hamburg pur - Juli 2020

17 FILM Foto: Jérome Gerull Foto: Jérome Gerull Matthias Elwardt schreitet Richtung Leinwand, bleibt stehen, setzt seinen Mund-Nasen-Schutz auf, dreht sich zu den Journalisten und grinst. Und grinst. Und grinst. Erst nach einigen Se- kunden wird klar, dass das Grinsen aufgesetzt ist. Der Geschäftsführer der Zeise Kinos reißt in bester „Mission Impossible“-Manier seine Maske vom Gesicht, zeigt ein noch breiteres Grinsen und löst das Rätsel auf: Das sei eine Fotomaske „von einer kleinen Textildruckerei aus Winterhude“. Täuschend echt und doch nicht das Original – das trifft irgendwie auch auf diesen Abend zu. Heiligengeistfeld, kurz vor 20 Uhr. Die Sonne geht hinter dem mächtigen Schutzbunker an der Feld- straße unter und taucht den frühsommerlichen Abendhimmel in ein helles, warmes Orange. Nur einige wenige dunkle Gewitterwolken schweben noch am Horizont – eine prachtvolle Kulisse für diesen lange ersehnten Kinoabend. kinos der Lichtblick in einer düsteren Phase des Corona-bedingten kulturellen Lockdowns. Mitten auf dem Feld, das die Begriffe Heilig und Geist im Namen trägt, atmet die Stadt, wenige Tage nach Pfingsten, gemeinsam auf und nimmt dabei die Diesel-Abgase billigend in Kauf. Es ist Premierenabend. Knapp 1.000 bis 1.500 Menschen fahren in ihren 500 Autos von der Glacischaussee kommend einen großen Bogen, Richtung Bunker. Die Autos halten brav 1,5 Me- ter Abstand. Zu sehen gibt es den Film „Linden- berg! Mach dein Ding“ – auf zwei Leinwänden, zeitversetzt um eine Stunde. Zwischen den bei- den, liebevoll Kino 1 und Kino 2 genannten Plät- zen, befinden sich 30 gelbe, aufeinandergesta- pelte Schiffscontainer. Auf beiden Seiten dieser Container-Wand sind 126 Quadratmeter große LED-Leinwände befestigt. „Wir stehen hier im derzeit größten Kino Ham- burgs und eröffnen heute Abend mit einem ganz tollen Hamburg-Film“, sagt Elwardt, Mitveran- stalter des heutigen Abends. „Die Regisseurin ist da, der Produzent ist da. Das wird bestimmt toll.“ Dann schreitet er mit Regisseurin Hermine Huntgeburth und Produzent Michael Lehmann in Richtung eines Glaskastens, direkt neben der Leinwand. In wenigen Augenblicken führt er dort ein Interview mit den beiden, das vor dem Film auf die Leinwand übertragen wird. Die Stimmung ist prächtig. Am Einlass und am Ticketstand strahlen sowohl die Mitarbeiter der Bergmanngruppe, die seit Wochen in Kurzarbeit waren und nun endlich wieder ein Event zum Le- ben erwecken können, als auch die Gäste, die ihre Tickets durch die Scheibe scannen und sich einen Stand weiter auf der rechten Fahrspur ihre Snack Packs – gefüllt mit Popcorn, Chips, Cola oder Bier – durch die Fenster reichen lassen. „Moin!“, „Danke.“, „Viel Spaß!“,„Weiterfahren!“ Ein roter Teppich liegt auf beiden Fahrspuren aus. Die Stars sind die Autos. Wer hätte gedacht, dass die vor Kurzem noch verhassten Boliden ein solches Comeback erleben würden? Es duftet nach frischem Popcorn, direkt vor Ort produziert in der original Popcorn-Maschine aus den Zeise Kinos. Wer nur eine Minute hier steht, fühlt sich wie im Kino. Erinnerungen werden wach, an unzählige Abenteuer, die nur das Kino zu schreiben vermag. Schon erstaunlich, was Ge- rüche alles auslösen können! Die Idee, Autokinos anzubieten, entstand aus der Not heraus. Der Bergmanngruppe, bekannt für Veranstaltungen wie die Harley Days und die Cru- ise Days, waren im März 100 Prozent aller Aufträ- ge weggebrochen. „Von heute auf morgen“, sagt Geschäftsführer Thorsten Weis. Er trägt einen grauen Fünf-Tage-Bart, graue Sneaker, graue Jeans, einen dunkelgrauen Pullover, darüber einen ärmellosen Overall in Anthrazit mit einem Spruch des Hauptsponsors auf dem Rücken. Nur seine moderne Brille mit breitem Gestell ist schwarz. Sein Team nennt ihn Thorsten der Graue, in Anlehnung an Gandalf den Grauen aus der „Herr der Ringe“-Trilogie. Einen spitzen Hut trägt er nicht, auch führt er keinen Zauberstab mit sich, aber an der rechten Hand trägt Thor- sten Weis einen wuchtigen silbernen Ring mit Hier beginnt am heutigen Tag, dem 6. Juni 2020, ein neues Kapitel: die Rückkehr der Autokinos, nach 17 Jahren. Für viele wird dieser Abend die erste Autokinoerfahrung sein. Zwar gab es in Hamburg von 1976 bis 2003 das „Drive In“ in Bill- brook. Doch die wenigsten waren in diesem er- sten und einzigen Autokino Hamburgs zu Besuch. Sie alle sind heute gekommen, um nach Monaten der Abstinenz überhaupt einen Kinofilm auf einer Leinwand zu sehen: gemeinsam, gemütlich, ge- spannt. Fast wie im Kino. Vier Stück gibt es nun in Hamburg: „Bewegte Zeiten – Das Autokino für Hamburg“, auf dem Heiligengeistfeld, das „Cruise Inn“ in Steinwer- der, das „Lotto Hamburg Autokino“ auf der Bah- renfelder Trabrennbahn und das „Independent Autokino“ im Oberhafen. Und so wie die Sonnen- strahlen sich an diesem Tag durch die dicken, grauen Regenwolken kämpften, so sind die Auto-

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