hamburg:pur Juli 2024

FILM Love Lies Bleeding Der zweite Kinofilm der Britin Rose Glass ist in vielerlei Hinsicht ziemlich „drüber“, kulminiert er doch in einer Art Hommage an den Fünfziger-Hollywoodklassiker „Attack of the 50 Foot Wo- man“. Glass’ Protagonistin Lou (Kristen Stewart) ist ein queeres Mauerblümchen mit zerzauster Endachtziger-Vokuhila. Sie leitet irgendwo im Hinterland New Mexicos das Fitnessstudio ihres dämonischen Vaters (Ed Harris), einer lokalen Mafiagröße. Wir schreiben das Jahr 1989, Muckibuden werden noch fast aus- schließlich von männlichen Rednecks frequentiert. Motivations- sinnsprüche wie „The body achieves what the mind believes“ zieren die Wände; ein Satz wie eine Prophezeiung dessen, was nun folgt. Enter Jackie (Katy O’Brian): Die junge Anhalterin ist auf der Durchreise zu einem Bodybuilder Contest in Las Vegas. Als sie das Gym betritt – unten muskelbepackter Körper, oben von Locken umspieltes Engelsgesicht – ist Lou wie vomDonner gerührt. Schon bald verbindet die beiden Frauen eine knisternde Liebesaffäre. Parallel zum ersten Sex erhält Jackie Steroid-­ Injektionen, Lous GymConnections machen’s möglich. „Female Empowerment“ ist das Zauberwort, schließlich soll Jackie ja Daddio – Eine Nacht in NewYork Vor ein paar Minuten gelandet am Airport John F. Kennedy, will die blonde junge Frau (Dakota Johnson) mit den schwarzen schweren Boots eigentlich nur schnell heim nach Manhattan. Auf die Fragen von Taxifahrer Clark (grandios: Sean Penn) re- agiert sie anfangs widerwillig, nein, ihren Namen verrät sie nicht, nach Dreißig halbiert sich der Wert von Frauen eh. Clark lässt nicht locker und hakt nach beim Beziehungsstatus. Sein weib- licher Fahrgast, von Beruf Programmiererin, verharrt in der De- fensive, damit beantwortet sich die Frage für ihn von selbst: Sie steht auf verheiratete und um einiges ältere Typen – und nennt sie Daddy! Unser Fahrer mit dem rüden, leicht unflätigen Vokabular ist auf der richtigen Spur. Er provoziert gern, politisch korrekt klingt an- ders, aber das Machogehabe dient dem Bordsteinphilosophen und heimlichen Gentleman wohl eher als Tarnung oder Selbst- schutz. Was er nicht weiß: Jener Daddy bombardiert die Frau auf der Rückbank gerade mit Dickpic und peinlich lüsternen Text- nachrichten. Unsere erschöpfte, schöne Blonde zieht es aber vor, sich einen verbalen Wettkampf der Geschlechter mit dem Mann am Steuer zu liefern. Sie, die coole Verschlossene, geizt nicht mit Einblicken in ihr Innerstes, spricht über Missbrauch und Verlust. Auch Clark offenbart seine Einsamkeit und Frustra- tion. Zwischen den beiden Fremden entwickelt sich eine nie zu- vor erlebte Vertrautheit, Nähe. Regisseurin und Drehbuchautorin Christy Hall („I Am Not Okay with This“) ließ sich inspirieren von ihren Lieblingsfilmen wie „Mein Essen mit André“ (Louis Malle, 1981) und „No Turning Back“ (Ste- ven Knight, 2013). Mit dem berührenden Drama „Daddio“ gelingt ihr ein spektakuläres Kinodebüt. Das tragische, waghalsige Spiel mit Stereotypen, mit Wahrheit und Illusion, jederzeit austausch- bar, ist schmerzhaft, verwirrend – und in jedemMoment ästhe- tisch virtuos (Kamera: Phedon Papamichael). Sean Penn („Mys- tic River“) und Dakota Johnson („Fifty Shades of Grey“) zeigen hier völlig neue Seiten von sich, laufen zu Bestform auf. (ag) AB 27. JUNI USA 2023; 101 Min.; R: Christy Hall; D: Dakota Johnson, Sean Penn ★★★★★ Foto: A24 Foto: Leonine hamburg:pur Aktion! Für eine Sondervorstellung des Films „Love Lies Bleeding“ am 15.7., 20 Uhr in den Zeise Kinos verlosen wir 10 x 2 Karten. E-Mail mit Name und Betreff „pur:Love“ an verlosung@szene-hamburg.com ; Einsendeschluss: 12.7. in Vegas triumphieren. Nach dem anvisierten Sieg will sich das Duo dann in einemRundumschlag auch gleich aus demSchwitz- kasten des Patriarchats befreien. So weit der Plan, doch leider sind die selbst optimierten Amazonen umzingelt von einer ver- schworenen Menge übelster Typen, die nichts lieber tun, als ih- nen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. „Love Lies Bleeding“ ist eine ebenso sinnliche wie makabre fe- ministische Fabel, die trotz aller Düsternis vor Humor strotzt. Kristen Stewart brilliert in der Rolle der verletzlichen, zornigen Lou. Katy O’Brian glüht als Jackie vor naivem, uramerikanischem Optimismus. Sie will die Welt retten, indem sie alles Schlechte aus ihr herausprügelt. Für dieses Ziel wird sie im seltsamen, nach der Pressevorführung viel diskutierten Showdown förmlich über sich hinauswachsen: „She-Hulk“, nur nicht in Grün. (cc) AB 18. JULI USA/GB 2024; 104 Min.; R: Rose Glass; D: Kristen Stewart, Katy O’Brian, Anna Baryshnikov ★★★★★ 24 FILM AKiller Romance Gary Johnson (hinreißend komisch: Glen Powell) lehrt Psycholo- gie an der Universität von NewOrleans. Der sanftmütige, von den Studenten belächelte Brillenträger ist geschieden, lebt zusammen mit seinen Katzen Ego und Id, und nebenbei arbeitet er als Abhör- spezialist für die Polizei. Unerwartet muss er für den suspendier- ten Undercover-Agenten Jasper einspringen. Ziel des Einsatzes: kriminelle Mitbürger zu überführen, die im Darknet nach einem Auftragskiller suchen. Für Einzelheiten des Deals und der Geld- übergabe ist nun Gary als falscher Hitman zuständig, danach kli- cken die Handschellen. Der eigentlich doch so uncoole Professor besitzt zur Überraschung seiner Kollegen (und des Kinopublikums) eine spektakuläre Verwandlungsfähigkeit, der Rest ist Intuition. Als Psychologe weiß er: In jedem Menschen schlummert seine ganz eigene (Ideal-)Vorstellung von einemAuftragskiller – und so liefert er maßgeschneiderte Bösewichter jeder Couleur. Kompliziert wird es erst, als unser Protagonist der unwidersteh- lichenMaddyMasters (Adria Arjuna) gegenübersitzt, die sich ihres Ehemanns entledigen will. An diesem Tag hat Gary sich für die Rolle desmysteriösen verführerischen Ron entschieden, nur: Wer will schon eine zauberhafte Frau hinter Gitter bringen? Eine tur- bulente Amour fou beginnt. „A Killer Romance“ basiert auf einer 2001 erschienenen Repor- tage im „Texas Monthly“ von Skip Hollandsworth. Regisseur Ri- chard Linklater („Boyhood“) kennt – genau wie sein Protagonist Gary – unsere Erwartungen, und er spielt damit. Gelungen amFilm sind nicht nur die Brüche zwischen den Genres, sondern auch dessen Facettenreichtum– wie in den sonnendurchfluteten Neo- Noir-Sequenzen. ZumerstenMal erinnert eine Komödie von Link- later an seine „Before“-Trilogie, und so sehnt man sich nach den atemlosen Dauerdialogen zwischen Julie Delpy und Ethan Hawke. Das Drehbuch schrieb Linklater übrigens zusammen mit Glen Powell. Ihr Credo: Schauspielerei, die Kunst des Verstellens, der Täuschung, ist existenzieller Teil unseres Lebens. Das fast schon obsessive Bombardement witziger Verwicklungen garantiert zwar Lacher, nimmt aber den Akteuren ihren Spielraum, sie werden fast erdrückt von der Situationskomik. (ag) AB 4. JULI USA 2023; 113 Min.; R: Glen Powell; D: Glen Powell, Adria Arjona, Austin Amelio ★★★★★ Foto: Leonine Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg Jetzt abonnieren: HEUTE IN HAMBURG Newsletter szene-hamburg.com/newsletter Open-Air-Kino im Schanzenpark 20. Juli – 1.September 2024 Foto: stefanboekels.com Mit freundlicher Unterstützung von Täglich wechselndes Filmprogramm auf zwei Leinwänden. Tickets, Programm & Infos unter www.schanzenkino.de 25

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