September 2017
Die Wunde Ein südafrikanisches Bergdorf, die Heimat des Fabrikarbeiters Xholani. Je- des Jahr kehrt er als Betreuer zum Initiationsritual etwa 15-jähriger Jungen hierher zurück. Seine Aufgabe ist die medizinische Betreuung der Wunde nach der Beschneidung plus die Ausübung der Vorbildfunktion mit mächtig viel Männlichkeitsgehabe. In diesem Jahr ist der angeblich mimosenhafte städtische Junge Kwanda sein Schützling. Doch Xholani trägt selber eine rie- sige Wunde mit sich herum: Er ist homosexuell, verliebt ihn seinen Kind- heitsfreund Vija. Regisseur John Trengove transportiert in ruhigen, oft beklemmend dunklen Farben und vielschichtigen Dialogen die Geschichte eines Außenseiters, die Spannungen zwischen Tradition und Moderne, aber vor allem das in Südafrika oftmals tabuisierte Thema Homosexualität. Feuilletonistisch betrachtet ist dieser vielfach verschachtelte Film lehrreiche Kunst aus einer faszinierend fremden Welt, cineastisch ist er unglaublich spannend. Große Klasse! (misch) Ab 14. SEPTEMBER R: John Trengove; /A/F/NL/D 2017; D: Nakhane Touré, Bongile Mantsai, Niza Jay Ncoyini ★★★★★ 6. SEPTEMBER 20:00 Uhr; Premiere mit Gästen; Abaton Kino Das Löwenmädchen In Norwegen kommt 1912 ein behaartes Mädchen zur Welt. Die Mutter stirbt bei der Geburt, der Vater kann das „Monster“ mit dem Gendefekt nicht annehmen. So sind es zunächst eine hilfsbereite Nachbarin und die junge Amme, die Eva beschützen, statt ihre Andersartigkeit zu bewerten. Erik Fosnes Hansen thematisiert in seinemRoman „Das Löwenmädchen“ eine gesellschaftliche Außenseiterin und die beginnende Fraueneman- zipation Anfang des 20. Jahrhunderts. Vibeke Idsøe konzentriert sich in ihrem gleichnamigen Film besonders auf die innere Entwicklung der mutigen Eva, die imVerlauf von drei Schauspielerinnen verkörpert wird. Ihre Erfahrungen mit Ausgrenzung und distanzloser Wissenschaft sind ebenso Episoden wie Evas Leben in einemWanderzirkus – bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Menschen mit körperlichen Besonderheiten auf Jahrmärkten ausgestellt („Lionel der Löwenmensch“, „Die Affenfrau“). Die norwegische Regisseurin überzeugt mit einem sehenswerten, warmherzigen Plädoyer für Selbstbestimmung und Toleranz. (kal) Ab 14. SEPTEMBER R: Vibeke Idsøe; D/NOR/SWE 2016; D: Rolf Lass- gård, Ken Duken, Burghart Klaußner, Connie Nielsen ★★★★ ★ The Limehouse Golem Als „Jack the Ripper“ ging ein Serienmörder in die Geschichte ein, der Ende des 19. Jahrhunderts im Londoner East End Angst und Schrecken verbrei- tete. Er inspirierte Peter Ackroyd zu seinem Roman „Der Golem von Lime- house“, der fiktive und real existierende Personen in einer düsteren Krimi- nalerzählung zusammenbringt. Juan Carlos Medina hat den Stoff nun verfilmt. Hier spielt Bill Nighy den Scotland-Yard-Ermittler Kildare, der die grausamen Morde untersucht und auf den exzentrischen Bühnenstar Dan Leno (Douglas Booth) und seine Kollegin Elizabeth Cree (Olivia Cooke) auf- merksam wird. Letztere sitzt im Gefängnis, da sie ihren Mann vergiftet ha- ben soll, bei dem es sich möglicherweise um den Limehouse-Killer handelt. Trotz kleiner Spannungshänger gefällt der detailreich ausgestattete Histo- rien-Thriller mit einer unheilschwangeren Atmosphäre und einer ver- schachtelten Erzählweise. Eingebettet in das wenig zimperliche Mör- der-Rätsel ist ein interessierter Blick für die damalige Zeit. (cd) Ab 31. AUGUST R: Juan Carlos Medina; GB 2016; D: Olivia Cooke, Bill Nighy, Douglas Booth ★★★★ ★ Foto: 2017 Concorde Filmverleih GmbH/ Nicola Dove Foto: Christine Schröder Mr. Long Genau 30 Minuten dauert es, bis Mr. Long (Chen Chang) zum ersten Mal spricht. Bis dahin hat er bereits eine nervenaufreibende Reise hinter sich: In der Auftaktsequenz metzelt er ein halbes Dutzend Gangster nie- der, entkommt mit einem Sack Beutegeld. Für den nächsten Job muss der Auftragskiller aber das vertraute Terrain Taiwans verlassen: In einem Stripclub in Tokio soll ein hochrangiger Yakuza dran glauben. Doch der Coup misslingt. Zwar kann der Messermann flüchten, doch findet er sich, angeschossen und gejagt, als Obdachloser in einem Slum wieder. Hier beginnt der zweite Akt, in dem ein engelsgleicher Junge und seine heroinsüchtige Mutter ihm wieder auf die Beine helfen. Regisseur Hiroyuki Tanaka, kurz SABU, zaubert mit seinem hinreißenden Cast ein nahtlos zwischen den Genres switchendes Meisterwerk auf die Lein- wand, cool, komisch und rührend zugleich. Verblüfft und gebannt wird man Zeuge der Mensch-Werdung eines Messerstechers. (cc) AB 14. SEPTEMBER R: SABU; TWN/JPN 2017; D: Chen Chang, Yiti Yao, Runyin Bai, Sho Aoyagi ★★★★★ 37
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MzU5OTQ1