hamburg:pur August 2023

Foto: Godje Loof Foto: Karina Kortlüke PARTY AWARENESS Kampf den Übergriffen Grenzüberschreitungen und Diskriminierungen sind auch auf Musikveranstaltungen ein alltägliches Geschehen. Um Betroffenen Hilfe zu leisten, aufzuklären und Clubs oder Festivals wie das Dockville zu sichereren Orten zu machen, braucht es Initiativen wie Act Aware. Mitbegründerin Sarah Bergmann berichtet über ihre Arbeit und wie alle bei übergriffigem Verhalten Verantwortung übernehmen können Was bedeutet Awareness auf Veranstaltungen genau? Übersetzt wird Awareness oft mit „Aufmerksamkeit“, für unseren Veranstaltungskontext bedeutet es noch mehr: hinzuschauen und Verantwortung zu übernehmen, wenn Überforderung, Gewalt oder Diskriminierung passiert. Es be- deutet, dass alle gemeinsam – also Crew, Veranstaltende, Bands und Publikum – ein rücksichtsvolles Miteinander her- stellen, in dem sich jede Person wohl und sicher fühlen kann. Das geht, indemwir grenzüberschreitende Situationen von vornherein verhindern und Unterstützungsstrukturen her- stellen, falls sie doch passieren. Wie kamdie Zusammenarbeit mit demDockville zustande? Meine Kollegin Teresa Hähn unterstützt das Dockville schon seit Jahren in vielen Bereichen. Angefragt wurden wir durch die Crew im letzten Jahr, da wir ein geschultes Awareness- Team aufgebaut haben. So haben wir gemeinsam das Awareness-Konzept neu auf das Festival angepasst und können in diesem Jahr drauf aufbauen. Eine lange Vorbe- reitungsphase und enge Zusammenarbeit, in der Awareness nicht als Dienstleistung verstanden wird, ermöglicht, dass ein Konzept nicht aufgestülpt, sondern von innen heraus von allen getragen werden kann. Wie sieht Awareness-Arbeit dort konkret aus? Die Awareness-Arbeit auf demDockville wird auf zwei Arten sichtbar: durch das Interaction-Team und durch das Aware­ ness-Team. Das Interaction-Team ist – wie der Name ver- muten lässt – für Interaktionen mit den Besucher:innen zuständig und geht hier spielerisch in den Austausch zu komplexen Themen. Das Ziel ist ein besseres Verständnis für das Miteinander zu schaffen, welches das Dockville an- strebt. Neben dieser Präventionsarbeit ist das Awareness- Team für die Unterstützungsarbeit zuständig. Wenn sich eine Person nicht wohl oder sicher fühlt, hat sie die Mög- lichkeit, direkt zumAwareness Space zu kommen oder das Awareness-Team anzurufen. Wie helft ihr dann? Sarah, immer mehr Veranstaltungen setzen auf Aware­ ness-Teams. Ist das Bewusstsein für die Thematik größer geworden oder die Notwendigkeit? Sarah Bergmann: Ich glaube, das eine bedingt das andere unmittelbar. Dadurch, dass sich mehr Betroffene trauen, Vorfälle öffentlich zu machen, bekommen wir einen realistischen Eindruck, was wirklich auf Veranstaltun- gen passiert. Auch das ist nur ein Bruchteil, viel ge- schieht im Verborgenen. Ich finde es nicht nur not- wendig, sondern essenziell, dass alle Menschen ihr Bewusstsein für Diskriminierungen schärfen – wenn ich ein Festival veranstalte, habe ich auch die Verant- wortung, einen Ort so sicher wie möglich zu gestalten. Was ist Act Aware? Ein Zusammenschluss aus vielen Akteur:innen, die Veranstaltungen dabei unterstützen, Awareness-Kon- zepte zu etablieren – in der Theorie und Praxis. Wir geben Workshops und Schulungen zu Antidiskrimi- nierung, entwickeln Maßnahmen für ein besseres Mitein- ander amArbeitsplatz und auf Events und unterstützen mit Awareness-Teams. Gegründet haben wir den Verein, um gesamtgesellschaftlich Veränderung anzustoßen und nicht nur Missstände anzusprechen, sondern sie mit konkreten Strategien zu bekämpfen. 10 PARTY Unterstützung kann ganz unterschiedlich aussehen und orientiert sich vor allem daran, was die betroffene Person gerade braucht. Das kann ein Rückzugsort, ein Gespräch oder auch Hilfe zur Körperregulation mit Stressbällen sein. Wir haben ein geschultes Teammit psychosozialen Berufs- hintergründen, die ausgebildet sind, bei Panikattacken, Über- forderung, sexualisierter Gewalt oder drogeninduzierten Pro- blemen zu helfen. Wie eine Person eine Grenzüberschreitung empfindet ist ganz individuell. Ein Prinzip unserer Arbeit ist die Definitionsmacht. Das bedeutet, die betroffene Person bestimmt selbst, wie sie eine Situation empfindet und be- wertet. Indemwir dies nicht in Frage stellen, helfen wir dabei, dass sie ihre Selbstwirksamkeit zurückgewinnt. Das Ziel ist es, dass die Person den Club oder das Festival nicht verlas- sen muss, sondern bleiben kann, weil sie sich besser fühlt. Wieso übernimmt die Security diesen Job nicht? Im Gegensatz zur Security arbeitet das Awareness-Team betroffenenzentriert. Das bedeutet, es ist solidarisch mit den Personen, die eine Grenzüberschreitung erfahren ha- ben und unterstützt sie in ihren Bedürfnissen. Die Security legt den Fokus auf die gewaltausübenden Personen und schaut, wie mit Täter:innen umgegangen werden kann. Eine Zusammenarbeit und Abstimmung ist hier natürlich trotz- dem essenziell. Welche Möglichkeiten gibt es, sich außerhalb von Veran- staltungen mit dem Thema zu beschäftigen? Da gibt es einige. Anfangen würde ich da bei mir selbst und reflektieren, welche Privilegien ich eigentlich habe und wie ich Personen unterstützen kann, die benachteiligt sind. Ich kann Menschen zuhören, ihnen auf Social Media folgen, Bücher lesen oder Podcasts hören, um mich mit Themen wie Sexismus, Rassismus und anderen Diskriminierungs- formen zu beschäftigen. Das eigene Handeln zu hinterfra- gen und auch die eigene Entscheidungsposition zu nutzen, umMacht abzugeben und Umstände zu verbessern, ist viel wert. Es gibt zahlreiche, auch kostenlose Workshops, in denen man sich austauschen kann. Eine Sache, die immer gelten sollte, ist Konsens: Also sich eine Zustimmung einholen und fragen, ob etwas okay ist. Und das ist auf alle Lebensbereiche anwendbar. Wo seid ihr sonst in Hamburg aktiv? Auf den anderen Festivals von Kopf & Steine: neben dem Dockville also auch Habitat, Vogelball und Spektrum. Wir arbeiten auch mit dem Reeperbahn Festival und den teil- nehmenden Clubs zusammen. Neben diesen größeren Events haben wir aber auch vor kurzer Zeit einenWorkshop auf der Meet gegeben, ummit der nächsten Generation der Veran- staltungsbranche in Kontakt zu kommen. Kürzlich startete außerdem unser neues Projekt „tba – to be aware“ in Ham- burg: Gemeinsam mit dem Clubkombinat schulen wir zehn Clubs und entwickeln mit ihnen ein Awareness-Konzept. Welche (kultur-)politischen Entscheidungen wären not- wendig, damit ihr bessere Arbeit leisten könnt? Die aktuellen Ereignisse zeigen uns, dass politischer Druck schon dazu führen kann, dass Veranstaltungen Awareness- Maßnahmen in Betracht ziehen. Dies passiert leider oft als Reaktion – wichtig wäre es, dies zur Auflage jedes Sicher- heitskonzeptes zu machen. Bedenklich finde ich, dass ein Awareness-Team als kurzfristiges Pflaster herhalten soll, damit Konzerte trotzdem stattfinden können, obwohl durch gewalttätige Künstler keine sichere Show gewährleistet wer- den kann. Interview: Ole Masch act-aware.net SUMMER-GUIDE STADT LAND SOMMER SPEZIALNR.3 SZENEHAMBURGSTADTLANDSOMMER2023 €7,50 ISBN:978-3-946677-89-5 SPEZIALNR.3 2023 |€7,50 HAMBURGS STRANDPAUSE Von derAlster an dieOstsee – Erfrischung amWasser SCHATTENSPIEL LauschigePlätze inParks, Beachclubs undBiergärten SONNENTANZ Festivals,Konzerte und Kultur draußen genießen 001_SG_2023_Titel 1 07.06.2023 16:59:06 Jetzt NEU! 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