Hamburg Pur - August 2021
Foto: Famian Hammerl THEATER SHOCKHEADED PETER Kein Kinder- Paradies, nirgends Mit über 500 (!) Auflagen ist „Der Struwwelpeter“ eines der erfolgreichsten Kinderbücher. Es wurde nicht nur in zahlreiche Sprachen übersetzt, sondern auch zigfach interpretiert. Besonders unterhaltsam ist die britische Bühnenadaption „Shockheaded Peter“. Damit eröffnet das Thalia Theater die neue Spielzeit Sie dürfen in der Nase bohren, schreien und toben – und niemand nervt sie mit Verboten: Fünf Kinder hausen ohne Eltern irgendwo im Abseits und erziehen beziehungsweise bevor- munden sich gegenseitig. Ihr großes Vorbild: „Der Struwwelpeter“. Oder genauer: „Shock- headed Peter“. Denn was im berühmt-berüch- tigten deutschen Kinderbuch aus dem 19. Jahrhundert noch als Mahnung und Drohung für Heranwachsende gedacht war, verwandelt sich in der englischen Bühnenbearbeitung ins genaue Gegenteil. Motive des Buches – wie den Zappelphilipp, den Suppenkaspar und den am Daumen lutschenden Konrad – verarbei- teten Julian Crouch und Phelim McDermott zur sogenannten Junk-Opera. Die Musik kom- ponierte Martyn Jacques, Gründer der Londo- ner Kultband „The Tiger Lillies“. Seit der Uraufführung 1998 schreibt das Mu- siktheaterstück international Erfolgsgeschich- te, für Bühnen hierzulande mussten die Texte natürlich wieder in die Sprache des Kinder- buchautors, des Psychiaters Dr. Heinrich Hoff- mann, rückübersetzt werden. Was kaum je- mand weiß: 1845 verfasste Dr. Hoffmann den „Struwwelpeter“, weil er auf der Suche nach einem Bilderbuch für seinen dreijährigen (!) Sohn nicht fündig wurde; später schrieb er wei- tere Veröffentlichungen sogar unter demPseu- donym Peter Struwwel! Seine Furcht einflö- ßenden, drastischen Schicksale versprechen imUntertitel des Originals „Lustige Geschich- ten und drollige Bilder“. In „Shockheaded Pe- ter“ aber übertreiben die Macher vieles bis zur Groteske und erzählen makabre und blutrüns- tige Storys voll schwarzem, britischemHumor. Vor gut zwanzig Jahren holte sich das Ham- burger Schauspielhaus die deutschsprachige Erstaufführung. Für das Thalia Theater insze- nierten in diesem Jahr Peter Jordan – ehema- liges Ensemble-Mitglied – und Leonhard Kop- pelmann, mehrfach ausgezeichneter Hörspiel- regisseur, ihre Version. Die hatte imMärz Strea- ming-Premiere und wird imAugust die nächs- te Spielzeit live auf der Bühne eröffnen. Hier spielen Julian Greis, Merlin Sandmeyer, Cor- nelia Schirmer, Cathérine Seifert und Victoria Trauttmansdorff die fünf verwahrlosten Kinder. Jedes Einzelne wohnt in einem kleinen eige- nen Areal in, über und vor einem Etagenbett. Greis in der Rolle als größtes Kind übernimmt eine Führungsfunktion, er ist der unbeliebte neue Bestimmer, die anderen nennen ihn Chef. Er stimmt die „Shockheaded Peter“-Hymne an auf das bewunderte Idol, das sich weigerte, Haare und Nägel zu schneiden. Eine Jüngerin (Cornelia Schirmer) betet: „Er ist unser Held, unser Gott, unser Erlöser und Leiter. Er ist der Herr der verlorenen Kinder.“ Die Songs bleiben in englischer Sprache, und da die meisten Figuren ohnehin bekannt sind, ist „Thumbsucker“ so klar wie Daumenlutscher. Trauttmansdorff beispielsweise verkörpert das Mädchen mit der fatalen Vorliebe für Streich- hölzer; in ihrer Moritat beschreibt sie, wie das Feuer ausbricht – wofür sie von ihrem sexisti- schen Onkel noch gezüchtigt wird, bevor sie in Flammen steht. Geht’s bei Hoffmann recht brutal zu, so endet doch nicht jedes der ab- schreckenden Beispiele tödlich. In der Junk- Opera aber überlebt niemand. Hier ist der zap- pelige Philipp (Sandmeyer) ein stotterndes, hyperaktives Kind mit mehreren Tics; nachdem seine unkontrollierbaren nervösen Zuckungen Geschirr und Besteck des gedeckten Tischs mit in die Tiefe gerissen haben, stecken einige Messer und Gabeln im am Boden liegenden, sterbenden Jungen. Auch den bösen Friede- rich erwischt es am Ende, schillernd besungen von Seifert: Wird der sadistische Kerl imBuch nur mit einemHundebiss bestraft, so heißt es auf der Bühne gut gereimt „Fred is dead!“ Schließlich gesteht die große Schwester von Hans-Guck-in-die-Luft, dass sie keine Lust mehr hatte, immer auf den blöden Bruder auf- zupassen, und so ertrank er halt. Alle eint die trotzige Rebellion gegen elterliche Ordnung. Doch eines Tages zweifeln die Outlaws an ihrem (selbst ernannten) Führer und stellen unbequeme Fragen … Die großartige Musik der Tiger Lillies trägt den 80-minütigen Abend maßgeblich dank einer Mischung aus Punk und Jazz, Balladen und Bänkelliedern. Text: Dagmar Ellen Fischer „SHOCKHEADED PETER“ im Thalia Theater, 21.8. (Premiere), weitere Termine 36 Jetzt spenden! © Reuters / Wolfgang Rattay Hochwasser-Katastrophe Deutschland Spendenkonto: DE62 3702 0500 0000 1020 30 Spenden unter: www.Aktion-Deutschland-Hilft.de Schwere Unwetter haben imWesten von Deutschland Zerstörung und Leid hinterlassen. Aktion Deutschland Hilft – das starke Bündnis deutscher Hilfsorganisationen – leistet den Menschen Nothilfe. Helfen Sie jetzt – mit Ihrer Spende.
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