Hamburg Pur - August 2021

THEATER noch der von Carsten Brosda ausgerufene ,Hamburger Kultursommer‘, in dessen Rahmen wir praktisch noch ein Extra-Festival mit 14 Projekten im Stadtzentrummachen.“ Das Kernprogramm findet aber wie gewohnt auf den Kampnagel-Bühnen statt. Allein hier werden fünf Uraufführungen gezeigt, acht wei- tere verteilen sich auf das Stadtgebiet. Dass das Festival diesmal so viele Welt- und Deutschlandpremieren verzeichnet, ist für András Siebold eine unmittelbare Reaktion auf die Pandemie, „weil sich viele Menschen, die bei uns auftreten, mit der Gegenwart be- schäftigen“. Und die bot in den vergangenen 15 Monaten für Kulturschaffende in der Tat genügend Reibungspunkte, an denen sich die Kreativität entzünden konnte. Das gilt auch für die kanadische Sängerin Leslie Feist, die das Sommerfestival eröffnet: „In normalen Zeiten spielt Feist Konzerte vor Tausenden von Men- schen. Durch Corona gab es plötzlich keine Auftrittsmöglichkeiten mehr. Jetzt wird sie die Bühne zurückerobern und sich wieder an eine Art ,communal joy‘ herantasten: In ihrer Pro- duktion ,Multitudes‘ steht sie mit dem Publi- kum auf der Bühne und singt ins leere Theater hinein.“ Auch die Deutschlandpremiere „Licht und Liebe“ der norwegischen Theatergruppe Susie Wang kann im Kontext der Pandemie gelesen werden: Zwei deutsche Urlauber erleben, wie sich ihr exotisches Urlaubsparadies durch übernatürliche Kräfte in einen Hort des Hor- rors verwandelt. Klingt böse, ist aber lustig. Komische Regieeinfälle konterkarieren auch den Titel von Christoph Marthalers Inszenie- rung „Das Weinen (Das Wähnen)“ nach Texten von Dieter Roth. Mit seinen Schimmelbildern betonte der Schweizer Künstler die ästheti- sche Komponente biologischer Zerfalls­ prozesse. Marthaler wiederum lässt Roths Sprachkunst im keimfreien Raum einer Apo- theke – und im beschwörenden Tonfall von Mozarts Requiem – aufblühen. Ebenfalls mit einemSchweizer Autor setzt sich die französisch-österreichische Bühnenkünst- lerin Gisèle Vienne in „Der Teich“ von Robert Walser auseinander. Der verstörende Psycho- trip in den Kopf eines Jungen, der seiner Mut- ter gegenüber einen Selbstmord vortäuscht, wird mit zwei Schauspielerinnen, Elementen des Puppentheaters und einer mächtigen Bil- dersprache in Szene gesetzt. Des Weiteren kann man mit den „Illusionen“ der drei Meisterzauberer Patrick Folkerts, Jan Logemann und Manuel Muerte dem Wesen der Täuschung auf den Grund gehen, das Bal- let national de Marseille mit vier neuen Ar­ beiten erleben oder in die Fantasiewelt der belgischen Künstlerin Miet Warlop eintauchen, die mit ihrem anarchischen Bühnenhappening „After all Springville“ die Tücken des Objekts und der menschlichen Gemeinschaft erkundet. Und natürlich kommen auch Freiluftfanatiker im „Avant-Garten“ auf dem Kampnagel-Ge- lände wieder voll auf ihre Kosten: „Aufbauend auf den Erfahrungen im letzten Jahr, als wir draußen zum ersten Mal in größeremStil Büh- nen aufgebaut und Konzerte gemacht haben, haben wir unser Outdoor-Angebot im neuen Amphitheater, auf der Kanalbühne und auf wei- teren Spielflächen noch erweitert. Die Gruppe JAJAJA wird jeden Abend ab 18.30 Uhr mit wechselnden Gästen Performances veranstal- ten, dazu kommen ein ausuferndes Konzert- programm, Lesungen und Diskussionen wie ein Abend über Hate Speech mit Spiegel-On- line-Kolumnistin Margarete Stokowski, Con- férencier und Autor Michel Abdollahi und ZDF- Korrespondentin Nicole Diekmann“, verrät Siebold. Zusätzlich gibt es am Wochenende nachmittags ein Kinderprogramm. Außerdem hat man vier Veranstaltungen wieder zusam- men mit und in der Elbphilharmonie ausge- richtet. So reist Singer-Songwriter Rufus Wain- wright diesmal mit seiner Schwester Martha an, um der 2010 verstorbenen gemeinsamen Mutter, der Folk-Sängerin Kate McGarrigle, mit eigenen und gecoverten Songs ein musikali- sches Denkmal zu errichten, das zugleich eine Hommage an alle Mütter ist. Eine besonders reizvolle Verbindung sind auch Dino Brandão, Faber und Sophie Hunger für ihr aktuelles Pro- gramm „Ich liebe dich“ eingegangen. Die fein gesponnenen Lieder auf Schwyzerdütsch bil- den für Siebold „wahrscheinlich eines der schönsten Lockdown-Alben, die im letzten Jahr herausgekommen sind“. Überzeugen kann man sich davon imGroßen Saal der Elb- philharmonie, wo die drei für lyrisch-intime Momente sorgen werden. Der „Brückenschlag zwischen dem eher klas- sischen Programm der Elbphilharmonie und dem eher popkulturell infizierten Programm auf Kampnagel“, wie Siebold die jährliche Kooperation der Festivalpartner beschreibt, strahlt derweil auch auf andere Bereiche ab. So ist in diesem Jahr auch die St.-Gertrud-Kir- che in Uhlenhorst ein Spielort, an dem die klas- sische Musikkultur sich mit zeitgenössischen Ansätzen paart: Das Vokalensemble Grain­ delevoix aus Antwerpen feiert „The Liberation of the Gothic“ mit englischer Renaissancemu- sik und überraschender Besetzung: Anders als im 16. Jahrhundert, singen hier auch Frauen und man legt Wert auf den individuellen Aus- druck der beteiligten Stimmen. Ebenfalls dem Experiment verpflichtet sind Gewandhaus­ organist Michael Schönheit und Multiinstru- mentalist P. A. Hülsenbeck, wenn sie im Kir- chensaal auf der Grundlage musikalischer Improvisation die sakrale Klangsprache mit der des Pop verweben. Vom Gotteshaus zum Konsumtempel: Im Ge- bäude des ehemaligen Kaufhofs in der Mön- ckebergstraße entfesselt das Hamburger Kollektiv LIGNA „Die Gespenster des Konsu- mismus“ mit einem performativen Audiowalk. „Es gibt kein besseres Symbol für die durch die Pandemie verschärfte ökonomische Krise als den leer stehenden Kaufhof“, findet András Siebold. „Aber auch Diskurse über die Ver­ änderung der Lebenswelten und die Zukunft der Innenstädte konzentrieren sich in dem Gebäude.“ Eine Änderung der Perspektive auf bestehende Lebenswelten fordert dagegen Yolanda Gutiérrez, wenn sie mit Videomappings und Performances rund um die Bismarck-Sta- tue die deutsche Kolonialgeschichte aufrollt, während Nesterval & Queereeoké mit „Sex, Drugs & Budd’n’Brooks“ im Club Uebel & Ge- fährlich Thomas Manns Roman „Budden- brooks“ mit einem immersiven Theater-Game der bürgerlichen Spießigkeit entreißen. „So viele Impulse und Motivationsanker für freie Künstler*innen wie durch die Corona-Hilfen hat es in Deutschland wohl noch nie gegeben“, freut sich Siebold. Freuen können sich auch die Besucher des Internationalen Sommerfes- tivals. Text: Sören Ingwersen 4.–22.8., Kampnagel 34 4-5 STATIONEN, 3 STUNDEN SPEICHERSTADT- HAFENCITY Ein Rundgang voller Geschichte und Geschichten. Von Schlitzohren, Schlickrutschern und Kaffeebaronen. 5-6 STATIONEN, 3 STD. ST. GEORG Der Stadtteil im Herzen Hamburgs in dem sich ganze Welten vereinen. JETZT TOUR BUCHEN! JE 39,-€ 5-6 STATIONEN, 3 STUNDEN ALTONA- OTTENSEN Elbchic und Hafenflair. Entdecke die typischen Leckereien von Hamburg-Altona und Ottensen. 5 STATIONEN, 3 STUNDEN SCHANZEN- VIERTEL Wo bunt, alternativ, kreativ, politisch, angesagt sind und neueste Trends verschmelzen. 4-5 STATIONEN, 3 STUNDEN WILHELMSBURG Bunt gemischte Kulinarik und Geschichte im malerischen Reiherstieg-Viertel. 4 STATIONEN, 3 STUNDEN BLANKENESE Leckere Kulinarik inmitten des Flairs des ehemals berühmten Seefahrerdorfes. EIN PRODUKT DER IN KOOPERATION MIT Entdeckt und erschmeckt Hamburg! www.genusstouren-hamburg.de

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