Hamburg Pur - August 2021

Fotos: Katja Ruge Charlotte, Viktor und Ralf, der obere Golden Pudel, Barboncino Zwölphi, war erst ein hal- bes Jahr eröffnet. Dann kamCorona. Wie geht man damit um? Viktor Marek: Das ist ein bisschen absurd. Frü- her hatten wir immer auf. Uns das auf die Fah- nen geschrieben und auch nie Betriebsferien gemacht. Und plötzlich hat man ständig zu. Ralf Köster: Wir hatten die Krise eigentlich vor der Pandemie. Mit unserer Vereinsstruktur und demKauf des Hauses sind wir recht krisenfest aufgestellt – gewissermaßen erprobte Krisen- bewältiger. Charlotte Knothe: Wir haben schon vieles er- reicht. Grundstück und Gebäude sind über drei Stiftungen abgesichert und kein Vermieter sagt, dass wir rausfliegen. Viktor: Trotzdem gibt es natürlich die monat- lichen Kosten. Wir müssen alles weiterhin zah- len, uns kümmern, dass Sachen wieder rein- kommen oder Hilfen beantragen. Wie sahen die Corona-Hilfen für den Pudel aus? Ralf: Ich war angenehm überrascht, dass es PARTY GOLDEN PUDEL Erprobter Krisen- bewältiger Der Club wagt eine vorsichtige Öffnung. Draußen, mit Abstand, limitiert, pandemiekon- form. Aber konträr zur sonst fest verankerten liberalen Türpolitik. Über diesen Widerspruch, kulturelle Förderungen und ihren August-Gast Jimi Tenor sprechen drei der Betreibenden wohl wirklich den politischen Willen gibt, dass die Kultur dieser Stadt überlebt. Es ist zwar sehr anstrengend mit der ganzen Bürokratie, aber natürlich eine große Hilfe. Nicht nur für den Pudel, sondern für alle Kulturschaffenden. Wer ein bisschen hängenlassen wurde, sind Minijobber und Soloselbstständige. Viktor: Für uns war vor allem das Kurzarbeiter- geld wichtig, weil wir so die Angestellten durch- bringen konnten. Funktionierte die Förderung problemlos? Viktor: Ganz einfach ist das natürlich nicht. Wir haben gerade etwas für den Kultursommer bekommen, aber manchmal fragt man sich, wer wird gefördert und aus wem besteht die Jury, die das entscheidet. Ralf: Ich würde mir wünschen, dass alle Kul- turinstitutionen ein Budget bekommen, damit sie völlig frei entscheiden können, was sie ma- chen wollen. Das würde es total vereinfachen. Viktor: Man müsste viel mehr an der Wurzel fördern. Es wäre richtig, wenn jemand eine gute Arbeit macht, dass die Miete sehr gering ist, das Haus vergesellschaftet wird oder der Stadt 10 PARTY der Sperrstunde ist auch um 23 Uhr Schluss. Ralf: Vieles wird sich erst zeigen, wenn die Clubs wirklich wieder öffnen. Kommen die Leute alle wieder? Kommen andere und wie werden die sich verhalten? Das sind Fragen, denen wir uns dann stellen müssen. Wie steht ihr zur Sperrstunde? Ralf: Ich bin gegen eine Sperrstunde. Aber na- türlich dafür, dass soziale Kontakte, besonders drinnen, möglichst vermieden werden, solange nicht alle geimpft sind. Grundsätzlich unter- stütze ich die Maßnahmen. Über die Umsetzung kann man sich gerne streiten. Es ist gerade wie ein zäher Neustart. Ein erster Schritt sind Veranstaltungen im Barboncino als Teil des Kultursommers … Charlotte: … vor demBarboncino. Auf der Ter- rasse. Alles findet draußen statt und FKK. FKK? Ralf: Funkhörer, Kopf, Kultur. Wir sind froh, dass wir jetzt diese Terrasse haben. Wo Kunst, Kul- tur, Film und Lesungen laufen – mit Kopfhörern. Dadurch erreichen wir eine Limitierung, weil nur so viele Leute kommen können, wie wir Funkkopfhörer haben. Der Club wird nicht öff- nen, solange es Abstand und Maskenpflicht gibt. Aber das Tanzverbot ist doch aufgehoben… Ralf: Ja, nur man müsste Quadrate auf den Bo- den malen und für jedes Quadrat einen Secu- rity hinstellen. Hier auf dem kleinen Gelände möchte das doch keiner kontrollieren. Tanz- polizei? Nein, danke! Viktor: Deswegen machen wir mit den Kopf- hörern auch keine Silent Disco. Das sind haupt- sächlich Lesungen. So stellen wir uns einen Club auch gar nicht vor. Wir wollen erst wieder öffnen, wenn man sich von Mund zu Mund die Eiswürfel austauschen kann. Die Grundförde- rung muss eben so lange bestehen bleiben. Welche Veranstaltungen sind geplant? Charlotte: Zum Beispiel kommt Jens Rachut. Es gibt eine Lesung mit Rocko Schamoni & Ge- reon Klug. Oder Veranstaltungen von HfBK- Studierenden. Viktor: Wir haben erst mal aus dem eigenen Netzwerk geschöpft. Mit mehr Zeit wäre es möglich internationaler zu denken. Aber Jimi Tenor kommt … Ralf: Ja, der hat glücklicherweise ziemlich schnell zugesagt. Der Pudel, nicht das Barbon- cino, macht in diesem Jahr noch vier Open- Air-Konzerte. Pudel Garden Live. Auch das sind keine Tanzveranstaltungen, sondern bestuhlt und man wird sich vorher ein Ticket abholen müssen. Es geht nicht anders. Tenor sollte im Januar mit Bigband in der Elphi spielen. Jetzt spielt er unterhalb der Zwöphi. Wie schafft man das? Ralf: Es gibt diesen Kontakt seit 1995. Das war als er „Take me Baby“ auf Sähkö rausgebracht hat und bei MFOC in der Lounge, in der Ger­ hardstraße/Ecke Herbertstraße imKeller, aus- schließlich Platten aufgelegt hat, wo er das gehört und sie es günstig zur Verfügung stellt. Also eine Art Grundsicherung für solche Orte. Ralf: Noch einfacher wäre die Befreiung der Kultur von der Umsatzsteuer. Und da rede ich natürlich nicht über irgendwelche Musicals auf Dampfschiffen. Aber von kleinen Kulturbetrie- ben, wo es mehr um die Liebhaberei geht. Glaubt ihr, durch Corona wird sich daran etwas ändern? Charlotte: Ich hoffe, es hat sich ein bisschen etwas an der Wahrnehmung von Clubs als kul- turelle Orte geändert. AmAnfang hat mich sehr genervt, dass es hieß, es ginge nur um Party. Als sei ein Club nur ein Partyraum, wo du dich betrinkst. Es ist was ganz anderes. Hier treffen sich verschiedene Leute, die in diesem einem Sound sind. Bei einem Stück von Richard von der Schulenburg ist Musikgeschichte drin. Das ist nicht Ballermann. Ein Club ist ein offener demokratischer Raum. Die geflüchteten Jungs von der Hafenstraße sind sonst an keinem an- deren Ort. Hier sind sie gleichwertig. Ralf: Der Club ist der Ort, wo zuerst die gesell- schaftlichen Fragen diskutiert werden. Zum Beispiel wie sich Sprache verändert oder Diversität. Das passiert genau hier, wo junge Leute sind und neue Dinge ausprobieren. Dies gibt einen Impuls in die Gesellschaft, der nicht zu unterschätzen ist. Viktor: Auch Kneipen sind solche sozialen Orte. Wo Leute aufeinandertreffen, die sich vielleicht sonst nicht treffen. Es ist spannend, wenn es eine Reibung gibt. Wir wünschen uns auch im- mer eine Mehrgenerationen-Idee. Das soll im Barboncino noch mal mehr gefördert werden. Als eine Art Bar, wie es die Pubs in Großbritan- nien oder die Cafés in Italien sind. Aber die ganze Gentrifizierung macht es natürlich schwer, neue Orte aufzumachen. Mit welchen Folgen? Ralf: Zum Beispiel, dass sich die Meinungs­ bildung ins Internet verlegt und bestimmte Algorithmen bestimmen, was sich durchsetzt. Ich diskutiere doch lieber mit jemanden an der Bar, als das ich mich im Internet beschimpfen lasse. Da hängt etwas schief in der Gesell- schaft. Und die sozialen Kontakte, die wir bie- ten, die fehlen. Habt ihr diese Reibung schon wieder erlebt? Charlotte: Na ja … Alle sind zurückhaltend, weil sie die Regeln verinnerlicht haben. Wegen Cover gut fand. Dann hat er 2000 und 2015 noch mal hier im Pudel gespielt. Das ist das Repertoire des Pudels. Wir können immer wie- der auf Artists zurückgreifen, die schon mal hier waren. Auch, wenn gerade Pandemie ist und wir jemanden brauchen, der im Garten spielt. Was ist musikalisch zu erwarten? Ralf: Er hat gerade ein Album rausgebracht. Aus seiner Space-Travelling-Phase. Das sind eher schlecht gepresste Platten, die neu ge- mastert wurden. Sehr trashiger Space-Alien- Jazz. Teilweise funky melodiös. Ich mag diese „My first piano plastic trash“-Ästhetik sehr. Da wird aus cheapem Shit großartige Musik ge- macht. Ohne Bigband? Ralf: Er kommt alleine, aber sein Technik-Rider lässt viel erwarten. Viktor: So schließt sich der Kreis. 2000 war er das erste Mal hier und hat noch bei mir in der WG amHein-Köllisch-Platz gepennt. Er passt so gut zu uns, weil diese Mischung so gut passt. Dieses Elektronische, dieses Organische, Un- berechenbare. Die Mischung zwischen sehr fettem und sehr traurigem Sound. Ralf: Eigentlich der optimale Posterboy für uns. Und was kostet der Spaß? Ralf: Unsere Open-Air-Veranstaltungen waren immer als Geschenk für das Viertel gedacht. Vermutlich müssen wir einen Euro Schutz­ gebühr nehmen. Aber das ist hier mitten im Park Fiction, eine soziale Skulptur, und soll da reinwirken. Viktor: Eigentlich widerspricht das völlig un­ serer grundlegenden Türpolitik, dass jeder reinkommt und man keinen ausschließt. Jetzt müssen wir uns auf einmal überlegen, wie viele Leute wir reinlassen. Einerseits völlig richtig, aber leider irgendwie auch gegen unsere Idee. Interview: Ole Masch barboncino.de/programm; pudel.com 11

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