September 2019

52 MOBILITÄT „ARSCHLOCH!“ Keine hundert Meter unterwegs, wird Alex schon beschimpft. Im Zickzacksprint hat er es durch eine Menschenmenge geschafft, und nicht alle in der viel belaufenen Fußgängerzone waren von seinen fahre- rischen Fähigkeiten angetan. Egal, Alex muss weiter, ein Kunde wartet auf eine Lieferung, und Zeit ist in Alex’ Job buchstäblich Geld. Seit drei Jahren ist der gebürtige Stuttgarter in Hamburg, seit einem Jahr als Kurierfahrer unterwegs. Wichtigstes Arbeitsgerät: sein orangefarbenes Cargobike. Da- mit transportiert der 40-Jährige alle denkbaren Dinge von A nach B: Blut- proben für Labore, vergessene Schlüssel, Ladekabel, Dokumente wie Ge- richtsurteile, Kündigungen und Hafenfrachtscheine. Auch ein Blumenstrauß für Helene Fischer lag schon in der schwarzen Box, die vor Alex’ Lenker in- stalliert ist. Was im schuhkartongroßen Paket ist, das jetzt in der Box liegt, weiß Alex nicht, nur, dass es in wenigen Minuten beim Adressaten sein soll. Also düst er weiter durch die City, rasend schnell, aber den Rest des Stadt- verkehrs immer im Blick. Umgekehrt ist das nicht immer so. „Einmal hat mich ein Auto voll erwischt“, sagt er, „vorne an der Box, und dann lag ich da. Ist eben so: Die ein oder andere Narbe haben alle Kurierfahrer.“ Was laut Alex auch alle Fahrer haben: zig Fahrstuhl-Selfies. „Alter Fahrertrick: Am Ziel angekommen, geht es im Fahrstuhl hoch zur angegebenen Etage, runter auf der Treppe – weil dort Funkempfang ist und schon der nächste Auftrag angenommen werden kann.“ Und genauso macht er es dann, als das Paket sicher beim Empfänger gelandet ist. Ein paar Knopfdrücke auf die umgeschnallten Geräte, und weiter geht’s, nun sollen Klamotten von einer Boutique in ein Hotel gebracht werden. Dass Alex in der Kurierfahrerbranche arbeitet, ist übrigens nur konsequent. Im Saarland arbeitete er lange selbstständig im Bereich der E-Mobilität, half unter anderem dabei, Hoverboards in Europa zu etablieren, indem er sie ge- konnt platzierte, etwa in Sendungen wie „Schlag den Raab“. Alex: „Durch die ständige Beschäftigung mit alternativer Mobilität habe ich mich auch privat verändert, mein Auto verkauft und mir ein Lastenfahrrad angeschafft. Und irgendwann dachte ich: Das wäre doch auch ein Job für mich, also das Über- mitteln von Waren per Lastenfahrrad.“ Er fing bei der Kurier AG an, um ein Gespür für den Beruf zu entwickeln, und baute nebenher schrittweise seine eigene Firma Bringbock auf, über die er heute zusätzlich Aufträge zum Aus- liefern von Paketen von einem Berliner Onlineshop annimmt, der auf der letzten Meile via Lastenfahrrad ausliefern lässt. Das Geschäft läuft gut und macht Alex weiterhin Spaß – mal abgesehen von seltenen Unfällen, starkem Materialverschleiß, Passantengemecker und dem nicht immer fahrerfreund- lichen Wetter. Auch Hamburg habe er immer besser kennen- und lieben gelernt durch den Job: „Die Stadt ist überall anders, riecht sogar überall anders, hier nach vermodertemWasser, dort nach süßem Sanddorn. Ich nehme alles war, verbinde jeden Ort mit einem Duft.“ Und womöglich mit dem nächsten Auftrag. Erik Brandt-Höge www.kurierag.de, www.bringbock.de Ständig auf der Straße Fahrradkuriere müssen schnell sein – immer unterwegs zwischen Autos und Fußgängern. Die Voraussetzungen für Konflikte? Unser Autor war mit auf Tour

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