hamburg:pur August 2024

Foto: Alexandra Thompson THEATER INTERNATIONALES SOMMERFESTIVAL Der Verrohung des öffentlichen Raums entgegenwirken Vom 7. bis 25. August trifft auf Kampnagel und an weiteren Orten der Stadt Pop-Kultur auf Avantgarde Immersives Theater über körperliche Selbstbe- stimmung: Nestervals „A Dirty Faust“ in der ehemaligen Volksschule Seilerstraße Mit ihrer minimalistischen Handschrift gilt sie als Ikone des modernen Tanzes: Die 84-jäh­ rige Choreografin Lucinda Childs eröffnet das diesjährige Internationale Sommerfestival auf Kampnagel und bringt lebendige Tanzge- schichte nach Hamburg. Zugleich stehen die Aufführungen der Amerikanerin für zwei wich- tige Merkmale des Festivals: die Ausweitung von Genre-Grenzen und den hohen Anteil an Weltpremieren. Denn Childs und ihre Company präsentieren gleich vier Uraufführungen, die in Zusammenarbeit mit dem Minimal-Music- Pionier Philip Glass, der Avantgarde-Kompo- nistin Hildur Guðnadóttir und dem albanischen Video-Künstler Anri Sala entstanden. Eine Installation von Sala ist außerdem im Kamp­ nagel-Foyer zu sehen, parallel beteiligt er sich zusammen mit Childs an der Gruppenausstel- lung „Untranquil Now“ in der Kunsthalle. Als Fest der zeitgenössischen performativen Künste aus aller Welt bespielt das dreiwöchige Sommerfestival alljährlich Kampnagel und weitere Orte der Stadt. Der Fokus liegt nicht nur auf der Verschränkung von Tanz, Theater, Performance, Musik, Kunst, Theorie und Film, sondern auch auf der Zusammenführung von Pop-Kultur und Avantgarde. Die Themen be- treffen die Gegenwart, entsprechend radikal ist oft die künstlerische Sprache. Angesichts der „Verrohung des öffentlichen Raums, wo der Dialog zunehmend dem Ressentiment weicht, also der Delegitimierung und oft auch Dehumanisierung des Gegenübers“, seien Kul- turinstitutionen zumHandeln aufgefordert, er- klärt András Siebold, der die künstlerische Lei- tung des Festivals seit 2013 innehat. So stehe im Programm vielfach der Dialog im Zentrum. Eine Korrespondenz zwischen Tanz, Kunst und Publikum entfaltet sich zum Beispiel im Rah- men eines Performance-Parcours durch die Ausstellungshäuser der Hamburger Kunst­ meile, den der Choreograf Saïdo Lehlouh ku- ratiert. Die Choreografien des Franzosen fußen auf der HipHop-Kultur und weisen in die Zu- kunft des Tanzes. Dies zeigt auch seine neueste Bühnenarbeit, die sich auf Kampnagel als Beziehungsgeflecht zwischen 20 Tänzern ent- faltet; viele Mitglieder dieser Gruppe sind selbst Choreografen und nehmen am Kunst- meilen-Event teil. Ebenfalls aus dem Urban Dance, jedoch angereichert durch Theater, Spoken Word sowie Opern- und Filmelemente, entwickelte der Londoner Choreograf und Tänzer Ivan Michael Blackstock seine Arbeit „Traplord“, die über Schwarze Männlichkeit reflektiert. Feministische Performancekunst hingegen stellt der Bühnenexzess „Get off“ von Katy Baird dar. Die schottische Performerin und Hedonistin erforscht menschliche Ab­ gründe mit britischem Humor. Um die Schwierigkeit der Identitätsfindung in Zeiten abgründiger Ideologien wie Antisemi- tismus und Queerfeindlichkeit dreht sich die Inszenierung des ungarischen Theater- und Filmregisseurs Kornél Mundruczó und seiner freien Gruppe Proton Theatre. Vor demHinter- grund einer rechtsradikalen ungarischen Gegenwart erzählt der Regisseur die Geschichte einer jüdischen Familie in Budapest und thematisiert dabei auf hyperrealistische, scho- nungslose Weise die Entrechtung des Men- schen. Um das Recht auf körperliche Selbst- bestimmung indes geht es in dem dreistün­ digen Stück „A Dirty Faust“, das vom Wiener Volkstheaterensemble Nesterval in einer leer stehenden Schule auf St. Pauli aufgeführt wird. Zum reichen Programm des Festivals zählen auch Konzerte, beispielsweise von Sampha (in der Elbphilharmonie), der Folk-Sängerin An- nahstasia oder demAgit-Pop-Kollektiv Bona- parte. Auf der Waldbühne imKunstfreizeitpark Avant-Garten am Osterbekkanal findet eine Konzert- und Gesprächsreihe statt; hier talkt unter anderem die Rapperin und Autorin Dr. Bitch Ray. Text: Julika Pohle 7.–25. AUGUST; Kampnagel 10 Verbinden in ihren Quickchange-Nummern absurde Comedy mit Magie: Daredevil Chicken Foto: Daredevil Chicken Foto: Oliver Fantitsch THEATER Freak Out! Wilde Mischung aus Cabaret, Comedy und Zirkus Toby Gough ist ein Phänomen: Nicht Kunstsammler, sondern Künstlersamm- ler, gelingt es ihm immer wieder, mit den Besten ihres Fachs ein Meeting auf der Bühne zu arrangieren. Seine jüngste Show ist mit Sicherheit die wildeste Mi- schung aus Cabaret, Comedy und Zirkus, die Hamburg je sah. Exzentrisch, skan- dalös, sexy und urkomisch sind die sen- sationellen Varieté-Acts aus Las Vegas, London und anderen Entertainment- Hochburgen, die Gough in „Freak out!“ zusammenführt. Willkommen ist ein Publikumab 16 Jahren, denn auch (Homo-)Erotik und Nacktheit wird fantasievoll zelebriert. Ebenfalls dabei: einWeltmeister imBreak- dance, ein Beatbox-Champion, die sinnlichste Schwertschluckerin, ein Clown-Jongleur samt seiner weiblichen Alternative und der Guinness- Weltrekordler in der Kategorie Rückhandsprünge. Gastgeberin ist Chas- tity Belt, die mit einer brillanten Stimme betört. (def) 30. UND 31. JULI (VORAUFFÜHRUNGEN), 1. AUGUST (PREMIERE), 2.–4., 6.–11., 13.–18., 21.–25., 28.–31. AUGUST undweitere Termine; Hansa-Theatersaal Barefoot in’n Park – Verliebt, verlobt, verkracht Frische Ehe auf wackeligen Füßen „Barefoot in the Park“ bescherte dem US-amerikanischen Komö- dienspezialisten Neil Simon in den 1960er-Jahren den Durchbruch: zunächst amBroadway, dann in der Verfilmung mit Jane Fonda und Robert Redford. AmOhnsorg-Theater klingt’s ähnlich: „Barfoot in’n Park“, und hier lässt der Zusatz „Verliebt, verlobt, verkracht“ auf die Story schließen: Nach den Flitterwochen erwacht das junge Paar Conny und Paul im Ehe-Alltag. Er ist ein untadeliger Anwalt, sie be- vorzugt ein Leben nach dem Lustprinzip. Schon bald stoßen sich ihre Gegensätze gründlich ab. Erschwerend hinzu kommt die unge- wöhnliche Wohnsituation: im fünften Stock eines Hauses mit lauter Sonderlingen, von denen einer das ohnehin undichte Dachfenster als Einstieg zur eigenen Wohnung nutzt. Nora Schumacher insze- niert die zum Brüllen komische Geschichte. (def) 25. AUGUST (PREMIERE), 29.–31. AUGUST und weitere Termine; Ohnsorg-Theater Conny (Lara-Maria Wichels) findet ihren Ehemann zu spießig: „Barfoot in’n Park“ Foto: Sinje Hasheider 25.8. – 1.10.2024 BARFOOT IN’N PARK VERLIEBT, VERLOBT, VERKRACHT KOMÖDIE VON NEIL SIMON

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