hamburg pur - Juli 2020
15 THEATER Foto: Kampnagel Amelie Deuflhard, Sie sagten in anderen Inter- views, die Entscheidung sei von bundesweiter Bedeutung. Wasmeinen Sie damit? Es gibt gar nicht so viele internationale Produk- tionshäuser in Deutschland – und von den wenigen war bisher keines ein Staatstheater. Hamburg nimmt damit eine Vorreiterrolle ein. Auf einer symbolischen Ebene schafft das eine Gleichwer- tigkeit mit Repertoire-Theatern und Opernhäusern. Die Stadt erkennt damit an, dass unsere internati- onale Arbeit in der globalisierten Welt genauso relevant ist, auch wenn sie ganz anders funktioniert als ein klassisches Staatstheater, das aus dem Repertoire heraus arbeitet und vor allem lokal agiert. Ich finde, diese Entscheidung passt gut zu einer so internationalen Stadt wie Hamburg. Kampnagel ist bekannt als Produktionsstätte der freien Szene. Ändert sich durch den Staatsauftrag etwas an der Ausrichtung? Nein. Kampnagel arbeitet auch weiterhin mit der freien, internationalen Szene – von ganz jungen, experimentell innovativen Künstlern, bis hin zu sehr bekannten Stars aus aller Welt. Ich werde einen Teufel tun, an dieser Ausrichtung etwas zu ändern. Kampnagel wird niemals ein Stadttheater mit Repertoire-System und festem Ensemble, sondern weiterhin Produktionen aus der ganzen Welt zeigen und zugleich ein Ort für die lokale „Wirbleibenfrei und international“ Die Stadt Hamburg wird Alleingesellschafterin von Kampnagel. Damit ist die Kulturfabrik Hamburgs viertes Staatstheater. Intendantin Amelie Deuflhard über die Bedeutung dieser Entscheidung 15 Szene sein, die hier ebenso produziert wie interna- tional renommierte Künstler und Künstlerinnen – die wir wiederummit der Welt vernetzen. Es hat auch symbolischenWert, dass die Stadt ihre Entscheidung inCorona-Zeiten öffentlich gemacht hat. Wie haben Sie diese Zeit bewältigt? Wir haben auf Kampnagel von Anfang darüber diskutiert, wie wir auch in Zeiten der Schließung Relevanz entfalten können. Und wir wollten vor allemweiterhin live bleiben und nicht alle Program- me ins Digitale verlagern. Deswegen habenwir eine riesige Plakatkampagne im zu diesem Zeitpunkt noch total leeren Hamburg gemacht, mit Hashtags wie „Rethink Capitalism“, „Globale Solidarität“, „Physical Distancing, Social Caring“. Weil wir ge- sellschaftlich relevante Themen plötzlich nicht mehr auf der Theaterbühne verhandeln konnten, aber wir die Stadt zu Bühne gemacht. Außerdem haben wir mit Produzenten aus aller Welt darüber ausgetauscht, wie der Shutdown bei ihnen aussieht und welcheWirkungen er global hat: Was bedeutet Corona im Kontext von sozialer Ungleichheit, wie beeinflusst die Pandemie Rassismus und Ausgren- zung vonMinderheiten?Wir haben Corona also von Beginn an politisch betrachtet. Sie haben gerade das Live-Art-Festival veranstal- tet – unter neuen Bedingungen. Wie war die Umstellung? Das war nicht nur eine Umstellung, sondern eine komplette Neuerfindung unter dem Hashtag „Zi- viler Gehorsam“. Viele Projekte fanden im öffent- lichen Raumund auf unseremAußengelände statt, zum Beispiel eine performative Weltreise des Wiener Performance Kollektivs God’s Entertain- ment. Der Performance-Lieferservice „Unboxing Unboxing“, ein Projekt der Hamburger Gehei- magentur hat Performances zu einzelnen Men- schen nach Hause gebracht. Wie haben Sie die aktuelle „Black LivesMatter“- Debatte aufgegriffen? Wir haben das in unseremNewsletter thematisiert, haben die Social Media Kampagne „Black Out Tuesday“ mitgemacht und zur Eröffnung des Fes- tivals, kurzfristig eine Podiumsdiskussion über strukturellen Rassismus organisiert. Anlass der Diskussion war die Ermordung George Floyds in Minneapolis, aber gesprochen haben die lokalen Akteure über Rassismus in Deutschland und in Hamburg. Wir gehen nicht davon aus, dass Rassis- mus speziell bei der Polizei vorkommt, sondern dass es strukturellen Rassismus in allen Institu- tionen gibt. Also jener Alltagsrassismus, der den Menschen nicht bewusst ist, aber der unsere Ge- sellschaft durchzieht. Interview: Ulrich Thiele
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