September 2018
Das schönste Mädchen der Welt 1897 schrieb Edmond Rostand seinen „Cyrano von Bergerac“. Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) hat den Stoff als Drehbuch- autor auf ebenso kluge wie witzige Weise als Teenie-Komödie in die Gegenwart geholt. Der großnasige Held (Aaron Hilmer) kämpft hier mit Wortwitz: Er macht seine Gegner, geheimnisvoll hinter einer Mas- ke versteckt, in Rap-Battles platt. Doch in der Schule wird er gemobbt; die anstehende Klas- senfahrt nach Berlin ist für ihn der blanke Horror. Bis kurz vor der Abfahrt des Busses eine neue Mitschülerin zur Klasse stößt: Roxy (Luna Wedler). Das schönste Mädchen der Welt – das sich aber in einen hirnlosen Schön- ling verknallt, weil sie ihn hinter der Maske des Rap-Champions ver- mutet. Der Original-Vorlage folgend nutzt Cyril den strohdoofen Rick als „Avatar“, um Roxy von Aufreißer-Arschloch Benno fernzuhalten, indem er für ihn Songs und romantische SMS schreibt. Äußerlichkeiten statt innerer Werte: Der 120 Jahre alte Stoff ist heute aktueller denn je. Regisseur Aron Lehmann setzt ihn mit viel Schwung um, die Rap- Songs von Konstantin Scherer und Robin Haefs blasen den Zuschauer hinfort, und der Cast ist fantastisch. Gucken. (mas) AB 6. SEPTEMBER R: Aron Lehmann; D 2018; D: Luna Wedler, Aaron Hilmer, Damian Hardung, Anke Engelke, Heike Makatsch 2. SEPTEMBER 14:30 Uhr, Sondervorstellung, Abaton-Kino ★★★★★ Mr. Gay Syria Der in Istanbul gestrandete homosexuelle syrische Flüchtling Husein will den Schönheitswettbewerb „Mr. Gay Syria“ gewinnen, um für sein Land am Schönheitswettbewerb „Mr. Gay World“ auf Malta teilzuneh- men. Mahmoud, syrischer Aktivist für die LGBTI-Bewegung in Berlin, unterstützt ihn dabei. Das klingt wie eine Komödie, ist aber ein Doku- mentarfilm der türkischen Filmemacherin Ayse Toprak mit einem starken Statement. Die vielfach erfahrenen Repressionen aufgrund der sexuellen Identität spiegelt sie in Protagonisten, die für ihre Rech- te eintreten, ohne sich dabei verbittern zu lassen. Außerdem verzich- tet „Mr. Gay Syria“ schon durch seine erste Einstellung glücklicher- weise auf die Illusion eines zuckrigen Happy Ends. Ab und zu nervt Topraks halbdokumentarischer Stil (manchmal fühlt man sich wie in einem Spielfilm), doch „Mr. Gay Syria“ bietet als humanistische Refle- xion über schwule Flüchtlinge in einer muslimischen Welt einen Per- spektivwechsel an, der viel Empathie hervorrufen wird. (misch) AB 6. SEPTEMBER R: Ayşe Toprak. F/D/TUR 2017 ★★★★ ★ Glücklich wie Lazzaro Der Schwächere wird ausgebeutet, das ist die menschliche Natur. So zu- mindest sieht die überkandidelte Zigarettenbaronin Marquesa Alfonsina de Luna die Welt. Lange nachdem die Leibeigenschaft in Italien abge- schafft wurde, lässt sie die Bewohner eines völlig abgeschieden liegen- den Bergdorfes noch wie Sklaven für sich schuften. Die wiederum nutzen die Gutmütigkeit Lazzaros (elfengleich: Adriano Tardiolo) aus, eines jun- gen Mannes, der sanft lächelnd alles erledigt, was ihm aufgetragen wird. Als die Polizei durch Zufall den Machenschaften auf die Schliche kommt, werden die Bewohner in die nächste Großstadt gekarrt – alle außer Laz- zaro, der aufgrund eines mysteriösen Fieberanfalls erst viele Jahre spä- ter seine Familie wiedertrifft. Vom Staat im Stich gelassen leben die ehe- maligen Ausgebeuteten in prekären Verhältnissen; so viel hat sich nicht geändert. Kunstvoll übt Regisseurin Alice Rohrwacher mit diesem zau- berhaften, realmagischen Märchen Gesellschaftskritik. Schade, dass Lazzaro zu einfältig daherkommt. (mas) AB 13. SEPTEMBER R: Alice Rohrwacher; I/F/CH/D 2018; D: Adriano Tar- diolo, Luca Chikovani, Alba Rohrwacher ★★★★ ★ Utøya 22. Juli Ein von jungen Menschen bevölkertes idyllisches Eiland. Hektische Flucht- sequenzen. Und ein kaltblütiger Mörder, der Jagd auf Unschuldige macht. Erik Poppes neuer Spielfilm klingt nach Horrorstreifen, bringt dem Zu- schauer aber ein reales Blutbad ins Gedächtnis: das Massaker, das der rechtsextreme Anders Breivik am 22. Juli 2011 auf der Insel Utøya in einem Sommercamp unter Jugendlichen anrichtete.Für Dis- kussionen sorgte Poppes Rekonstruk- tion, die bei der Ber- linale Premiere fei- erte, vor allem wegen ihrer markanten Ge- staltung. Gedreht in einer einzigen Ein- stellung mit einer höchst agilen Hand- kamera und verdich- tet auf das Erleben der fiktiven Kaja (stark: Andrea Bernt- zen), verweigert sich „Utøya 22. Juli“ konsequent einer differenzierten Analyse der Gescheh- nisse. Doch der Regisseur zielt nicht auf voyeuristische Gewaltexzesse ab, sondern bemüht sich aufrichtig darum, die Panik der Jugendlichen zu beschreiben. Sein Film beschreitet dabei einen durchaus streitbaren Weg, lässt sich aber sicher nicht so leicht, wie manch ein Rezensent es darstellt, als plumper Exploitation-Streifen abtun. (cd) AB 20. SEPTEMBER R: Erik Poppe; NOR 2018; D: Andrea Berntzen, Elli Rhiannon Müller Osbourne, Sorosh Sadat ★★★ ★★ Foto: Nadja Klier / Tobis Film Foto: Piffl Medien Foto: Agnete Brun 37
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