Hamburg Pur - August 2021

Foto: Merie Weismiller Wallace / Focus Features FILM PROMISING YOUNG WOMAN Bittersüßer Racheengel Im Debütfilm von Regisseurin Emerald Fennell spielt Carey Mulligan eine junge Frau, die aufgrund tragischer Erlebnisse einen eiskalten Rachefeld- zug gegen die Männer durchzieht. Ein provokanter, packender Filmmit überraschenden Wendungen Jedes Wochenende inszeniert sich Cassie (Carey Mulligan) in den Nachtclubs der Stadt als sturzbetrunkene, einsame Schöne, Lippen­ stift und Mascara verschmiert, der Rock hoch­ gerutscht. Und immer taucht ein netter Kerl auf, der sich der hilflosen Unbekannten als Beschützer für den Heimweg anbietet. Nur en­ det der stets in dessen Wohnung. Gerade als der Retter (Adam Brody) sich über sie her­ machen will, fragt ihn die eben noch lallende Blondine mit erschreckend klarer, nüchterner Stimme: „Was tust du da?“ Nach einem trau­ matischen Erlebnis vor sieben Jahren schmiss Cassie das Medizinstudium, jobbt nun lust- los als Barista. Nach außen verbirgt die Pro­ tagonistin den Schmerz hinter ostentativer Schroffheit. In ihrem Inneren kollidieren Trauer, Zorn und Schuldgefühle. Sie führt einen akri­ bisch geplanten Kampf gegen die monströse toxische Männlichkeit. Carey Mulligan bietet als verwandlungsfähiger, diabolischer Rache­ engel eine überragende Darstellung. Geschickt 38 39 Fabian oder der Gang vor die Hunde Dieser Film ist ein Ereignis. Und das drei Stunden lang. Schließlich sollte laut Regisseur Dominik Graf eine Literaturverfilmung so lang sein, wie es dauern würde, das Buch zu lesen. In diesem Fall Erich Käst- ners weltberühmter Roman, der von dem jungen Werbetexter Jakob Fabian (Tom Schilling) im Berlin 1931 erzählt, der Liebesgeschichte und Moraldrama ist – und vor allem eine Warnung vor dem Erstarken des Nationalismus. So eigensinnig wie das Buch, das sich, aufgesplit- tert wie ein Kaleidoskop, immer wieder neu zusammenfügt, ist auch Grafs Drama. Digital und in Super-8 gedreht, glasklar und in körnigen Bildern, Schwarz-Weiß und in kräftigen Farben, mit Überblendungen und Splitscreens, zitiert es die Film-Avantgarde der 1920er-Jahre. Es erinnert an Walther Ruttmanns „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“, an Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ oder die Licht- und Schat- tenexperimente eines Moholy-Nagy, ist pulsierend, dringlich und hoch aufgeladen. Und visualisiert so eine Gesellschaft, die sich immer mehr spaltet und auf den Abgrund zubewegt. Dabei interessiert Graf weder der rauschhafte Glitter eines „Babylon Berlin“ und erst recht nicht eine immer vergebliche Geschichts-Re- konstruktion. Hochsubjektiv und mit einem Off-Kommentar setzt er den Klassiker wie eine Collage zusammen und hebt dessen bedrücken- de Aktualität durch Schnitte in das heutige Berlin, auf U-Bahnsteige und Stolpersteine, hervor. Gleichzeitig erzählt er voller Zärtlichkeit von der Liebe. „Fabian wusste es nicht, aber es waren nur noch zehn Mi- nuten, bis die Liebe beginnen sollte“, heißt es, kurz bevor er der auf- strebenden Schauspielerin Cornelia (Saskia Rosendahl) begegnen wird. Noch vor dem ersten Kuss sind Bilder ihrer späteren Hingabe zu sehen und streifen Schatten über ihr Gesicht, als würde Fabian sie berühren. Großartig mit TomSchilling („Werk ohne Autor“), mit Saskia Rosendahl („Mein Ende. Dein Anfang“), Albrecht Schuch („Systemsprenger“) und Meret Becker besetzt, ist der Film eine Tour de Force. Eine, die man im Kino sehen muss. Unbedingt! (sd) AB 5. AUGUST DE 2021; 176 Min.; R: Dominik Graf; D: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch ★★★★★ KRITIKEN FILM Foto: Lupa Film / Hanno Lentz Foto: Focus Features überlistet sie ihre Gegner, aber auch die Zu- schauer, man tappt ungewollt in die Falle ei­ gener Erwartungen und wird rüde mit unlieb- samen Wahrheiten konfrontiert. „Promising Young Woman“ ist kein blutrüns­ tiges Exploitationkino. Im Gegenteil, Cassie imitiert nicht die allgegenwärtige maskuline Gewalt. Zwischen beißender Ironie und tödli- chem Ernst lehrt sie auf perfid brillante Weise sowohl Männer wie Frauen das Fürchten, bis sie sich widerwillig in einen früheren Kommi- litonen verliebt. Die britische Regisseurin Eme- rald Fennell („The Crown“) entrümpelt in ihrem Debütfilm das Rape & Revenge-Genre: Ent- standen ist ein höllisch amüsantes Hybrid aus Comedy, Drama und Neo-Noir. Schwärzester Humor trifft auf feministischen Anspruch in- mitten greller Popfarben, kitschiger Engel-Ästhetik, griechischer Mythologie und Paris Hiltons Song-Philosophie. Fennell erhielt den Aca-demy Award für das Beste Originaldreh- buch, sie rekonstruiert darin parallel zum Ra- chetrip jenes oft verschwiegene Verbrechen des sexuellen Missbrauchs und seine Folgen. Die 35-jährige Filmemacherin entlässt hierbei niemanden aus der Verantwortung, weder Tä- ter, Justiz noch Universität, schon gar nicht ihre Geschlechtsgenossinnen. Anna Grillet AB 19. AUGUST USA 2020; 114 Min.; R: Emerald Fennell; D: Carey Mulligan, Bo Burnham, Adam Brody ★★★★ ★ hamburg: pur Aktion! Für eine Preview des Films „Promising Young Woman“ am 19.8, 19:45 Uhr in den Zeise Kinos verlosen wir 10x2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „pur:Promising Young Woman“ an verlosung@szene-hamburg.com ; Einsendeschluss: 15.8.

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