August 2019
KRITIKEN 37 Foto: Cinémaginaire/FilmTDA Foto: Kolja Brandt FILM überdeutliche Anspielung auf die strukturellen Bedingungen der Liebe für nicht mehr ganz jun- ge Frauen. Claire sehnt sich nach wahrer Nähe, nach echter Bindung. Diese scheint für sie je- doch unerreichbar, da der männliche Blick sich vor allem an Äußerlichkeiten orientiert. Claires innere Werte werden vom anderen Geschlecht erst bei makelloser Fassade gewürdigt – und die kann sie eben nur als Fake in der Social- Media-Welt bieten. Also bleibt das von Kame- ramann Gilles Porte sehr ästhetisch in Szene gesetzte Drama in der Frage der Schuld ambi- valent. Feministisch gesehen ist Claires Verhalten Notwehr. Doch ist es damit zu rechtfertigen? Welche Alternativen hat sie? Und ist ihre Ein- schätzung des männlichen Blicks wirklich stimmig oder versagt sich Claire aufgrund psychischer Wunden das eigene Glück? Die- sen Fragen stellt sich Regisseur Safy Nebbou durch ein sehr kreatives und kluges Story- telling und ein in seiner Einfachheit gleichsam genial offenes Ende. Wer sich selbst nicht mit diesem Film konfrontiert, hat etwas verpasst. Mirko Schneider AB 8. AUGUST F 2018, 102 Min.; R: Safy Nebbou; D: Juliette Binoche, François Civil, Nicole Garcia ★★★★★ Eine herausragende Juliette Binoche auf der Suche nach Nähe – Safy Nebbous Drama über innere und äußere Werte im Zeitalter von Social Media Fake auf Facebook Foto: Alamode Film Claire ist eine 50-jährige, von ihrem Mann verlas- sene Literaturprofessorin. Um ihrem nur an Sex interessiertem Liebhaber Ludo (Guillaume Gouix) wenigstens online nahe zu sein, legt sich Claire eine fiktive Identität auf Facebook zu. Als nun- mehr wunderschöne 24-jährige Clara sendet sie Ludos jüngerem Mitbewohner Alex eine Freund- schaftsanfrage. Was sie nicht geplant hat: Alex schreibt Clara an. Eine innige Online-Liebes- affäre beginnt. Schon bald möchte Alex Clara treffen. Um ein Auffliegen des Schwindels zu ver- meiden, verstrickt sich Claire immer dichter in ein selbst gewebtes Lügennetz. Das zentrale Thema von Safy Nebbous Buchver- filmung ist nicht nur die schuldbeladene Claire, die bei ihrer Therapeutin Catherine (Nicole Gar- cia) die Beichte ablegt. Schon der Titel ist eine Pierre-Paul hat einen Doktor in Philosophie, arbeitet aber als Paketzusteller. Denn, wie er seiner Langzeit-Affäre im Café erklärt: Er ist zu intelligent, um Erfolg zu haben. Reich und berühmt werden nur Verlierer und Vollidioten, davon ist er überzeugt. Und so fristet er sein Dasein, bis ihm im wahrs- ten Sinne des Wortes ein Riesensack Geld vor die Füße fällt. Was soll er, der Kapitalismuskritiker, mit so viel Kohle an- stellen? Ganz klar: Er packt es erst einmal ein. Und tut sich später mit dem kriminellen, just aus dem Knast entlassenen Finanzgenie Sylvain „The Brain“ Bigras (Rémy Girard) und der geheimnisvollen Edelkurtisane „Aspasia“ (Maripier Mo- rin) zusammen, um mithilfe eines Offshore-Bankers das Vermögen an bedürftige Stellen zu verteilen. Ein Wettlauf gegen die Zeit, denn nicht nur die Mafia, sondern auch die Polizei ist dem Trio auf der Spur... Der kanadische Regisseur Denys Arcand (Oscar für „Die Invasion der Bar- baren“) filetiert in seinem jüngsten Film „Der unverhoffte Charme des Geldes“ genussvoll Geldgier und Bankenwesen der westlichen Welt. Recht oder Ge- rechtigkeit, richtig oder falsch – diese alten Fragen werden hier auf launige Weise frisch beantwortet. Steffi Horst AB 1. AUGUST R: Denys Arcand; D: Alexandre Landry, Maripier Morin, Rémy Girard; Preview am 30.7., 3001 Kino, 21 Uhr ★★★★ ★ Im ersten Leben war Monsieur Alain (Fabrice Luchini) ein eiskalter Bu- sinesstyp, der nie ein Danke über die Lippen brachte. Nach einem Schlag- anfall (und hier beginnt sein zweites) fehlt dem CEO einer großen fran- zösischen Autofirma noch einiges mehr an Wortschatz. Helfen soll hier die biedere Logopädin Jeanne (Leïla Bekhti), die mit dem herrischen Ge- baren des Ex-Workaholics erst einmal nicht viel anfangen kann. Aus dieser Ausgangslage könnte eine schöne, zu Herzen gehende, tief- sinnige Geschichte entstehen. Der Franzose Hervé Mimran strickt daraus aber eine ebenso unlustige wie ärgerlich realitätsferne Vom-Saulus-zum- Paulus-Dramödie inklusive Läuterung auf dem Jakobsweg, die fast nie den richtigen Ton trifft und zudem auch noch an unsympathischen Figuren krankt. Karin Jirsak AB 22. AUGUST F 2018, 100Min.; R: HervéMimran; D: Fabrice Luchini, Leïla Bekhti, Rebecca Marder ★★ ★★★ Die Agentin Rachel (Diane Kruger) meldet sich nach einiger Zeit der Funkstille mit einer kryptischen Botschaft bei ihrem früheren Kontaktmann Thomas (Martin Free- man) – und löst damit hektisches Treiben im Lager des Mossad aus. Immerhin verfügt die einst im Iran eingesetzte Spionin über brisantes Wissen und könnte dem israelischen Nachrichtendienst gefährlich werden. Thomas muss sich daher einer kritischen Befragung unterziehen, in der er die Anwerbung Ra- chels, ihre ersten Einsätze und ihre Liebe für die Zielperson Farhad (Cas An- var) eingehender schildert. Yuval Adlers Bestselleradaption ist zu Beginn etwas unübersichtlich und hätte das Psychogramm der Titelfigur sicherlich noch viel facettenreicher ausgestalten können. Ohne Reiz ist die auf effekthascherische Momente größtenteils verzichtende Agentengeschichte allerdings nicht. Zum einen, weil Diane Kruger eine zurückgenommene, aber eindringliche Perfor- mance abliefert. Und zum anderen, weil der Film dem Zuschauer unmissver- ständlich vor Augen führt, wie schnell Geheimdienstmitarbeiter zu entbehr- lichen Spielsteinen werden können. Als Alternative zu den spektakulären Bond-Fantasien hat das Spionagedrama „Die Agentin“ trotz mancher Schwä- chen durchaus seine Daseinsberechtigung. Christopher Diekhaus AB 29. AUGUST D/ISR/F 2019, 116 Min.; R: Yuval Adler; D: Diane Kruger, Martin Freeman, Cas Anvar ★★★ ★★ Der unverhoffte Charme des Geldes Das zweite Leben des Monsieur Alain hamburg: pur Aktion! Für eine Preview am 5. August um 20 Uhr im Abaton Kino verlosen wir 5x2 Karten. E-Mail mit Betreff „pur: fake“ an verlosung@vkfmi.de; Einsendeschluss 2.8. 36 SO WIE DU MICH WILLST
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