hamburg:pur Juni 2023

Foto: Robert Jentzsch THEATER PRIVATTHEATERTAGE Stolperfallen , Pop-up- Bühnenbild und eine wankende Kirche Vom 27. Juni bis 9. Juli hoffen zwölf herausra- gende Inszenierungen aus dem ganzen Bundes- gebiet auf den Monica Bleibtreu Preis Das hätte auch schiefgehen können: Nachdem im vergangenen Jahr das (durch Corona) ver­ schobene zehnjährige Jubiläum der Privat­ theatertage gefeiert werden konnte, stand die Fortsetzung des Festivals lange in den Ster­ nen. Erst imNovember 2022 erging die Zusage zur Finanzierung: 500.000 Euro kommen vom Bund, 50.000 Euro von der Stadt Hamburg, da­ mit war die 11. Ausgabe der PTT für 2023 ge­ sichert. Den 82 Theatern aus neun Bundes­ ländern reichte die Bewerbungsfrist bis Ende März, doch um eine neunköpfige reisende Jury zusammenzustellen, war die Zeit zu kurz. Folg­ lich konnte nur eine Person pro Genre – Klas­ siker, Drama, Komödie – die Inszenierungen vor Ort anschauen, die beiden anderen Jury- Mitglieder sichteten Videos. Dennoch kamen einstimmige Ergebnisse zustande, und so wer­ den in diesem Sommer wieder zwölf Produk­ tionen auf den Monica Bleibtreu Preis hoffen. Mit dabei sind neue Inszenierungen bewährter Bekannter, aber auch vier Theater, die sich erstmalig qualifizierten. Sie alle zeigen ihre preisverdächtigen Stücke in zehn verschiede­ nen Hamburger Spielstätten, die speziell dafür einen Abend in ihremSpielplan freischaufeln. Die Komödien: „Der seltsame Fall der Pruden­ cia Hart“ erzählt von einer Wissenschaftlerin, deren Eigenschaften im Namen stecken und die, anstatt auf dem Kongress, in einem vom Teufel betriebenen Pub landet, wo sie sich – dank des Spiels der Bremer Shakespeare Com­ Inklusions-Komödie zum Kinoerfolg 2019: „Die Goldfische“ der Comödie Dresden bei den Privattheatertagen pany – höllisch amüsiert. Das Hofspielhaus München zeigt in seinem Beitrag, dass nicht nur „Sticks and Stones“ zu Stolperfallen wer­ den, sondern Worte zur falschen Zeit eine Karriere beenden können. „How to Date a Fe­ minist“ seziert die Klischees, die Frauen und Männer offenbar immer noch umtreiben, auf witzigste Weise; in diesem Fall aus Sicht des Gostner Hoftheaters. „Die Goldfische“, 2019 ein Kinoerfolg, mutieren in der Bühnenfassung der Comödie Dresden zur urkomischen Satire über alles, was scheinbar normal ist. Die (modernen) Klassiker: Wie aus einem der berühmtesten US-amerikanischen Kultfilme der 1970er-Jahre eine Bühnenfassung werden kann, die Theatergänger ebenso überrascht wie überzeugt, macht das Junge Theater Göt­ tingen mit „Harold und Maude“ vor. In der In­ szenierung des Berliner Schlosspark Theaters übernimmt Dieter Hallervorden die Titelrolle in Max Frischs „Biedermann und die Brand­ stifter“. An die 30 Mitwirkende sind nötig, um „Die Dreigroschenoper“ in der Deutung des Theaters Ansbach auf die Beine zu stellen, samt Live-Musik und Pop-up-Bühnenbild. Das Theater Lindenhof im schwäbischen Melchin­ gen rückt in Büchners berühmtem „Woyzeck“ unvermutet dessen Geliebte Marie und einen frischen feministischen Aspekt in den Vorder­ grund. Die (zeitgenössischen) Dramen: Gleich noch einmal das Lindenhof Theater, das mit „Die ganze Hand“ die historisch verbürgte Wand­ lung des Eugen Bolz von Hitlers Steigbügel­ halter zum Widerstandskämpfer aufs Span­ nendste beleuchtet. Erstmals dabei ist das Theater Überzwerg aus Saarbrücken; ihm ge­ lingt die Verwandlung von Karl Olsbergs hoch­ gelobtem Roman „Boy in a White Room“ in einen dystopischen Bühnenthriller. Das Wolf­ gang Borchert Theater aus Münster, PTT- Stammgast, steuert „Die zwei Päpste“ bei, die in einer fiktiven Begegnung das Selbstver­ ständnis der katholischen Kirche ins Wanken bringen. Das Hamburger Ernst Deutsch Thea­ ter übernimmt die Eröffnung der Privatthea­ tertage: Mit „The Wanderers“ landete es einen Publikumserfolg, der die unterschiedlichen Lebensentwürfe zweier jüdischer Paare unter­ haltsam gegenüberstellt. Die beimPublikum so beliebten Interviews vor der Aufführung sowie die Nachgespräche mo­ deriert 2023 Susann Atwell. Text: Dagmar Ellen Fischer Komplettes Programm unter www.privattheatertage.de 20 THEATER Foto: Vasilios Zafrakis 3 Fragen an … Anton Pleva Schauspieler und Regisseur Anton Pleva, in „Frühlings Erwachen“ am Ernst Deutsch Thea- ter sind Sie Darsteller und Regisseur, warum diese doppelte Herausforderung? Anton Pleva: In meiner Konzeption treffen sechs junge Schau­ spieler auf Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Sie spielen jeweils eine der jugendlichen Figuren, aber zusätzlich auch die Erwach­ senen des Stücks, wodurch sie dem Publikum ganz direkt einen Spiegel vorhalten können. Einer der Erwachsenen muss aber von außerhalb kommen, da fiel die Wahl auf mich – übrigens ist es die Figur, die Wedekind in der Uraufführung selbst übernommen hat. Frank Wedekinds Drama, 1906 uraufgeführt, thematisiert se- xuelle Tabus, die es heute so nicht mehr gibt, arbeiten Sie mit dem originalen Text? Mir war sehr schnell klar, dass ich den originalen Text nicht mo­ dernisieren möchte, also ja. Aber wir nutzen das oben genannte Konzept, um den Text aus unserer heutigen Perspektive betrach­ ten zu können, woraus eine zusätzliche Textebene entsteht. Was hat Sie bewogen, das Drama zu inszenieren, welche The- men haben in Ihren Augen heutige Relevanz? Die Aktualität liegt in dem immer gültigen Konflikt zwischen Jung und Alt. Weltanschauungen werden einemKind nicht mit der Ge­ burt mitgegeben, sie werden gelehrt — oder besser: Wir trainie­ ren Kinder, die Welt so zu sehen wie wir. Diese decken dabei zwangsläufig Schwachstellen in der Ideologie der Erwachsenen auf, die diese nicht als „Fehler imSystem“ erkennen können. Also werden Kinder oft mit Gewalt in ein fehlerhaftes System gezwängt. Die Mutter Wendlas sagt: „Ich habe an dir nichts getan, als was meine Mutter an mir getan hat!“ und deckt damit das Problem auf, ohne es selbst zu erkennen: Wir geben Fehler weiter, wenn wir Jugendliche dazu zwingen, sie anzuerkennen, damit wir sie nicht erkennen müssen. Jugendbewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Die letzte Generation“ haben stark mit dieser Schwierigkeit zu kämpfen: Sie halten uns den Spiegel vor. Jetzt kommt es da­ rauf an, ob wir von uns lernen können. Interview: Dagmar Ellen Fischer 8. JUNI (PREMIERE), 9.–13., 15.–18., 21.–25., 27.–30. JUNI UND WEITERE TERMINE; Ernst Deutsch Theater WWW.RONCALLI.DE Tickets an allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie im Internet und unter der Roncalli-Hotline 040/301 870 20 MOORWE IDE HAMBURG 2023 11 MAI 2023 25 JUNI 2 0 2 3 VolkswagenZentrum Uelzen www.openrfestival.de ACHIM PETRY & BAND BEATRICE EGLI THOMASANDERS ROSS ANTONY SEMINO ROSSI PETER WACKEL MICKIE KRAUSE DIE JUNX ANNA MARIA ZIMMERMANN MICHAEL HOLM MARIE REIM BONEY M. FEAT. LIZMITCHELL 02.07. SIDO Alvaro Soler Tom Gregory Leony ● SOPHIA SAFIYA KERSTIN OTT 01.07. Rea Garvey 30.06. Der 21

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