hamburg:pur Juni 2025
Ellen Babić Wer macht sich hier schuldig? Beziehungsstatus? Es ist kompliziert. Drei Menschen erleben in zwei Stunden einen Abend, der ihr Leben verändert. Davon erzählt Er- folgsautor Marius von Mayenburg in seinem jüngsten Drama „Ellen Babić“. An den Kammerspielen gelingt Sewan Latchinian eine span- nungsgeladene Inszenierung. Das ist bei einem Stück in Echtzeit, dessen treibende Kraft allein die Dialoge sind, eine spezielle Heraus- forderung. Den Schauplatz bildet die Wohnung der Lehrerin Astrid, die dort mit ihrer Partnerin Klara lebt, einer ehemaligen Schülerin. Ungewöhnlicherweise kommt Schulleiter und Chef Wolfram zu Be- such, um inoffiziell einen Vorfall zu besprechen: Es geht um Ellen Babić – eine 16-jährige Schülerin, deren Vater den Vorwurf des se- xuellen Missbrauchs gegen Astrid erhebt. Diese Bombe lässt der Schuldirektor indes erst gegen Ende des Abends platzen, zuvor be- lässt er es dabei, seine Kollegin und Untergebene durch Andeutun- gen in Unruhe zu versetzen – und genießt seine Position. Er findet Astrid attraktiv, belästigt sie seit Jahren mit Anzüglichkeiten am Rande der Erkennbarkeit und setzt sie nun unter Druck mit seinemWissen: Die Beziehung zu Astrids jetziger Freundin begann vor deren Voll- jährigkeit und wäre folglich ein Fall für die Justiz. Wolfram unterstellt Astrid ein Muster, schlimmer noch: ein Beuteschema, dem gemäß sie ihre bisherige Lebensabschnittsgefährtin Klara durch ein jünge- res Exemplar ersetzen will, Ellen Babić, die trotz Abwesenheit alles ins Rollen bringt. Till Demtrøder überzeugt mit seinem jovialen Chef- Gehabe, redet und trinkt sich in Rage. Astrids Zerrissenheit zwischen Loyalität und Liebe macht Katja Studt berührend deutlich, während Nachwuchsschauspielerin Marie Fey ein großartiges Debüt als eben- so verletzliche wie kampflustige Klara gelingt. Gebannt folgt das Publikum den Wortgefechten zwischen Übergriffigkeit und blankem Machtmissbrauch. Text: Dagmar Ellen Fischer Hamburger Kammerspiele, 4., 9., 11., 12., 20., 27., 28.6. Foto: Bernd Uhlig Foto: Bo Lahola THEATER Die dunkle Seite desMondes „Faust“-Oper mit neuen Vorzeichen Inspiriert von zwei historischen Figuren, dem Physiker Wolfgang Pauli, der sich in den 1930er-Jahren bei Carl Gustav Jung einer psychoanalytischen Behandlung unterzog, bereitet Unsuk Chin mit ihrer zweiten Oper, zu der sie auch das Libretto schrieb, den „Faust“-Stoff neu auf. Der Physiker Dr. Kieron führt ein Doppel- leben: Während er tagsüber seine Genialität als Waffe gegen die von ihm verachteten Kollegen einsetzt, treibt er sich nachts in zwielichtigen Etablissements herum und wird von Träumen ge- plagt, die Quelle seiner wissenschaftlichen Inspiration, aber auch seiner Angstzustände sind. Hilfe sucht er beim dubiosen Seelen- doktor Astaroth. Die dreistündige Uraufführung in der Staatsoper gönnt Thomas Lehman in der Rolle des Dr. Kieron kaum eine Sangespause. Die- sen Kraftakt meistert der amerikanische Bariton stimmlich mit Bravour, manövriert aber etwas unsicher durch die enorme Text- masse seiner Partie. Als charismatischer Wunderheiler ist der dänische Bariton Bo Skovhus die dunkle Lichtgestalt des Abends. Seine Stimmpräsenz beeindruckt ebenso wie seine abstoßende Verführungskunst, mit der er Kieron zu seinemVerbündeten macht. Doch welchen neuen Blick auf den bekannten Stoff Chin geben will, bleibt unklar. Metaphern, sprachliche Bilder und Sentenzen reihen sich zu einer philosophischen Ideensammlung, die auf Dauer ebenso ermüdet wie die an- und abschwellenden Cluster, die die Philharmoniker – flankiert von forsch aufgepeitschten Erregungs- momenten des Schlagwerks – aus demOrchestergraben drücken. Derweil geizen das regieführende britische Theaterkollektiv Dead Centre und Video-Künstlerin Sophie Lux nicht mit Schauwerten: Im sparsam ausgestatteten Bühnenraum sorgen großformatige geometrische Lichtkörper, schwingende Pendel und Live-Kamera- Bilder für sinnfällige Kurzschlüsse zwischen Kierons Innen- und Außenwelt. Das Interesse an den Figuren und ihren Handlungen wecken sie nicht. Text: Sören Ingwersen Staatsoper Hamburg, 5.6. 20 Foto: G2 Baraniak THEATER Mindset Die Kunst der Ego-Vervollkommnung Zwölf Stapelstühle spielen in der Komödie „Mind- set“ am Altonaer Theater multiple Rollen: Die wei- ßen Plastiksessel werden auf der schlicht-funktio- nalen Bühne zu Büro- und Autositzen, zu Compu- terattrappen, zum Versteck, zum Thron (Ausstat- tung: Johannes Fischer, Requisite: Kinga Abigél Csiki). Zum Sinnbild für Hochstapelei eignen sich die zweckmäßigen Möbel ebenfalls. So wird schnell klar, dass der Selbstdarsteller Maximilian Krach (stark bevor und nachdem die Fassade bröckelt: Mats Kampen) eine windige Figur ist. In Seminaren, die er vor männlichen Bewunderern hält, lehrt Krach die Kunst der Ego-Vervollkommnung. Der Schlüssel zum Erfolg liege im eigenen Kopf, dort müsse die Verwandlung vom Schaf zumWolf stattfinden. Das Stück (Regie und Bühnenfassung für vier Schau- spieler: Kai Hufnagel) basiert auf demDebütroman des Satirikers und Podcasters Sebastian Hotz („El Hotzo“), den es vorteilhaft verdichtet. Antiheld der Handlung ist der von seinem Job angeödete IT-Mann Mirko (überzeugend linkisch: Johan Richter), der dem selbst ernannten Wolf imGlitzersakko nun als euphorisierter Jünger nachfolgt. Kracht selbst kann indes nicht einmal die Hotelrechnung bezahlen und hat außerdemmit seinemGehabe die Rezeptionis- tin Yasmin (burschikos: Chantal Hallfeldt) verprellt, die das Geld nun auf die harte Tour eintreiben will. Über eine Dating-App lernt sie Mirko kennen, der sie zu Krach führen soll. Der Möchtegern-Selfmademan wurde derweil schwer desillusioniert: Er hat einen Handlungs reisenden kennengelernt, dessen geniale Erfindung (ein Butterspender) sich als Reinfall entpuppte. Ist Erfolg also doch keine Frage von „Mindset“? Son- dern bloßer Zufall? Der Moment dieser bitteren Er- kenntnis zählt durch Katrin Gerkens urkomische Darstellung des abgeklärten, zynischen Butterspen- der-Vertreters zu den Höhepunkten des gelunge- nen Abends. Text: Julika Pohle Altonaer Theater, 1., 3.–5., 13.–15. 18.–21.6. Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg Jetzt abonnieren: HEUTE IN HAMBURG Newsletter szene-hamburg.com/newsletter WIR FEIERN JUBILÄUM! Donner25 Tickets & Deals: quatschcomedyclub.de Jeden Donnerstag 25% Rabatt auf eure Tickets mit dem Aktionscode: 21
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