hamburg:pur Juni 2025
Foto: Marcel Zyskind Foto: Bleecker Street Media FILM The ugly Stepsister Verarmte, junge Schönheit sehnt sich nach reichem Prinzen. Doch die fiese Stiefmutter will den Holden lieber mit ihrer leib- lichen Tochter verkuppeln. Mithilfe magischer Mächte schleppt die Hübsche ihren Angebeteten dann aber doch ab, finales Ar- gument ist ihre Schuhgröße. Die Story vom Aschenputtel setzt die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt als bekannt vor- aus und richtet den Fokus ihres aberwitzigen Märchenfilms lieber auf die (vermeintlich) unansehnliche Stiefschwester. Wir befinden uns im Königreich Svedlandia. Die naive Elvira mit den Korken- zieherlocken schwärmt für Prinz Julian, einen eitlen Junggesel- len mit Popstarstatus. Seinen Band mit schmalzigen erotischen Versen nimmt sie sogar mit ins Bett. Als der Prinz einen Ball aus- richtet, um seine Zukünftige auszuwählen, scheint der große Moment gekommen. Doch Elviras verwitwete Mutter ist gna- denlose Realistin: Einer wie Julian rangiert mehrere Ligen über ihrem hässlichen Entlein. Der gefragte Schönheitsspezialist Dr. Esthetique soll helfen. Schritt eins: Aus einer vorbereiteten Liste hübscher Nasen darf Elvira eine auswählen. Dann wird sie auf einemStuhl festgeschnallt und Hammer und Meißel kommen zum Ein- satz, begleitet von den grausigen Schreien der Optimierungswilligen. Und dieser Nose Job ist nur der Anfang eines schmerzhaften Reigens grausiger Korrekturen, die der koksende Quacksalber an seinemOpfer vornehmen wird. Bevor der Disney-Konzern sie blütenweiß wusch, wa- ren Märchen düstere, oftmals grausige Volksweisen. Blichfeldt besinnt sich auf diese Wurzeln. In einem liebevoll ausgestatteten, blumigen Setting zeigt sie uns das schmerzvolle Streben nach äußerlicher Per- fektion in all seiner scheußlichen Konsequenz. Die fantastische Haupt- The Friend Iris (Naomi Watts) lebt mitten in Manhattan. Die Mittvierzigerin ist Single und Schriftstellerin mit Schreibhemmung. Sie schätzt sich als „Katzen-Person“ ein: Hätte sie ein Haustier, käme es auf Samtpfoten daher. Da trifft es sich schlecht, dass Iris’ ehemali- ger Uni-Professor ihr nach seinem Freitod jede Menge Hund hinterlässt: Quasi über Nacht wird eine dänische Dogge zum Mitbewohner in ihrem kleinen Apartment. Apollo, so heißt der majestätische Vierbeiner, ist vom plötzlichen Verschwinden seines darstellerin Lea Myren durchleidet diese Body-Horror-Revue mit vol- lem Körpereinsatz. Ohne zu spoilern, darf man verraten, dass Elvira aus demKrieg gegen ihren eigenen Körper als Verliererin vom Feld ge- hen wird. So funktioniert der Film auch als beißender Kommentar zur zeitgenössischen, von sozialen Medien befeuerten Jagd nach dem perfekten Look. Text: Calle Claus Regie: Emilie Blichfeldt. Mit: Lea Myren, Ane Dahl Torp, Flo Fagerli. 110 Min. Ab 5.6. ★★★★★ geliebten Herrchens tief traumatisiert. Als sprichwörtlicher Elefant im Raum gemahnt der traurige Big Guy Iris ab jetzt rund um die Uhr an ihren verstorbenen Freund. Walter (Bill Murray, in der „Flashback-Rolle“ des Verstorbenen) war selbst Schriftsteller und ein Womanizer alter Schule. Seine Techtelmechtel mit Schutzbefohlenen kosteten ihn schließlich sei- nen Uni-Job. Auch mit Iris hatte er eine kurze Affäre, aus der sich eine tiefe Freundschaft entwickelte. Insofern bezieht sich der Filmtitel dop- peldeutig sowohl auf die Verbindung zwischen Schülerin und Mentor als auch auf diejenige, die Iris jetzt zu Walters schwierigem Erbe aufbauen muss. Cat Person meets Great Dane: Klar, dass diese Verbindung erst mal einen Stotterstart hinlegt. Wenn Iris zu Anfang mit Apollo Gassi geht, hat man eher das Gefühl, es wäre andersherum. Wie das ungleiche Paar schließlich zueinanderfindet, be- schreibt die Romanverfilmung einfühlsam und tiefgründig. Dass sie unterwegs immer mal wieder in tränendrüsiges Fahrwasser driftet, lässt sich angesichts der seelenvoll- melancholischen Aura von „Bing“ (so heißt der tierische Hauptdarsteller im echten Hundeleben) kaum vermeiden. Wer Hunde liebt, wird diesen Film ins Herz schließen. „The Friend“ hat einige Filmminuten und Nebendarsteller zu viel und verheddert sich zudem in einem allzu ausgefransten Ende. Auf zwei Felsen in der Brandung kann sich der Film aber verlassen: Einen wahrhaft gigantischen Hauptdarstel- ler und eine nicht minder große Performance von Naomi Watts, die man lange nicht so stark gesehen hat. Text: Calle Claus Regie: Scott McGehee & David Siegel. Mit: Bing, Naomi Watts, Bill Murray, Sarah Pidgeon. 123 Min. 19.6. ★★★★★ 26 FILM Copa 71 Mexiko, 1971: Sechs Frauenfußballteams kämpfen um den WM-Titel. Das Turnier, ein absolutes Novum, wird vomPublikum begeistert aufgenommen. Beim Finale drängeln sich 110.000 euphorisierte Zu- schauer auf den Tribünen des Estadio Azteca von Mexico City. Es ist bis heute das meistbesuchte Frauensport-Event der Geschichte. Die Fans erleben knall- hart umkämpfte Matches, eine von frag- würdigen Schiri-Entscheidungen über- schattete Halbfinalskandalpartie mit an- schließender Prügelei auf dem Feld, ein Heimteam, das im Laufe des Turniers über sich hinauswächst und schließlich ein Weltmeisterinnen-Team, das vorher niemand auf dem Zettel hatte. Alles Stoff für Legenden. Doch statt in die Annalen einzugehen, wurde das Turnier danach tot- geschwiegen. Initiiert worden war die „Copa 71“ von mexikanischen Geschäftsleuten. Sie wollten die Spielstätten der Herren-WM im Jahr zuvor nochmals gewinnbringend nutzen. Die Idee war nicht frei von Sexismus. Ein Werbespot betonte zum Beispiel, dass alle Damen in Hotpants auflaufen werden. Prompt verbot die unvermeidliche FIFA solche Frivolitäten an sämtlichen von ihr kontrollierten Spielstätten. Foto: The Film Doch ausgerechnet für die beiden größ- ten Arenen des Landes fehlten ihr die Rechte. Das Regie-Duo Rachel Ramsay und James Erskine generiert aus dem überraschend reichhaltigen Bildarchiv eine famose Doku. Die frühen Siebziger sind eh Garant für tolle Bilder: Riesige Martini-Werbebanner schmücken die Tri- bünen, Stufenhaarschnitte und gewagte Trainingsleibchen zieren die Aktiven. Der Film rekapituliert das Turnier Match für Match, in Interviews kommen viele da- malige Spielerinnen zu Wort. Die coolen Ladys, heute allesamt um die siebzig, er- innern sich mit Wehmut und nicht selten Frustration. Viele von ihnen wären heute vermutlich bekannte Mediengesichter, doch waren sie zur falschen Zeit auf der Höhe ihres Könnens. Wieder daheim flogen ihnen statt Blumensträußen Häme und nicht selten blan- ker Hass entgegen. Heute können sie sich damit trösten, Vorreiterin- nen gewesen zu sein – und Heldinnen dieses mitreißenden Sportfilms! Text: Calle Claus Regie: Rachel Ramsay & James Erskine. Mit: Silvia Zaragoza, Elena Schiavo, Carol Wilson. 91 Min. 26.6. ★★★★★ Der Geschmacksträger für Hamburg ONLINE bestellen shop.szene-hamburg.com Oder genussguide-hamburg.com Jetzt am Kiosk! Anonym. Kritisch. Unabhängig www.genussguide-hamburg.com Top Neueröffnungen und mehr als 750 Restaurants im Test Grandiose Gastge DerGenuss-Michel fürunsere Besten Kreative Konzept Hamburgs Gastro im WandelwilderZeiten Beste Bars Coole Drinks und astreineAbsacker ESSEN+TRINKEN SPEZIAL NR 2025/2026 | ISBN978-3-911 SZENE HAMBURG SPEZIAL ESSEN+TRINKEN 2025/2026 19,80 € 4 194287 31 Titel_E+T_2025.indd 1 ie 11.04.25 11:22
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