hamburg:pur August 2022
Foto: Céline Nieszawer / Port au Prince Pictures Foto: Studiocanal Die Magnetischen Musik ist immer Ausdruck von Lebensgefühl, spiegelt den Zeit- geist wider, feiert, trotzt und revolutioniert. Das gilt für die frühen, von Massenarbeitslosigkeit und NewWave geprägten 80er-Jahre allemal. Der Franzose Vincent Maël Cardona hat genau diese kur- ze Epoche für sein fulminantes, pulsierendes Spielfilmdebüt ge- wählt. François Mitterrand hat gerade die Konservativen bei den Präsidentschaftswahlen abgelöst, es ist die Zeit des Aufbruchs, die Zeit von Joy Division, Iggy Pop, The Undertones. Ihre Musik wird zumSoundtrack einer Generation zwischen Melancholie und Resignation, Lebensenergie und Kreativität. Betörend wie bedrü- ckend fängt Cardona diese Stimmung ein. Philippe (Thimotée Robart) lebt mit seinem Vater und seinem äl- teren Bruder Jerôme (Joseph Olivennes) in der französischen Provinz. In ihrer Freizeit betreiben sie den Piratensender „Radio Warschau“. Jerôme ist der rebellische, extrovertierte Moderator, der schüchterne, stille Philippe der Mann am Regler. Dort expe- rimentiert er mit Geräuschen, Musik, Beats, sphärischen Klängen. Er lässt seine Musik in Endlosschleifen laufen, so wie er selbst in immer gleichen inneren wie äußeren Zwängen gefangen ist. Auch in seiner Liebe zu Marianne (Marie Colomb), die aus Paris in das Kaff gekommen ist. Beide Brüder verlieben sich in sie. Mit Jerôme kommt sie zusammen, und doch entwickelt sich schnell ein zar- tes Band zwischen ihr und Philippe. Als Philippe zumMilitärdienst nach Westberlin eingezogen wird, dem Hotspot der experimen- tellen Musik, taucht er ein in eine neue Welt. In einer der elektri- sierendsten Szenen gesteht Philippe über den britischen Militär- sender BFBS Marianne mit einer rauschhaften DJ-Performance seine Liebe. Die Musik wird zu seiner Sprache. Es ist wie ein trancehafter Sog, eine seltsame Mischung aus Le- thargie und Aufbruchstimmung, die Regisseur Cardona erzeugt, angetrieben von der Musik der Zeit. „Die Magnetischen“, der den César als Bester Debütfilm gewann, ist hinreißend und traurig – und unbedingt in der Dunkelheit eines Kinos zu sehen. (bs) AB 28. JULI F/D 2021; 98 Min.; R: Vincent Maël Cardona; D: Thimotée Robart, Marie Colomb, Joseph Olivennes ★★★★ ★ Warten auf Bojangles Côte d’Azur 1958, Georges (Romain Duris) profiliert sich zumVer- gnügen als charmanter Hochstapler auf einer Cocktailparty rei- cher Langweiler, da taucht die Frau auf, die von nun an sein Leben bestimmen soll. Sie heißt Camille (grandios, Virginie Efira), tanzt hinreißend und möchte an diesem Tag lieber Antoinette genannt werden. Gemeinsam retten sich die beiden mit einemSprung ins Meer, denn Georges’ Schwindeleien sind aufgeflogen. Es ist der Beginn ihrer Amour fou, inklusive Sex auf dem Altar einer able- genden Bergkapelle. Neun Monate später sind sie zu dritt, un- zertrennlich im ständigen Glückstaumel einer bizarren Welt, die sie selbst kreieren fern jeglicher Konventionen. 1968, Sohn Gary bezieht von den Mitschülern Prügel für seine angeblich spinnerten Lügen: Partys daheim mit 300 Gästen, El- tern, die nie ihre Post lesen. Die schillernde, exaltierte Camille verdrängt die Realität mit ihren fantastischen Einfällen und Ge- schichten, verzaubert alle, nur Georges spürt irgendwann hinter der Obsession für Feste, Musik und jene herrlich absurden Selbst- inszenierungen den Abgrund, die Depression. Noch tanzt das Paar täglich zu den Klängen von „Mr Bojangles“, schwelgt in sei- ner raffiniert poetischen Kunstsprache, bis der Wahnsinn das Terrain der Luftschlösser erobert. Zusammen mit demSohn ent- führt Georges die mit Medikamenten vollgepumpte apathische Camille aus der Psychiatrie. Sie fliehen Richtung Spanien, wo ihr bester Freund namens Mistkerl sie schon auf einem Castell am Meer erwartet. Angstvoll beobachtet der achtjährige Gary die Veränderung. Die Verfilmung von Olivier Bourdeauts Bestseller „Warten auf Bojangles“ ist bezaubernd wie verstörend. Dem französischen Regisseur Régis Roinsard („Mademoiselle Populaire“) gelingt es, die lyrische Qualität des Romans in Bilder umzusetzen. Dies ist keine der üblichen Retro-Komödien, sondern ein ästhetisch wahn- witziges Wunderwerk voller Esprit und ungebremster Lebens- freude, überbordend an Kreativität und doch unendlich traurig. (ag) AB 4. AUGUST F 2021; 125 Min.; R: Régis Roinsard; D: Romain Duris, Virginie Efira, Grégory Gadebois ★★★★ ★ FILM 24 www.rindchen.de Die neue Ausgabe jetzt amKiosk! Anonym.Kritisch.Unabhängig www.genussguide-hamburg.com ESSEN+TRINKEN SPEZIALNR.35 2022/2023 |€14,80 ISBN978-3-946677-78-9 Durchhalten! Corona,Krieg, Kosten:Gastroam Scheideweg? Super Stullen WoHamburg frühstückt GutSchluck BesteBars, Brauereien undWeinläden imCheck Moin,Welt So international undvielfältig is(s)tHamburg Top Neueröffnungen undmehrals 700Restaurants imTest Genuss-Michel DerHamburger Gastropreis Titelseite.indd 1 24.06.22 16:07 Für ein vielfältiges Hamburg Wir sagen Danke ! Nach zweijähriger Pause konnten wir endlich wieder live den Genuss-Michel 2022 und den Nachhaltigkeitspreis „Nachschlag“ verleihen, 19 Testsieger küren und gemeinsam unsere Gastronomie feiern. Dank der fantastischen Unterstützung unserer Hauptsponsoren Public Coee Roasters, HAK und MINI Hamburg sowie unserer Exklusivpartner wurde dieser Abend ein rauschendes Fest. Dafür ein großes Danke! „Restaurant des Jahres“: Sponsor Jens Wohlrab von HAK foodeko (M.) mit den Preisträgern Björn Juhnke (l.) und David Danek Fürs Lebenswerk geehrt: Gastronom Hanna Saliba freut sichüber die Laudatio seines alten Seefahrts-Weggefährten Hans Joachim Schäfer MINI Brand Manager Norman Landmann übergibt Matthias Gfrörer von der Gutsküche Wulksfelde den „Nachschlag“ Mut, Gründerwillen und Leidenschaft: Argin Keshishian Namagerdi (links) von den Public Coffee Roasters mit dem Team der Elma Speisekneipe, die als „Bester Newcomer“ ausgezeichnet wurde Jetzt online die Preisverleihung anschauen: genussguide-hamburg.com
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