August 2020

Foto: Chris Heidrich Foto: 30M Records 12 MUSIK Und der Label-Name, heißt es, sei angelehnt an  eine persische Erzählung. Stimmt, an eine persische Fabel aus dem 12. Jahr- hundert. Es geht darum, dass die Vögel der Welt et- was desorientiert sind und deshalb den großen Wei- senvogel aufsuchen, um ihn zu fragen, wo sie ihren König finden können. Der Weisenvogel beschreibt ihnen den Weg, durch Unwetter und alle möglichen Prüfungen, und verspricht ihnen, am Ende der lan- gen Reise den König zu finden. Letztlich kommen nur 30 Vögel an, finden zwar keinen König, merken aber, dass sie durch ihre Erfahrungen, durch ihre eigenen Werte, selbst zu Königen geworden sind. Das gefiel mir und passt gut! Der Label-Name setzt sich aus der Zahl, dem Fabel-Namen des Königs und dem persischen Wort für Vögel zusammen. Und wie kamen die ersten Label-Signings zu- stande? Die waren gar nicht so kompliziert. Am Ende mei- ner zuletzt unternommenen Iran-Reise, das war im Dezember 2019, habe ich den ersten Vertrag gemacht. Die Veröffentlichung („RAAZ“; Anm. d. Red.) ist für November 2020 geplant. Wie gut die- ses erste Projekt funktioniert hat, hat dann auch den Ausschlag dafür gegeben, dass ich gesagt habe: Ich mache nicht nur ein kleines Digital-La- bel, sondern ein richtiges, mit digitalem und phy- sischem Vertrieb. Ich presse schick aussehende Vinyle und versuche, alles in möglichst vielen Län- dern zu promoten und Einnahmen für die Künstler zu generieren. Als Nächstes ist eine Compilation geplant, die die Teheraner Musikszene präsentie- ren soll, mit rund zehn vertretenen Künstlern. Mir ist längst klar: Es geht nur ganz oder gar nicht.  Du hast im Zuge der Label-Gründung einmal ge- sagt, du würdest damit auch mit Missverständ- nissen aufräumen wollen. Was ist denn deiner  meiner nach das größte Missverständnis bezüg- lich des Iran? Das liegt auf kultureller Ebene. In der westlichen Welt wird oft gedacht, dass die Iraner im Wesent- lichen mit Flaggen verbrennen oder Geiseln neh- men beschäftigt sind. Religiöse Fanatiker eben. Mit diesem hier gern genutzten Klischee geht auch eine abschätzende Wertung gegenüber Kultu- rellem, das von dort kommt, einher. Wenn man sich aber mit den Menschen beschäftigt, mit der Kultur und Musik dort, stellt man fest, dass es un- glaublich viel Modernes, Spannendes und Hinter- gründiges zu entdecken gibt. Interview: Erik Brandt-Höge www.30m-records.com Da ist eine Handvoll Label, aber kein Export von iranischer Musik. Auch ein Copyright ist im Grund nicht vorhanden, was nicht gerade zur Wirtschaft- lichkeit des inländischen Musik-Business beiträgt. Du bist nach deiner ersten Iran-Rucksackreise  immer wieder ins Land gekommen, hast aufgrund  deiner jahrelangen Arbeit in der Musikbranche  auch irgendwann Musiker nach Teheran gebracht  und ihnen Auftritte organisiert … … zum Beispiel für Martin Kohlstedt. Meine Kon- takte habe ich der deutschen Botschaft vermittelt, auch dem Goethe Institut. Ich wusste ja, dass es im Iran ein Publikum für sie gibt. Schon auf meiner Rucksackreise habe ich das gemerkt. Ich war in der Wüste unterwegs, in Orten, in denen es gerade mal Elektrizität gab, und bin trotzdem auf Leute gestoßen, die die aktuelle Platte von zum Beuspiel Nils Frahm auf ihrem Handy hatten oder stream- ten. Radiohead sind Superstars im Iran! Dieses große Interesse dort an dieser nicht unbedingt fröhlichen Musik erkläre ich mir mit der musika- lischen Geschichte des Landes und dem Hang der Iraner zur Poesie, das passt gut. Das Konzert von Imposante Kulisse: Konzertbesucher in Teheran, kurz nach der Show Foto: Lena Dann Martin Kohlstedt war dann auch gut besucht. Die Leute standen Schlange, auch später, um noch ein Autogramm zu bekommen. Genauso war es mit Ólafur Arnalds und Frederico Albanese, mit denen ich später wiederkam. Es besuchten wirk- lich Tausende ihre Konzerte. Und dann wolltest du mehr. Richtig. Ich habe natürlich von Reise zu Reise mehr Musiker mit wahnsinnig spannenden Projekten kennengelernt, auch Konzertveranstalter, Plat- tenläden. Ich habe recherchiert, mich mit vielen Leuten hier unterhalten und festgestellt, dass es in der westlichen Welt kein Label gibt, das sich darauf spezialisiert hat, Musik aus dem Iran zu veröffentlichen. Und das wollte ich von meinem Lebensmittelpunkt Hamburg aus ändern. War die Label-Gründung leicht für dich, weil du  wusstest, wie es funktioniert? Ich kannte die einzelnen Elemente, aber wie lange es vom ersten Gespräch mit den Künstlern bis zur fertigen Platte dauert, wenn man alles selber macht, hat mich dann doch ein bisschen überrascht.

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