August 2020
Lars Meier spricht mit richtig guten Leuden, u.a. mit Marcell Jansen, Cornelia Poletto, Peter Lohmeyer, Frank Spilker, Bettina Tietjen, Corny Littmann, Atze Schröder und vielen mehr THEATER Foto: Florian Sonntag Regierungen und Krankenhäuser vor allem in nord- und westafrikanischen Ländern auf Pande- mien vorzubereiten. Das Publikum kommt dazu und soll dieses Spiel spielen, aber es wird künstle- risch transformiert. Es geht nicht mehr nur darum, ob wir die Pandemie eindämmen oder nicht, son- dern darum, ob wir hinterher in einer Diktatur landen oder in einer utopischen, neuen Welt. Die Perspektive eines Künstlers oder einer Künstlerin kann so zumBeispiel die gesellschaftspolitischen Dynamiken hinterfragen. Und das Publikum ist in diese Auseinandersetzung einbezogen: Für dieses Stück heißt das: Wenn alle Zuschauerinnen und Zuschauer gemeinsam Entscheidungen treffen müssen, was entwickeln sich daraus für soziale Situationen? Letztes Jahr ging es auch um den Blick in die Vergangenheit, um daraus Schlüsse für die Ge- genwart zu ziehen. Wie ist das dieses Jahr? Tatsächlich haben wir gerade eher das Gefühl, so viel Gegenwart und Zukunft wie noch nie im Pro- gramm zu haben. Weil die meisten Künstlerinnen und Künstler eben auf die Krise reagieren und nach Chancen zur Veränderung suchen. Natürlich grei- fen manche dafür auch auf die Vergangenheit zu- rück. Oliver Zahns Arbeit „Lob des Vergessens, Teil 2“ ist ein Beispiel dafür. Er arbeitet mit einemLied eines deutschen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, das er im Soundarchiv gefunden hat. Daraus hat er eine Arbeit gemacht, die das kollek- tive Erinnern, aber auch das kollektive Vergessen reflektiert. Das Internet macht es momentan fast unmöglich zu vergessen, denn alles wird dokumen- tiert. Zahn stellt die Frage: Wie schaffen wir es, zu vergessen und Geschichte neu zu schreiben in Zeiten des Internets? Wir stecken nochmitten in der Corona-Krise – ist die Auseinandersetzung mit dem Thema durch die fehlende Distanz anders? Die Auseinandersetzung ist tatsächlich ganz an- ders. Letztes Jahr hatten wir viele Arbeiten, die sich mit einer ganz fernen, fantastischen Zukunft be- schäftigt haben. Dieses Mal ist der Blick in die Zukunft viel pragmatischer. Teilweise geht es um die nächste Stunde wie bei Gob Squad, ummorgen oder um nächstes Jahr, um die Zeit, wenn wir die Pandemie hinter uns haben und umdie Frage, was wir dann konkret verändern müssen. Die Utopien sind sozusagen realistischer geworden. Viele, wie etwa das Peng! Kollektiv, sehen die aktuelle Lage als Zwangspause, die wir nutzen müssen, um zu überlegen, wie die neue Normalität aussehen sollte. Und das Publikum wird vermutlich auch alles anders rezipieren als in den vergangenen Jahren. Das fängt bereits da an, dass es ganz an- ders sein wird, in einemTheatersaal zu sitzen, der nur zu einem Viertel gefüllt ist und, dass wir uns ganz anders bewegenmüssen. Das wird dann auch die Wahrnehmung von Arbeiten wie Florentina Holzingers „TANZ“ beeinflussen, die bereits vor der Pandemie entstanden ist. Interview: Ulrich Thiele 12.-30. AUGUST Kampnagel (u. a.), Tickets und Programmunter www.kampnagel.de
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