August 2020
Matthias, kleiner Zeitsprung zurück ins Jahr 2015. Damals bist du zum ersten Mal in den Iran gereist. Steckte mehr dahinter als ein Urlaub? Matthias Koch: Damals, kurz nach dem Atom- Deal, fing das deutsche Feuilleton gerade an, über die iranische Kunst- und Kulturszene zu schrei- ben. Es gab erste Reiseberichte, Backpackerge- schichten, den ersten „Lonely Planet“-Reiseführer vom Iran. Das Land wurde immer interessanter. Und da ich schon ein paar Rucksackreisen in den Nahen Osten gemacht hatte, dachte ich irgend- wann: Hin da! Hattest du bestimmte Erwartungen? Nein, nur eine große Neugier auf ein Reiseziel, das ganz anders war als alle, die ich zuvor hatte. Eine Reise an einen Ort, der nicht wirklich westlich ist, und wo ich nichts verstehen und lesen können würde. Es fühlte sich abenteuerlich an. Im Flug- zeug dann dachte ich auch kurz, ob das wirklich so eine gute Idee war … … aber die Zweifel verflogen sofort bei der An- kunft? 30M RECORDS Hin da!“ „Irgendwann dachte ich: 11 MUSIK Nicht sofort. Am Flughafen musste ich erst mal an den Uniformierten vorbei, den Revolutionsgarden. Diese wickeln dort, wie bei uns der Bundesgrenz- schutz, den Betrieb ab. An den Wänden in der Emp- fangshalle hingen riesige Bilder von den Revolu- tionsführern. Aber erste Widersprüche tauchten auf: Neben ihnen direkt großflächige Werbung für das aktuelle Top-Handy von Samsung! Und drau- ßen war es vor allem erst mal sehr warm. Der Flughafen von Teheran liegt fast in der Wüste, es gab eine ganz eigene Luft, ganz eigene Gerüche. Alle Frauen trotz Hitze mit Kopftuch! Vor der Tür warteten klapprige Taxis mit freundlichen alten Männern, die mir „Mister, welcome to Iran! Mi- ster, come here!“ zuriefen. Ich nahm dann so ein Taxi – und bekam vom Fahrer erst mal Datteln und Tee gereicht. Gab es auch Musik im Taxi? Ja. Aus dem Autoradio kamen scheinbar religiöse Gesänge, untermalt von Saiteninstrumenten, die mir bis dahin noch nicht geläufig waren. Ein Überbleibsel aus der Zeit nach der Revolution 1979, als im Iran nur religiöse Musik erlaubt war? Genau. Populär- und Weltmusik ganz allgemein wurden damals verboten – und das nach einer sehr erfolgreichen Ära des iranischen Pop in den 1960er und 70er Jahren. Googoosh etwa hört man ja auch hier noch bis heute auf Partys. Viele Künstler sind nach der Revolution ins Ausland gegangen, andere Der Hamburger Matthias Koch hat ein Label gegründet, das als Plattform für eine aufstrebende Musikergeneration aus dem Iran dient. Ein Gespräch über die Strahlkraft persischer Klangästhetik wollten oder konnten nicht auswandern und ha- ben dann eben damit weitergemacht, was nicht verboten war, nämlich mit religiöser, meist sehr melancholischer Musik. So haben sie ihr Schaf- fen gerettet. Im Laufe der Jahre hat sich die Lage für iranische Musiker wieder relativ entspannt – vor allem, seit es das Internet gibt. Iran war ja nie komplett abgeschottet, und die Leute dort waren und sind bestens informiert, was Kunst und Kul- tur aus dem Ausland angeht. Dazu zählt natür- lich auch die Musik. Westliche Klangästhetik ist heute überhaupt kein Problem mehr im Iran, im Gegenteil, sie wird sogar hoch angesehen. Einzig HipHop und eventuell Metal ist nach wie vor nicht etabliert. Zu klischeehaft westlich für die Ord- nungshüter. Ich habe HipHop-Künstler kennenge- lernt, die wegen ihrer Musik auch schon temporär hinter Gittern saßen. Sind Auftrittsgenehmigungen erforderlich? Ja, die braucht jeder Künstler. Sämtliche Musik, die öffentlich aufgeführt werden soll, geht erst mal zu einer Kontrollbehörde: Ministry of Culture and Islamic Guidance. Die prüfen alles, vom Cover der CDs bis zu den Texten. Auch, ob Frauen mit dabei sind und, wenn ja, welche Rolle sie haben. Frauen- gesang solo ist zum Beispiel verboten. Es besteht auch keine wirkliche Infrastruktur für Musik, wie es sie zum Beispiel in Deutschland gibt. Und För- derung für Popmusik gibt es schon mal gar nicht.
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