wege genutzt werden und Menschen auch an der frischen Luft zusammenkommen können. Durch einfachere Erlaubnis, nicht zu restriktiv sein. Da fehlt sicherlich noch etwas, aber gleich- zeitig muss die Verantwortlichkeit jedes Einzel- nen natürlich gewährleistet sein. Interview: Ole Masch 11

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